Vor dem Gipfel: Warum Schweden nicht der Nato beitreten sollte
Seite 2: Moskau ist nicht suizidal veranlagt
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Soweit zur Geschichte. Die Frage ist nun: Was bringt vor diesem Hintergrund ein Nato-Beitritt Schwedens an zusätzlicher Sicherheit gegen eine vermeintliche Bedrohung vonseiten Russlands?
Wer behauptet, eine Nato-Mitgliedschaft würde dem skandinavischen Land, ohne gemeinsame Grenze mit Russland, mehr Sicherheit geben, der setzt implizit voraus, dass an sich eine Gefahr besteht, dass Russland Schweden überfallen will bzw. es ein denkbares Szenario dafür gibt.
Aber warum sollte Russland Schweden angreifen? Es heißt: Den brutalen Überfall auf die Ukraine hat auch niemand konkret vorhergesagt. Das stimmt. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied.
Moskau sieht in der Ukraine – die bis zu seinem Zerfall Teil der Sowjetunion und stark russisch geprägt war – existenzielle Sicherheitsinteressen betroffen, worauf politische Analysten insbesondere in den USA immer wieder verwiesen haben. Und das war allen politisch Beteiligten im Zuge der Osterweiterung der Nato, wie Dokumente und diplomatische Depeschen belegen, auch bekannt.
Schweden spielt dagegen in einer geopolitisch komplett anderen Liga, im Westen. Daher gibt es jetzt auch keine russischen Bomben auf Helsinki und Stockholm, obwohl beide auf dem Weg in die Nato sind.
Dass Moskau Schweden bombardiert oder dort einmarschiert, setzt zudem fast logisch voraus, dass die russische Führung suizidal veranlagt ist. Denn ob mit oder ohne Nato-Mitgliedschaft Schwedens würde es die Zerstörung Russlands nach sich ziehen.
Die europäischen Staaten, die USA und die Nato würden ja einen russischen Angriffskrieg auf westliches und EU-Territorium nicht tatenlos hinnehmen – und die USA und Nato-Partner sind ja auch in der Vergangenheit immer wieder Nicht-Nato-Ländern beigesprungen und haben interveniert, wenn man die eigenen Interessen gefährdet sah, von Asien, über den Balkan und Afrika bis nach Lateinamerika.
Moskau weiß sehr wohl, dass Schweden, wie Finnland, Polen oder Tschechien, rote Linien der USA, der EU und der Nato darstellen. Das ist der entscheidende Unterschied zur Ukraine.
Ganz abgesehen davon, dass Russland es nicht einmal schafft, das rund hundert Kilometer Luftlinie von der russischen Grenze entfernte Kiew einzunehmen. Wie soll es irgendetwas ausrichten in Skandinavien oder sonst wo in Westeuropa?
Im Zuge der Invasion ist eine Mehrheit in Schweden nun grundsätzlich positiv gegenüber der Nato eingestellt. Wie Andrea Seliger auf Telepolis aber schreibt, hat es seit Beginn des Ukraine-Kriegs in Schweden keine öffentliche Debatte mehr gegeben über die Preisgabe der Neutralität und einen Nato-Beitritt.
Die Schweden sollten diese Debatte aber führen und sich genau überlegen, ob sie ihre Neutralität wirklich aufgeben wollen.
Denn so unnötig ein Beitritt zur Nato in Bezug auf zusätzliche Sicherheit gegenüber vermeintlicher russischer Aggression ist, so schädlich wirkt er langfristig auf die Stabilität Europas und der Welt.
Die weitere Ausdehnung des Nato-Gebiets dient ja lediglich dazu, die Konfrontation mit Russland, einem Land, das sich von dem gegnerischen Militärbündnis seit den 1990er-Jahren zunehmend eingekreist fühlt, weiter zu verstärken, was über Bande auch die Blockverhärtung mit China vorantreibt.
Das macht niemanden in Europa und der Welt sicherer. Im Gegenteil. Die Nato ist ja nicht, wie oben geschildert, eine gemeinwohlorientierte Allianz, sondern ein hochgerüstetes Militärbündnis mit aggressiven globalen Dominanzinteressen, angeführt von den Vereinigten Staaten.
Die Länder des Globalen Südens haben das immer wieder zu spüren bekommen. Daher reihen sie sich jetzt auch nicht ein in den Club der Ukraine-Waffenlieferanten und fordern Friedensverhandlungen so bald als möglich.
Wenn Schweden neben Finnland – und wer weiß, wer noch einsteigen will – der Nato beitritt, ist es auch ein Signal, dass eine eigenständige europäische Sicherheitsarchitektur unabhängig von den USA weiter an Wert verliert und zur bloßen Utopie verkommt. Es gibt heute nur noch wenige neutrale Nicht-Nato-Staaten in Europa: Österreich, Irland, die Schweiz und Malta.
Charles de Gaulle in Frankreich und Willy Brandt in Deutschland haben noch das Konzept eines gemeinsamen Europa vom Atlantik bis zum Ural vorangetrieben. Diese Idee ist weiter richtig und sollte wachgehalten werden, trotz Krieg.
Was immer man von Wladimir Putin hält – er hat grausame Dinge getan, wie im Übrigen alle US-Präsidenten und viele Nato-Verbündeten –: Er war jedoch lange offen, was seine Reden zeigen, für eine gemeinsame, Russland einbeziehende Sicherheitszone für Europa.
Wenn der Krieg, hoffentlich bald, in Verhandlungen befriedet werden kann, dann sollte man diese Tür wieder öffnen, statt die toxische Nato-Sicherheitsdoktrin weiter in Europa zu forcieren.
Darum kann man den Schweden nur raten: Bleibt neutral!