Wagner-Söldner über Polen: Warschau fürchtet Angriffe aus Belarus
Ukraine-Krieg: US-Botschafterin an der UN warnt vor Bedrohung für Nato. Putin warnt vor Angriffen auf Belarus. Ist das Risiko einer Eskalation auf dem Radar?
Zwei belarussische Hubschrauber sollen laut Verteidigungsministerium in Warschau die polnische Grenze überflogen haben. Die Regierung in Minsk dementiert. Die polnische Regierung zieht Konsequenzen aus dem Vorfall: Sie verstärkte ihre Grenze zum Nachbarland Belarus erneut.
Es kam zu keinen Kampfhandlungen. Verglichen mit dem, was in den letzten Tagen aus dem Ukraine-Krieg gemeldet wurde – Angriffe auf Kiew, auf Moskau, auf die Krim, auf Odessa, dazu die mörderischen Auseinandersetzungen im Süden der Ukraine –, ist der polnisch-belarussische Zwischenfall aus dieser Perspektive relativ harmlos.
Aufgeheizte Spannungen
Er veranschaulicht indes, welche Spannungen sich in der Region im Grenzgebiet zur Ukraine aufgebaut haben. Es zeigen sich die Möglichkeiten einer Eskalation. Polen hat seine Truppen an der Grenze zu Belarus bereits zuvor verstärkt. Aus Litauen und Lettland berichten Medien ebenfalls von einer gesteigerten Nervosität.
Anlass dafür ist nicht zuletzt die Präsenz der Wagner-Truppe in Belarus.
Wagner: "Eine Bedrohung für uns alle"
Was dadurch an Eskalationspotential auf dem Kriegstisch liegt, hat die US-Botschafterin für die UN, Linda Thomas-Greenfield, vor ein paar Tagen deutlich gemacht: Die Gruppe sei "eine Bedrohung für uns alle, und wir wollen sicherstellen, dass die Botschaft klar ist, dass jeder Angriff der Wagner-Gruppe als ein Angriff der russischen Regierung angesehen wird", zitiert sie die englisch-sparchige polnische Zeitung First News.
Die türkische Nachrichtenagentur Anadolou Agency zitiert die Diplomatin ebenfalls mit der "Bedrohung für uns alle" und stellt in der Überschrift klar, was "uns alle" bedeutet: die Nato. Der mögliche Bündnisfall also.
Mit harschen Worten wird nicht gespart.
"Polen sollen beten"
So hatte sich kürzlich Lukaschenko, autoritärer Staatschef von Belarus, in Wallung gebracht, als von Wagner die Rede war.
Polen zeigte sich beunruhigt, dass Lukaschenko der Wagner-Truppe Aufenthalt bietet und Möglichkeiten zum militärischen Training. Der Operettenstar unter den Diktatoren antwortete darauf, so Reuters mit Bezug auf die belarussische Nachrichtenagentur Belta, dass die Polen "beten sollten, dass wir (die Wagner-Kämpfer) festhalten und für sie sorgen. Sonst wären sie ohne uns durchgesickert und hätten Rzeszow und Warschau in Schutt und Asche gelegt. Also sollten sie mir keine Vorwürfe machen, sondern Danke sagen."
Rzeszow in Südpolen hat einen Militärflughafen und spielt damit eine wichtige logistische für die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine wie auch für die Versorgung der Nato-Truppen in Deutschland.
In der vergangenen Woche soll Putin, dem Reuters-Bericht zufolge, Polen unterstellt haben, dass es territoriale Ambitionen auf Weißrussland hege. In diesem Zusammenhang erklärte er seinerseits, dass Russland "jeden Angriff auf seinen Nachbarn als Angriff auf sich selbst betrachten würde".
Russland und Belarus würden seit einiger Zeit Richtung Polen provozieren, sagen Beobachter.
Polen: Verstärkung der Truppen an der Grenze zu Belarus
Polen hat, seit sich Wagner-Truppen verstärkt in Belarus aufhalten, seine Truppen an der Grenze um angeblich rund 1.000 Soldaten verstärkt.
In Warschau ist man nervös: "Wir haben Informationen, dass mehr als hundert Söldner der Wagner-Gruppe in Richtung der Suwalki-Lücke vorgerückt sind, unweit von Grudno in Belarus", wird Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit einer Aussage vom vergangenen Samstag zitiert (SZ).
Grudno (auch Hrodna oder Grodno) liegt dicht an der Grenze zum Nato-Land Polen. Mit der Suwalki-Lücke bezeichnet die Nato den strategisch bedeutsamen Korridor auf polnischem und litauischem Territorium zwischen Belarus und dem russischen Kaliningrad.
Morawiecki wusste, wie er das Gefühl der Bedrohung so formuliert, dass ihm zugehört wird. Hundert Söldner allein klingen nicht nach einer großen Gefahr.
Lukaschenko stieg darauf ein. Es seien keine Wagner-Abteilungen mit 100 Mann dorthin gezogen., sagte er, um einzuschränken: "Und wenn doch, dann nur, um ihre militärischen Erfahrungen an Brigaden (gemeint sind belarussische, Anm. d. Red) zu übertragen, die in Brest und Grodno konzentriert sind". Allerdings liegt Brest an der Grenze zu Polen.
Litauen
Auch Litauen soll vorhaben, die Grenzen zu Belarus zu schließen. "Diese Überlegungen sind real. Die Möglichkeit, die Grenze zu schließen, besteht", sagte Litauens Vize-Innenminister Arnoldas Abramavicius am Freitag (Frankfurter Rundschau). Allerdings schätzt der Litauer die "etwa 1200 Wagner-Söldner in Belarus nicht als militärische Bedrohung für Polen ein". Es bestehe aber Möglichkeit der Provokation.
Gleichwohl stufte Litauens Präsident Gitanas Nauseda die Präsenz der Wagner-Kämpfer in Belarus als "ernsthafte Bedrohung" ein.
Der Zwischenfall
Das Oszillieren verschiedener Einschätzungen zeigt sich auch am eingangs genannten Zwischenfall mit den beiden Hubschraubern Mi-8 und Mi-24 aus Belarus. Dem Vorwurf aus Polen, wonach diese in den polnischen Luftraum eingedrungen seien, wird von belarussischer Seite mit einem Dementi gekontert.
Laut Reuters behauptet das Verteidigungsministerium in Minsk, dass seine Daten eine Verletzung des Luftraums nicht belegen würden. Auf Telegram bezeichnete es den Vorfall als "Ammenmärchen". Es diene Polen als Vorwand für eine Truppenverstärkung an der Grenze.
Das polnische Militär hatte zunächst auch jegliche Grenzverletzung dementiert, später aber "nach Konsultationen" erklärt, dass die Hubschrauber aus Belarus "in sehr geringer Höhe" geflogen seien und dadurch "vom Radar schwer zu erfassen" waren.
Vieles kommt ganz offensichtlich darauf an, was man als Gefahr auf dem Radar hat und wie man darauf reagiert. In der FAZ findet sich dazu eine bemerkenswert ruhige Einschätzung aus den USA.
Von den Wagner-Söldnern geht nach Ansicht der USA keine besondere Bedrohung für Polen oder andere NATO-Verbündete aus. Die USA beobachteten die Lage an der Grenze von Polen zu Belarus sorgfältig, sagt der Nationale Sicherheitsbeauftragte, John Kirby.
FAZ