Wachsender Unmut bei Iraks Nachbarn
Nun sind auch Syrien und Iran im Visier Washingtons, die Erweiterung der Front ist wenig erstaunlich und provoziert harsche Proteste in der Region
Kurz vor Beginn der zweiten Kriegswoche steckt die anglo-amerikanische Allianz nach wie vor im Wüstensand Iraks fest und trifft trotz mancher Erfolge beim Vorrücken auf Bagdad weiterhin auf harten militärischen Widerstand. Dessen ungeachtet wird in Washington die Front bereits erweitert. Auch Syrien und Iran, erklärte US-Außenminister Colin Powell unlängst wenig sensibel, handelten tendenziell gegen die Interessen der USA und hätten - eine Beibehaltung ihrer Außenpolitik vorausgesetzt - mit Konsequenzen zu rechnen. Die syrische Regierung erwiderte die diplomatische Breitseite aus Washington entsprechend. In Damaskus sprach sich Außenminister Faruk al-Shar offen gegen die Invasion in Irak aus. Er würde es nicht bedauern, wenn die Truppen der Allianz eine Niederlage erlitten.
Die neuen diplomatischen Frontlinien wurden keineswegs unerwartet eröffnet, verfolgen die Regierungen arabischer Staaten doch seit Jahren mit wachsender Unruhe den Ausbau der militärischen US-Präsenz in der Region. Ein Blick auf die programmatischen Schriften heute führender US-Politiker bestätigt die Sorgen. Bereits im September 2000, ein Jahr vor den Terroranschlägen in den USA, hatte die drei Jahre zuvor ins Leben gerufene rechtskonservative Politikstiftung "Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert" (PNAC) unter der Federführung des heutigen Vizepräsidenten Dick Cheney einen Plan unter dem Titel "Amerikas Verteidigungsmittel umgestalten: Strategien, Kräfte und Ressourcen für ein neues Jahrhundert" verfasst. Beteiligt an der Ausarbeitung waren damals auch Jeb Bush (Bruder des Präsidenten und heute Gouverneur von Florida), Donald Rumsfeld (heute Verteidigungsminister), Paul Wolfowitz (heute Stellvertreter Rumsfelds) und Lewis Libby (heute Dick Cheneys Staabschef).
Die Lektüre des Dokuments gibt einen Ausblick auf Kriegsverlauf und Situation nach dem Krieg. "Selbst wenn Saddam von der Bühne abtreten sollte", hieß es, sollten die Militärbasen in Saudi-Arabien und Kuwait dauerhaft und auch gegen den Widerstand in den Regierungen der Anrainerstaaten erhalten bleiben. Begründet wurde dies damit, dass "der Iran eine ebensolche Bedrohung amerikanischer Interessen darstellen kann wie der Irak".
Neustrukturierung des Nahen Ostens
Damit bekommt auch die von US-Präsident George W. Bush angekündigte "Neustrukturierung des Nahen Osten" eine neue Bedeutung. Mit jedem neuen Kriegstag wird deutlicher, dass die Invasion in Irak erst den Beginn einer weitreichenderen Strategie darstellt, die die Regierungspolitik Washingtons bestimmt. Bei den Protagonisten des PNAC gelten die Präsidenten Carter und Clinton als halbherzig, von ihnen werden seit jeher "militärische Lösungen" zur Durchsetzung US-amerikanischer Interessen favorisiert. In dem Strategiepapier setzten die Autoren ihre Hoffnung auf ein "katastrophales Ereignis, wie ein neues Pearl Harbor". Das Ereignis trat bekanntlich am 11. September 2001 ein.
Der Druck auf die Staaten der Kriegsregion wächst vor diesem Hintergrund von innen und außen. Unter ihnen lassen sich drei Gruppen unterscheiden. Zum einen gibt es die US-Partner Israel und Kuwait. Daneben deckt die anti-amerikanische Gruppe um Irak einen nicht unerheblichen Teil des nahöstlichen Territoriums ab. Staaten wie Iran, Libyen und Syrien nehmen seit Beginn des zweiten US-Irak-Krieges eine deutliche Position gegen Washington und London ein, weil sie nach einem Triumph der Allianz nicht nur von der irakischen Ölzufuhr abgeschnitten sein wären, sondern auch von neuen US-Stützpunkten im besiegten Land bedroht würden. Seit George W. Bush im vergangenen Herbst die neue Sicherheitsdoktrin vorstellte, sind Präventivkriege wie in Panama oder Grenada schließlich keine Ausnahme mehr, sondern die Regel.
Die bislang neutralen Staaten wie Ägypten und Jordanien hingegen werden sich positionieren müssen. So hatte Jordaniens Staatsführung lange versucht, die Stationierung von US-Truppen im eigenen Land zu verbergen. Inzwischen musste Amman zugeben, "mehrere hundert US-Soldaten" im Land zu beherbergen, Experten sprechen von bis zu 6.000 US-Militärangehörigen in dem Anrainerstaat Iraks. Islamische Organisationen verurteilten das als "unentschuldbar" und organisierten in den vergangenen Tagen Massendemonstrationen in mehreren großen Städten des Landes. Die Lage ist von Tag zu Tag angespannter, zumal arabische Nachrichtensender ständig die Bilder ziviler Opfer ausstrahlen, die von staatlichen und US-amerikanischen Sendern zurückgehalten werden. Der US-Senatsabgeordnete John Rockefeller bezeichnete die Protestbewegungen als "inzwischen so groß, dass sie eine ernsthafte Gefahr für die jeweiligen Regierungen darstellen".
Harald Neuber, Amman