Wahlrechtsreform beschlossen: Lex Linke lässt auch CSU zittern
Ampel-Mehrheit ändert Bundeswahlgesetz. Gewonnene Direktmandate führen nicht mehr automatisch in den Bundestag. Bundesweite Fünf-Prozent-Hürde gilt nun auch für bayerische Unionsschwester.
Eine linke Oppositionspartei gäbe es im aktuellen Deutschen Bundestag nicht, wäre diese Wahlrechtsreform zwei Jahre früher beschlossen worden. Als "Lex Linke" wollten die Parteien der Ampel-Koalition ihren Gesetzentwurf aber nicht verstanden wissen. Schließlich ging es auch um Mandate der CSU, die als bayerische Unionsschwesterpartei nun an die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde gebunden ist.
Die Linke war bei der letzten Bundestagswahl mit 4,9 Prozent nur dank dreier Direktmandate wieder in Fraktionsstärke ins Parlament eingezogen. Das ist mit der nun erfolgreich von SPD, Grünen und FDP auf den Weg gebrachten Änderung des Bundeswahlgesetzes nicht mehr möglich.
Mit der Reform soll der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag ab der nächsten Wahl dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert werden, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet wird. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über Direktmandate mehr Sitze im Bundestag erringt, als ihr laut Zweitstimmenergebnis zustünden – sie darf diese Sitze behalten. Die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate.
Nach der heute mit 399 Ja-Stimmen, 261 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen beschlossenen Neuregelung muss nicht mehr zwangsläufig in den Bundestag einziehen, wer seinen Wahlkreis direkt gewinnt. Das könnte auch die CSU Mandate kosten.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, warb dafür mit den Worten: "Eine Verzerrung des Wahlergebnisses zugunsten der CSU und Privilegierung einzelner Gruppen schließen wir zukünftig sicher aus!"
Dobrindt sieht "Existenzrecht der CSU" gefährdet
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt reagierte erzürnt und sagte in der letzten Aussprache vor der Abstimmung, der Plan der Ampel-Parteien ziele darauf ab, die Linke aus dem Parlament zu drängen und stelle sogar "das Existenzrecht der CSU" infrage. Die nun nötige "Zweitstimmendeckung" bindet sie an eine bundesweite Fünf-Prozent-Hürde, die sie 2021 zwar genommen hatte, aber aus eigener Sicht nicht mit dem nötigen Sicherheitsabstand nach unten.
Die Grünen-Politikerin Britta Haßelmann sagte in der Aussprache, ihr sei nicht klar gewesen, dass die CSU Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde habe. So musste am Ende der Eindruck entstehen, dass es ihr persönlich – und womöglich auch den Grünen insgesamt – vor allem darum ging, Die Linke loszuwerden. Zumal diese Partei heute noch friedenspolitische Gründungsideale der Grünen vertritt, von denen sie sich selbst längst verabschiedet haben.
Die Ampel-Parteien hatten dennoch allen Ernstes damit argumentiert, dass die Verkleinerung alle Parteien gleichermaßen treffe; die Reform sei somit fair und verfassungsgemäß.
"Das Parlament wird nach der Reform noch weniger Menschen repräsentieren, bildet die Gesellschaft noch weniger ab", kommentierte die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek auf Twitter. Auch "spannend" fand sie, dass alle von der Verkleinerung des Bundestages redeten, aber niemand "von einem sich immer weiter aufblähenden Regierungsapparat: neues Kanzleramt für mindestens 770 Millionen, 168 neue sehr gut bezahlte Beamt:innen, mehr Staatssekretär:innen".
Die CDU/CSU-Fraktion hatte in einem eigenen Antrag eine Wahlrechtsreform auf der Grundlage des personalisierten Verhältniswahlrechts vorgeschlagen, mit der die Zahl der Bundestagsmandate "in Richtung einer Regelgröße von 590 Abgeordneten reduziert" werden sollte. Außerdem schlugen die Unionsparteien vor, die Zahl der Wahlkreise von auf 270 zu reduzieren und die Regelgröße für Listenmandate auf 320 anzuheben.
Zugleich plädierten CDU und CSU für eine Erhöhung der Zahl unausgeglichener Überhangmandate von zuletzt drei "auf die vom Bundesverfassungsgericht zugelassene Anzahl" von 15. Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland sollten nach ihrem Willen "wie bisher mit Listenmandaten der gleichen Partei in anderen Bundesländern verrechnet" werden.
Die Linksfraktion hatte ganz eigene Vorschläge zur Reform des Wahlrechts gemacht – in drei Anträgen zielte sie darauf ab, das Mindestalter für das aktive Wahlrecht bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre abzusenken, ein Ausländerwahlrecht auf Bundesebene ab einem fünfjährigen legalen Aufenthalt einzuführen – und zur Stärkung des Frauenanteils im Bundestag im Parteiengesetz festzuschreiben, dass Frauen und Männer bei der Aufstellung der Landeslisten gleichermaßen berücksichtigt werden müssen.
Und wer denkt an das größte Lager?
Nicht gedacht wurde im Bundestag wieder einmal an das in Wahrheit größte Lager – nämlich die Menschen, die zwar wählen dürfen, sich von keiner wählbaren Partei ausreichend vertreten fühlen, um es zu tun.
Hierzu hatte der Ex-SPD-Politiker Marco Bülow (Die Partei) bereits einen Vorschlag gemacht: "Fällt die Wahlbeteiligung unter 80 Prozent, müssen Plätze in der Größenordnung der Nichtwähler:innen frei bleiben oder per Los besetzt werden." Dann würden die Parteien sich endlich um diese riesige Gruppe bemühen, argumentiert Bülow.
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