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Wahldebakel: Spanische Sozialdemokraten setzen schnelle Neuwahlen an

Sánchez vor Abgeordneten. Bild (2028): Pool Moncloa/J.M. Cuadrado / Ministry of the Presidency. Government of Spain

Niederlage der Linken, Sieg der Rechten. Die Regierung Sánchez hat fast alle Regionen an rechte Parteien verloren. Was das für linke Politik in der Abgrenzung nach rechts bedeutet. Kommentar.

Es kam, wie es kommen musste, bei den Kommunalwahlen in ganz Spanien und den Regionalwahlen in 12 von 17 autonomen Gemeinschaften, die den deutschen Bundesländern ähneln. Wie an dieser Stelle erwartet [1], hat die rechtskonservative Volkspartei (PP) am vergangenen Sonntag abgeräumt.

Die Onlinezeitung Público, die der Zentralregierung aus Sozialdemokraten (PSOE) und dem Linksbündnis Unidas Podemos (UP) unter Pedro Sánchez nahesteht, spricht von einem "Debakel für die Linke". Sie macht deutlich, wie viel Gelände verloren wurde: Aragón, Kantabrien, die Kanarischen Inseln, die Baleareninseln, Valencia, Extremadura und die Rioja [2].

Die PSOE-Sprecherin, die vor dem Wahlgang noch die PP zum "Verlierer" [3] abgestempelt hatte, versuchte sich nach den Wahlen plötzlich in Bescheidenheit. Pilar Alegría erklärte nach der kalten Dusche:

"Wir haben die Botschaft der Wähler verstanden [4]."

Man werde sich sofort an die Arbeit machen, um Fehler zu korrigieren. Benannt hat sie diese natĂĽrlich nicht.

Zeit zur Fehlerkorrektur hätten die Sozialdemokraten mehrere Jahre lang gehabt. Die Sánchez-Partei wurde in den beiden letzten Jahren bereits in Andalusien [5], Kastilien-León [6], Madrid, Galicien und dem Baskenland [7] abgestraft.

Gelernt haben sie daraus aber nichts. Linke Politik wurde weiterhin nicht gemacht, dafür Waffen an die Ukraine [8] geliefert, statt eine Friedenslösung zu suchen. Wahlversprechen wurden nicht eingelöst. Das Maulkorbgesetz [9] wurde genauso wenig gestrichen wie die Arbeitsmarktreform der PP [10].

Das Gesetz, das die Meinungsfreiheit einschränkt, wurde sogar verschärft und auf das Internet ausgeweitet [11].

Jetzt wollen die Sozialdemokraten sogar die Verschlüsselung von Messenger-Diensten verbieten [12]. Progressiv ist das nicht, auch wenn Sánchez gerne von der "fortschrittlichsten Regierung der spanischen Geschichte" spricht.

Aussichten fĂĽr die Neuwahlen am 23. Juli

Das Ruder nun vor den Parlamentswahlen noch herumzureißen, scheint ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Sánchez versucht wieder einmal einen Befreiungsschlag. Der Ministerpräsident hat nach dem Wahldebakel die Konsequenzen gezogen und die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen für den 23. Juli angekündigt.

"Ich habe diese Entscheidung angesichts der Ergebnisse der gestrigen Wahl getroffen [13]", erklärte Sánchez. Der Sozialdemokrat interpretierte die Wahlen als Fingerzeig für seine Zentralregierung, wofür er "Verantwortung" übernehmen will. Der Wahlkampf war tatsächlich vor allem mit nationalen Themen geführt worden.

Sánchez überrascht mit seinem Schritt seine Unterstützer, allen voran die Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Díaz. Für sie wird es besonders schwierig, da sie noch an ihrem Projekt Sumar (Summieren) als Konkurrenz zur Podemos-Partei strickt. Von der will sich die Chefin der Linkskoalition Unidas Podemos (UP) lösen.

Ihr bleiben aber nur noch zwei statt sechs Monaten zur Vorbereitung. Sumar ist zu keiner der Regional- und Kommunalwahlen angetreten. Díaz steht eine Herkulesaufgabe bevor. Sie muss auch schnell überlegen, ob sie Podemos nicht doch noch einbindet oder wieder getrennt wie in vielen Regionen antritt, was die rechten Kräfte weiter gestärkt hat.

In dieser Richtung zeichnet sich Bewegung ab, nachdem Díaz die Podemos Führungsfrauen bisher komplett aus dem Projekt ausgegrenzt hatte [14]. Nun sucht man eilig nach einer Lösung [15], um doch noch zu addieren, statt zu spalten.

"Man muss die Sachen in einer anderen Form machen [16]", kritisierte DĂ­az auch die einseitige Entscheidung zu schnellen Neuwahlen.

Wegen der fatalen Ergebnisse fĂĽr die Parteien weiter links von der Mitte versucht sie sich Mut zu machen: "Ich nehme die Herausforderung an", twitterte sie. "Fortan arbeiten wir daran, am 23. Juli zu gewinnen."

"Selbstmörderischer Schachzug"

Beobachter bezeichnen Sánchez als "unvorhersehbar". Der Politologe Paco Camas sprach im Fernsehen davon, dass der Schachzug "selbstmörderisch" sei. Sánchez setze alles auf eine Karte und will nach dem Dauerstreit mit den Partnern [17] eine weitere Abnutzung verhindern.

Wie die Sumar-Chefin Díaz setzt er auf eine Mobilisierung linker Wähler mit der Warnung vor dem Wolf, um auch eine rechte-rechtsradikale Zentralregierung zu verhindern, wie sie in vielen Regionen ansteht. Die Wähler müssten entscheiden, ob sie in Spanien eine Regierung der rechtskonservativen Volkspartei (PP) mit der rechtsradikalen Vox wollen, sagte Sánchez.

Der Sieg der Rechten

Die rechte PP konnte ihre Positionen ausweiten. Sie kann nun neben Andalusien auch in der Hauptstadtregion Madrid und anderen Regionen sogar mit absoluter Sitzmehrheit regieren. Normalerweise gibt das bevölkerungsreichste Andalusien vor, wie die Parlamentswahlen danach in Spanien ausgehen. Nun wurde der Trend aus Andalusien auch im bevölkerungsstarken Madrid bestätigt.

Die PP-Präsidentin Isabel Díaz Ayuso, die auch als "Trump von Kastilien" bezeichnet wird, hat zwar wegen der geringeren Wahlbeteiligung etwa 50.000 Stimmen gegenüber den vorgezogenen Neuwahlen vor zwei Jahren verloren, doch jetzt kommt sie mit weniger Stimmen sogar auf 47 Prozent.

Auch der bisherige PP-Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida kann in Madrid weitermachen, ebenfalls mit absoluter Mehrheit. Auch dieser Rechtspopulist hat wie Ayuso kein Problem damit, wenn man die PP als "Faschisten" [18] bezeichnet.

Almeida kann jetzt ohne die ultranationalistische Ciudadanos (Cs) regieren, die praktisch im ganzen Land aus den Parlamenten verbannt wurde. Ayuso kann nun die Hauptstadtregion ohne die bisherige UnterstĂĽtzung ihrer ultrarechten Abspaltung regieren.

Die Strategie von Ayuso ist aufgegangen, sie hat Vox nicht nur in den Schranken gehalten. Die Rechtsradikalen kamen statt auf neun nur noch auf sieben Prozent und die Stimmen der Cs gingen kehrten komplett zur PP zurĂĽck, gingen ab und an aber auch an Vox.

Die Beschränkung von Vox geschah allerdings zu dem Preis, dass der radikale Diskurs von Vox fast vollständig von Leuten wie Ayuso übernommen und damit weiter normalisiert wurde.

Wenn Linke keine linke Politik machen, dann kommen die Rechten

Wie erwartet hat das, was man hier "Linke" nennt, bei den Wahlen weitere wichtige Regionen wie Valencia verloren. Das schmerzt die PSOE genauso wie der Verlust der Balearen oder der Tatsache, dass in der Rioja keine "Linke" mehr regiert, sondern ab jetzt wieder die PP, sogar mit absoluter Mehrheit.

Besonders schmerzt die PSOE aber, dass sie nun auch die ehemalige Hochburg Extremadura und Aragon verloren hat.

Besonders der Verlust der Extremadura kam unerwartet, zumal die PSOE-Regionalregierungen in der Extremadura oder Aragon einen Diskurs geführt haben, der sehr an den der PP erinnerte. Doch die Wähler wählen lieber das Original statt der Kopie. Nur in Kastilien-La Mancha ging die Strategie auf, eine der wenigen Regionen, welche die PSOE retten konnte.

Die Wahlen haben auf allen Ebenen gezeigt, dass Sánchez eigentlich schon seine Koffer packen kann. Das Debakel ist auch deshalb so groß, weil der Koalitionspartner Podemos auch dafür abgestraft wurde, dass man in fast vier Jahren kaum etwas gegen die neoliberale PSOE durchsetzen [19] konnte.

Die Mitglieder der zerstrittenen und gespaltenen [20] Linkskoalition UP sind nicht gemeinsam angetreten, sondern meist getrennt. Das Ergebnis fĂĽr die Podemos-Partei: Sie ist nun auch in den Regionalparlamenten von Valencia, Madrid und den Balearen nicht mehr vertreten.

Verteidigen kann die PSOE vermutlich auch Navarra, wo sie stagnierte. Allerdings wurden dort Unterstützer, allen voran die linksnationalistische EH Bildu (Baskenland Vereinen) gestärkt, wie auch in der angrenzenden baskischen Gemeinschaft bei den Kommunalwahlen. Ganz anders erging es aber dem strategischen Partner von Bildu in Katalonien.

Die Republikanische Linke (ERC), die Katalonien noch in einer sehr schwachen Minderheitsregierung [21] regiert, wurde massiv für ihren Schmusekurs zu Sánchez und der PSOE abgewatscht.

Der versprochene Dialog zur Konfliktlösung fand nie statt und wurde jetzt wohl definitiv beerdigt. Es riecht hier in Katalonien ebenfalls nun nach vorgezogenen Neuwahlen, da die ERC den letzten Rest an demokratischer Legitimation verloren hat.

Auch bei den Kommunalwahlen verhielten sich Katalonien und das Baskenland anders als der Rest des spanischen Staates. In Spanien werden fortan alle großen Städte von der PP oder in Koalition mit den Ultras nicht. Nur in Barcelona und Bilbao ist das anders. Statt in Barcelona Wahlsieger wie vor vier Jahren zu werden, wurde die ERC nur noch viertstärkste Kraft.

Statt 21 kam sie nur noch auf 11 Prozent und ganz ähnlich sieht die ERC-Katastrophe in ganz Katalonien aus. Dass die plötzlich kurz vor dem Wahlkampfende die Unabhängigkeit und die "Republik als Zukunft" auspackte, gegen die sie real seit Jahren arbeitet, hat kaum jemanden an der Nase herumführen können.

Viele ehemalige ERC-Wähler blieben den Wahlen fern oder wählten andere Formationen. Der Dialog der ERC mit Madrid hat Sánchez nie real gestartet [22]. Dazu konnte auch die ERC in ihrer Funktion als Mehrheitsbeschaffer in Madrid kaum etwas durchsetzen.

Die Wähler haben sich nicht hinters Licht führen lassen. Deshalb hat die Partei von Exilpräsident Carles Puigdemont die Metropole Barcelona gewonnen. Xavier Trias hat für "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) kandidiert, der einst mit einer Schmutzkampagne aus den spanischen Kloaken [23] aus dem Amt gejagt wurde.

Trias hat dem ehemaligen Podemos-Anhängsel En Comú und deren Führungsfigur Ada Colau, die gegen den Wahlsieger ERC vor vier Jahren nur mit rechten Stimmen erneut Bürgermeisterin werden konnte, den Todesstoß versetzt. Sie hat damit viel Wähler schockiert und viel Sympathie eingebüßt, wie mit ihrer Politik. Sie wurde nur noch drittstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten.

Mit den Wahlen und dem Absturz von Colau ist wie erwartet auch das neue Linksprojekt Sumar (Summieren) angezählt, bevor es überhaupt an Wahlen teilgenommen hat. Das Projekt hatte bisher ohnehin eher gespalten als addiert [24]. Das hat die Linke bei diesen Wahlen teuer bezahlt.

Eigentlich sollte Colau ein Stützpfeiler des Sumar-Projekts werden. Sie wird wie erwartet aber eine Belastung, denn sie ist längst unglaubwürdig für eine linke und soziale Politik [25]. Dagegen konnte sich der Sánchez und Sumar-Unterstützer Más Madrid (Mehr Madrid) halten und legte sogar weiter leicht zu. Die Formation wurde erneut, nun mit gut 18 Prozent, zweitstärkste Kraft.

Praktisch alle Sánchez-Unterstützer außer Mas Madrid und Bildu haben mehr oder weniger stark Stimmen eingebüßt. Dass die PSOE in Navarra mit Bildu und anderen Kräften erneut eine Regierung stellen kann, ist für Sánchez bei den kommenden Parlamentswahlen eher eine weitere Belastung.

Rechte wie Ayuso, aber auch Regionalfürsten der PSOE hatten sich stets gegen solche Bündnisse gewandt. Die PP wird das nutzen. Denn angeblich handele es sich nach deren Ansicht bei der Koalition aus drei Parteien um Nachfahren der Untergrundorganisation ETA soll, die ohnehin seit vielen Jahren aufgelöst und abgewickelt [26] ist, woran der Bildu-Chef Arnaldo Otegi gearbeitet und dafür illegal sechs Jahr als angebliches ETA-Mitglied im Knast saß, wie der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof geurteilt hatte [27].

Die PP und Vox werden diesen Joker bei den Wahlen im Herbst erneut gegen Sánchez ausspielen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Faellt-das-Urteil-ueber-die-spanische-Regierung-9067813.html
[2] https://www.publico.es/politica/resultados-elecciones-municipales-autonomicas-2023-jornada-electoral-2.html
[3] https://www.europapress.es/galicia/noticia-alegria-califica-perdedora-campana-pp-no-le-escuchado-propuesta-20230524200018.html
[4] https://twitter.com/PSOE/status/1662941653231910920?ref_src=twsrc%5Etfw
[5] https://www.telepolis.de/features/Rechte-raeumt-in-entscheidenden-Wahlen-in-Andalusien-ab-7145854.html
[6] https://www.telepolis.de/features/Radikale-Rechte-legen-zu-Spanische-Linksregierung-abgestraft-6457707.html
[7] https://www.telepolis.de/features/Spanische-Regierungskoalition-im-Baskenland-und-Galicien-abgestraft-4842807.html
[8] https://www.telepolis.de/features/Militaerhaushalt-Zeitbombe-fuer-spanische-Regierung-7164156.html
[9] https://www.sueddeutsche.de/politik/spanien-pablo-hasel-proteste-reaktion-sanchez-regierung-1.5211954
[10] https://www.telepolis.de/features/Arbeitsmarktreform-Spanische-Regierung-am-Abgrund-6351527.html
[11] https://www.telepolis.de/features/Spanien-Internetsperren-wie-in-Iran-und-China-ohne-Richterbeschluss-4598809.html
[12] https://www.telepolis.de/features/Datenschutz-Steht-Ende-zu-Ende-Verschluesselung-in-EU-vor-Verbot-9065104.html
[13] https://www.publico.es/politica/sanchez-anuncia-disolucion-cortes-convocatoria-elecciones-anticipadas.html
[14] https://www.telepolis.de/features/Spanische-Linke-Summieren-oder-spalten-7123249.html
[15] https://www.publico.es/politica/yolanda-diaz-resto-izquierdas-buscan-acuerdo-expres-generales-debacle-28m.html
[16] https://twitter.com/Yolanda_Diaz_/status/1663117601063444482
[17] https://www.telepolis.de/features/Sexualstrafrechtsreform-Spanische-Regierung-vor-dem-Bruch-7489809.html
[18] https://www.telepolis.de/features/Wir-moegen-Faschisten-sein-aber-wir-koennen-regieren-6033863.html
[19] https://www.telepolis.de/features/Spanien-Regierung-will-Mieter-entlasten-8976049.html
[20] https://www.telepolis.de/features/Spanische-Linke-Summieren-oder-spalten-7123249.html
[21] https://www.telepolis.de/features/Barcelona-Katalanische-Regierung-ein-Scherbenhaufen-7289034.html
[22] https://www.telepolis.de/features/Zehntausende-demonstrieren-gegen-spanisch-franzoesischen-Gipfel-in-Barcelona-7464111.html
[23] https://www.telepolis.de/features/Spanische-Kloaken-Wie-Star-Journalisten-eine-erfolgreiche-politische-Schmutzkampagne-fuhren-7179802.html
[24] https://www.telepolis.de/features/Sumar-Neues-Linksbuendnis-spaltet-statt-zu-summieren-8515697.html
[25] https://www.telepolis.de/features/Hungerschlangen-vermeiden-4995762.html
[26] https://www.telepolis.de/features/Entschuldigung-fuer-Gewalt-der-ETA-6221966.html
[27] https://www.telepolis.de/features/Spanien-sperrt-mit-erfundenen-Anschuldigungen-unliebsame-Politiker-weg-4860834.html