Wann kommt die europäische Reichensteuer?

Seite 2: EU-Initiativen versuchen, das politische Tabu zu brechen

So bildeten die SPD und die Grünen 2021 gemeinsam mit der FDP eine neue Regierung. Obwohl man durchaus in der Lage wäre, eine Steuer für die Reichsten der Gesellschaft wieder einzuführen, und sei es auch nur in Form einer befristeten Maßnahme, wurde diese Möglichkeit schnell und wenig überraschend verworfen.

Auch in Frankreich ist eine Vermögenssteuer weiter politisch tabu. Verschiedene Strategien zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer wurden von Emmanuel Macron abgelehnt, wobei Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte, dass die Einführung einer solchen Steuer "nicht die Lösung" sei.

Die Blockade ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, wie die Gegner einer Vermögenssteuer die Debatten framen. Während sie in Frankreich ursprünglich als Solidaritätsmaßnahme und in Deutschland als Haushaltsmittel für die Bundesländer gedacht war, haben die Gegner erfolgreich ihre vermeintlichen Auswirkungen auf die Unternehmen hervorgehoben.

Obwohl das Betriebsvermögen von der Bemessungsgrundlage ausgenommen werden sollte, wurde die Steuer als versteckte Unternehmenssteuer kritisiert. Es wird behauptet, dass eine Vermögenssteuer im Rahmen des Steuerwettbewerbs zwischen den Staaten zu einer Abwanderung der Reichsten, zu einer Kapitalflucht und damit zum Verlust von Arbeitsplätzen führen würde.

Diese Kampagnen von Unternehmensseite und Kapitaleignern war auch in anderen europäischen Ländern erfolgreich. Vermögenssteuern in den Mitgliedstaaten der EU sind praktisch verschwunden. Heute gibt es nur noch in Spanien eine derartige Steuer, deren Schwellenwert bei 700.000 Euro liegt und deren Steuersätze im Land je nach Region variieren.

Doch langsam werden in Europa die Forderungen nach einer Vermögenssteuer zur Finanzierung des ökologischen Wandels lauter. Eine Reihe von Initiativen verschiedener politischer Bewegungen hat das Thema (wieder) auf die politische Tagesordnung gesetzt.

So reichten französische sozialdemokratischen Europaabgeordneten bei der Europäischen Kommission eine Anfrage zu einer "Europäische Bürgerinitiative" ein. Wenn sie innerhalb eines Jahres eine Million Unterschriften in mindestens sieben Ländern sammeln, könnte sie zur Ausarbeitung einer europäischen Richtlinie führen, die eine "ökologische und soziale Vermögenssteuer" für das reichste eine Prozent der Haushalte einführt. Im Juli hat die Kommission grünes Licht für die Unterschriftensammlung gegeben.

Eine Studie von Tax Justice Network untersuchte die möglichen Auswirkungen einer solchen Initiative. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine europäische Steuer auf die 0,5 Prozent der reichsten Haushalte 213 Milliarden Euro pro Jahr einbringen würde.

Da auf nationaler Ebene eine Vermögenssteuer nicht mehr durchsetzbar erscheint, verlagern sich Initiativen verstärkt auf die EU-Ebene. Sie verknüpfen die Steuer dabei mit dem neuen Thema Umwelt, Klima und der Energiewende.

Die Steuer könnte danach Investitionen für das benötigte grüne Konjunktur- und Jobprogramm finanzieren. In den USA hat man mit dem Inflation Reduction Act, der dort u.a. saubere Zukunftsindustrien fördert, einen ersten, wenn auch kleinen Schritt unternommen.

Politologe Baloge verweist darauf, dass eine Analyse der parlamentarischen Archive für den Zeitraum 2010 bis 2016 ergeben habe, dass keine Partei in Frankreich oder Deutschland, einschließlich der Umweltschützer, dieses politische Framing – die EU-weite Einführung der Abgabe, mit dem Ziel einer grünen Konjunkturinitiative –, verwendet habe. Es scheint, dass dieser Weg jetzt stärker beschritten werden soll, um aus der Sackgasse zu gelangen, in die die Debatte um eine Reichensteuer durch die Blockade auf nationaler Ebene gelangt ist.

Mit einer europäischen Reichensteuer könnte zugleich gezeigt werden, dass die EU handlungsfähig ist, ihren Bürger:innen attraktive Angebote machen kann, von denen sie profitieren, und zugleich den rechten EU-Skeptikern vor den Wahlen im nächsten Jahr nicht kampflos die Arena überlassen will.