WTF happened to Ken Jebsen and Khesrau Behroz?

Seite 2: Alternative Medien: DAGEGEN reicht nicht als Konzept für qualifizierte Gegenrecherchen

Und ja, das sind die Lücken, von denen die sogenannten "alternativen Medien" leben. Und ja, deren DAGEGEN reicht als Konzept für qualifizierte Gegenrecherchen nicht aus; aber auch die gab und gibt es. Jedoch, ohne Qualitätsstandards ergeht es ihnen genauso wie dem sogenannten "Mainstream": Man wird einseitig.

Und infolgedessen polarisieren sich Diskurse weiter. Wie Behroz in Folge 6 beschreibt, recherchiert auch er in der eigenen Bubble. Allerdings hält er seine Fundstücke - unüberprüft - für Fakten, während die Filterblasen der Blogger und Youtuber nur Fake-News produzierten. So geriert sich das Thema der sechsten Folge "Echo" zu einer gewissen Selbstvergewisserung, aber auch -entlarvung, die teilweise peinlich ist.

Der Impfstatus der verunsicherten Mutter, die vom Autor des Podcasts aufgeklärt wurde, wie alles so wirklich ist, mutet bizarr an. Denn, während man im Podcast von NDR-Info mit Christian Drosten und Sandra Ciesek bis zur Sommerpause wöchentlich hören konnte, was alles zu Covid-19 geklärt werden konnte, was sich noch entwickeln muss, wie man widersprüchliche Studienergebnisse bewertet und worüber man noch zu wenig weiß, weil die Langzeitforschung fehlt, scheint hier endgültiges Wissen vorhanden.

Ein Plädoyer für eine konsequente Recherche der jeweiligen Gegenthese gibt es nicht. Nur das aber hätte über die subjektive Einschätzung (auch im Podcast) hinausgewiesen. Beim Vertrauen einer für glaubwürdig erachteten Quelle können wir ja aufgrund der gemachten Erfahrungen nicht stehen bleiben.

Fehler und Verschwörungstheorien sind kein Spezifikum des Internets, aller selbstidealisierenden Beschwörungen zum Trotz. Der Wulff- und Bamf-Skandal, die unkritische Kolportierung der "Döner-Mord"-These in Sachen NSU u.v.m. sprechen dafür, doch erst einmal unabhängig zu recherchieren, bevor man eine Ente, eine Verschwörungstheorie oder aber tatsächlich eine Verschwörung aufdeckt.

Zum Podcastende hin scheint jedoch eine Verwechslung vom Thema "Vertrauen in Journalismus" mit der Verpflichtung, die endgültige Wahrheit zu verkünden, vorzuliegen. Dabei hat das leider wieder eingestellte Format heute+ bereits gezeigt, wie es besser geht: Durch radikale Transparenz wurde Vertrauen gebildet, indem man immer wieder darauf hinwies, wo die Grenzen der eigenen Recherche liegen und was man noch nicht habe klären können.

So wichtig es ist, Trust-Forschung im journalistischen Bereich zu betreiben, so wenig darf sie suggerieren, dass es unumstößliche Quellen des Vertrauens gäbe und man keine Qualitätskriterien brauche, wie man journalistische Produkte bewerten kann.2

Hingegen hat die Doktorarbeit von Fabian Prochazka nachgewiesen, dass gerade die fehlende Transparenz und Fehler in den etablierten Medien zu Vertrauensverlust und das Abwandern zu "alternativen Medien" führen - also umgekehrt, als vielfach behauptet.

Dennoch schließt diese Entwicklungsrichtung natürlich nicht aus, dass die algorithmisch gesteuerte Internetkommunikation zu Verstärkereffekten bei Hass und Hetze führt, wie dies nicht zuletzt der Dokumentarfilm "The Cleaners" drastisch vor Augen führt, und die Auswirkungen auch dieser Entwicklung muss kritisch angegangen werden; denn ungefährlich sind die Tendenzen in den aufgeheizten Debatten natürlich nicht - aber eben auch wiederum nicht internetspezifisch.

Denn historisch wurde schon bewiesen, dass Verschwörungsglauben bis zum Mord ganz ohne Internetbubbles auch geht: Dies bewiesen politische Morde und Kriege ebenso wie Pogrome und auch der Holocaust nach jahrhundertelanger Pflege antisemitischer Mythen und Stereotypen. Und auch die Fragmentierung von Öffentlichkeit(en) - also des sich Versichern in der eigenen Bubble - ist kein neues Phänomen des Internetzeitalters. Die kritische Kommunikationswissenschaft diskutiert das nicht erst seit der Einführung des dualen Rundfunks in den 1980er-Jahren.3

Auch für die Engführung von Themen bietet die Podcast-Serie ein gutes Beispiel, wie auch für kleine manipulative Tricks, die das ganze Projekt am Ende nicht mehr ganz so gut aussehen lassen. Die letzte Folge reproduziert üblich gewordene Mechanismen der Denunziation, während man vermutlich nur vor gefährlichen Entwicklungen warnen will.

Der "Erde als Scheibe"-Schwachsinn leitet das Thema Verschwörungstheorien ein und legt ein Framing der völlig abseitigen Idee vor und ermöglicht damit eine Vermischung von Abseitigkeiten auf der einen mit berechtigten Nachfragen und Kritik auf der anderen Seite.

Das ist selbst beim brisanten Thema Covid-19 unangemessen, wo ja die Entsendung einer Untersuchungskommission nach Wuhan kürzlich gezeigt hat, dass noch Klärungsbedarf zwischen den Thesen einer Zoonose oder eines Laborunfalls besteht - etwas, das von vielen vermeintlich glaubwürdigen Medien zu schnell als Verschwörungstheorie abgelehnt wurde, und von den anderen dann in ihrem DAGEGEN-Modus aufgegriffen und als Beweis angeführt wurde, dass ein großer Plan hinter allem stecke.

Die Wahrheit dazwischen

Der Möglichkeit, dass die Wahrheit evtl. dazwischenliege, ging man überhaupt nicht nach. So legt die 3sat-Reportage "Gute Viren, schlechte Viren" vom 04.02.2021 dar, dass auch beides möglich wäre: Eine Zoonose, die im Labor beobachtet wird, könnte durch die Sicherheitsschleusen entweichen…

Die frühe Festlegung auf "eine Wahrheit" hat vielleicht viele Menschen erst in die Arme von Verschwörungsideologen getrieben, die sich jetzt gar noch bestätigt fühlen könnten, weil die meisten Medien nun umschwenken, aber erst nachdem die US-Regierung auf Basis von Geheimdienst-Thesen (sic!) eine neue Strategie fährt.

Medien als Vierte Gewalt stellt man sich tatsächlich anders vor. Und ich meine mich zu erinnern, dass das damals der Beginn der sogenannten Montags-Mahnwachen war, bevor sie von rechts gekapert wurden, dass nämlich viele Menschen ob der extrem stereotypen Einhelligkeit der Berichterstattung skeptisch wurden.

Folge 6 bleibt auch, was das Thema "Deplatforming" anbelangt, am Symptom kleben und stellt kritische Fragen an Google/Youtube nur in eine Richtung: Warum haben diese erst so spät Jebsens YouTube-Kanal geschlossen?

Die Frage nach transparenten Kriterien für eine solche Maßnahme und eine demokratische oder juristische Kontrolle für solche Eingriffe in die freie Meinungsäußerung stellt er nicht. Die Verführung mag in der Figur Jebsen liegen, der nach seiner Meditation für den Frieden auf einem Wohnwagen oder als geschminkter Joker à la Batman-Bösewicht die Wahrnehmungsgrenze zur Irrationalität endgültig überschritten zu haben scheint. Aber, was wenn unwidersprochenes Deplatforming Schule macht auch gegen andere unliebsame Stimmen?

Vielleicht einmal die eigene? Wäre es als Journalist nicht klüger, hier etwas weiterzudenken als der nahe liegende Podcast-Tellerrand? Was, wenn man sich in Zukunft von kritischen Recherchen oder deren Veröffentlichung abschrecken lässt? Und nein, man muss nicht alles von einem großen Plan her denken, wie es Jebsen inzwischen bis zum Exzess betreibt, um dennoch auf Widersprüche und vor allem auf die Möglichkeit des Ausnutzens einer Krisenlage zu stoßen, wovor ja nicht zuletzt der Jurist und Journalist Heribert Prantl warnt.

Die Engführung von Themen in den aufmerksamkeitsrelevanten Informations-Formaten - die teilweise durch Satire-Formate wie die ZDF-Anstalt korrigiert werden, aber ohne Einfluss auf den Nachrichtenfluss bleiben - stellt m. E. nach wie vor die größte Gefahr für das Abdriften in Parallelwelten dar.

Sabine Schiffer leitet das unabhängige Institut für Medienverantwortung (IMV) in Berlin. Sie lehrt an der Hochschule für Medien Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt/Main. In ihrem Buch "Bildung und Medien" forderte sie erstmals ein Schulfach Medienbildung, ihr Lehrbuch "Medienanalyse" stellt das notwendige Handwerkszeug für die Analyse von Medienbeiträgen zusammen.

Das Institut für Medienverantwortung richtet sich an Medienschaffende und Mediennutzende gleichermaßen und klärt über Darstellungsmechanismen, Medieninhalte und Produktionsbedingungen auf und bietet Medienbildung in Seminaren, Publikationen und Konzepten.

Schiffer kennt Ken Jebsen noch aus der rbb-Zeit, gab ihm einige Interviews und hat seinen Werdegang weiterhin beobachtet. Der Podcast stellt viele relevante Fragen, die sie sich auch stellt. Da im Podcast moniert wird, dass sich Jebsen auf Interviewanfragen nicht meldete, schlug sie ein moderiertes Zwiegespräch auf dem Zoom-Kanal des IMV vor. Auf mehrfache An- und Nachfragen hat Khesrau Behroz sich bisher nicht zurückgemeldet. Jebsen nahm den Vorschlag inzwischen an.