Wann kommt die europäische Reichensteuer?
National ist die Vermögenssteuer in den EU-Staaten tot. Vor allem in Deutschland und Frankreich. Aber es gibt einen Weg aus der politisch gezimmerten Sackgasse.
Vor gut einem Jahr, am 10. November 2022, wurde der Antrag der Linksfraktion im Bundestag zu einer Wiedereinführung einer Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliarde in Deutschland vom Parlament zurückgewiesen. Das war weder überraschend noch neu.
Dabei würde eine solche Steuer Sinn machen. In dem Vermögenssteuer-Antrag der Linken von 2018 heißt es, dass bei einem Nettovermögen über einer Million Euro (privat) und bei betriebsnotwendigem Sachvermögen nach Abzug aller Verbindlichkeiten über fünf Millionen Euro eine Steuer von fünf Prozent greifen soll.
Begründet wurde das damit, dass in "keinem Land Europas, ausgenommen Österreich" der Reichtum so ungleich verteilt sei "wie in Deutschland. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung würden die 400.000 vermögendsten Haushalte (ein Prozent aller Haushalte) mit rund 2,7 Billionen Euro über etwa ein Drittel des gesamten Nettovermögens verfügen. Demgegenüber habe die ärmere Hälfte aller Haushalte lediglich einen Anteil von 2,6 Prozent am gesamten Nettovermögen."
Das war 2018. In den letzten Jahren und nach der Corona-Pandemie hat sich das Verhältnis noch mehr zuungunsten der allgemeinen Bevölkerung entwickelt. Nach Berechnungen des DIW, auch darauf bezog sich der Parlamentsantrag, würde eine Vermögensabgabe für die reichsten 0,7 Prozent zu Einnahmen von 310 Milliarden Euro führen.
Doch der Bundestag sieht keinen Handlungsbedarf. Während die Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Negativvotum vor einem Jahr auf den Koalitionsvertrag verwiesen, der Steuererhöhungen in dieser Legislaturperiode ausschließe, sprachen sich CDU/CSU-Fraktion und AfD-Fraktion grundsätzlich gegen eine solche Abgabe aus. 36 Abgeordnete stimmten am Ende für den Antrag, 649 Abgeordnete lehnten ihn ab.
Einen Monat später, im Dezember, fand erneut eine Umfrage heraus, dass eine sogenannte "Reichensteuer" in Deutschland populär ist. Von den Befragten befürworten danach 73 Prozent eine Vermögenssteuer für Personen mit einem Vermögen von mindestens einer Million Euro.
Bei den Grünen-Wähler:innen sind es 92 Prozent, bei denen der SPD 89 Prozent und bei denen der Linken 84 Prozent. Von den Wählerinnen und Wählern der Unionsparteien sind es 69 Prozent, bei denen der AfD 50 Prozent, während nur 30 Prozent der FDP-Wähler eine derartige Steuer wollen.
In Deutschland ist die Vermögensteuer nach wie vor im Grundgesetz verankert, obwohl sie seit dem 22. Juni 1995 nicht mehr erhoben wird. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sie gegen den Grundsatz der Gleichheit vor der Steuer verstößt: Immobilien wurden auf der Grundlage der Grundstückswerte von 1964 besteuert, während das Finanzvermögen zum Marktwert bewertet wurde.
Da das Eigentum weniger stark besteuert wurde als das Geldvermögen, forderte das Gericht die Regierung Helmut Kohl auf, die der Vermögenssteuer zugrunde liegenden Immobilienwerte zu ändern. Da die Kohl-Regierung das nicht tat, wurde die Steuer am 1. Januar 1997 automatisch ausgesetzt, aber nicht abgeschafft.
In Deutschland haben die SPD und die Grünen das Thema bei jeder Bundestagswahl in ihr Programm aufgenommen, aber mit Ausnahme der Partei Die Linke wird keine Partei aktiv.
Interviews, die der Politikwissenschaftler Martin Baloge von der Universität in Lille in Frankreich zwischen 2010 und 2016 mit Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen geführt hat, zeigen, dass die Verteidigung der Vermögenssteuer nur eine Fassade ist.
Ihr Hauptzweck bestehe nach Baloges Einschätzung eher darin, die Unterstützung von Wählern, Verbänden und Gewerkschaften zu gewinnen, als in die verschiedenen Koalitionsverträge aufgenommen zu werden, die im Laufe der Jahre ausgehandelt werden sollen.
EU-Initiativen versuchen, das politische Tabu zu brechen
So bildeten die SPD und die Grünen 2021 gemeinsam mit der FDP eine neue Regierung. Obwohl man durchaus in der Lage wäre, eine Steuer für die Reichsten der Gesellschaft wieder einzuführen, und sei es auch nur in Form einer befristeten Maßnahme, wurde diese Möglichkeit schnell und wenig überraschend verworfen.
Auch in Frankreich ist eine Vermögenssteuer weiter politisch tabu. Verschiedene Strategien zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer wurden von Emmanuel Macron abgelehnt, wobei Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte, dass die Einführung einer solchen Steuer "nicht die Lösung" sei.
Die Blockade ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, wie die Gegner einer Vermögenssteuer die Debatten framen. Während sie in Frankreich ursprünglich als Solidaritätsmaßnahme und in Deutschland als Haushaltsmittel für die Bundesländer gedacht war, haben die Gegner erfolgreich ihre vermeintlichen Auswirkungen auf die Unternehmen hervorgehoben.
Obwohl das Betriebsvermögen von der Bemessungsgrundlage ausgenommen werden sollte, wurde die Steuer als versteckte Unternehmenssteuer kritisiert. Es wird behauptet, dass eine Vermögenssteuer im Rahmen des Steuerwettbewerbs zwischen den Staaten zu einer Abwanderung der Reichsten, zu einer Kapitalflucht und damit zum Verlust von Arbeitsplätzen führen würde.
Diese Kampagnen von Unternehmensseite und Kapitaleignern war auch in anderen europäischen Ländern erfolgreich. Vermögenssteuern in den Mitgliedstaaten der EU sind praktisch verschwunden. Heute gibt es nur noch in Spanien eine derartige Steuer, deren Schwellenwert bei 700.000 Euro liegt und deren Steuersätze im Land je nach Region variieren.
Doch langsam werden in Europa die Forderungen nach einer Vermögenssteuer zur Finanzierung des ökologischen Wandels lauter. Eine Reihe von Initiativen verschiedener politischer Bewegungen hat das Thema (wieder) auf die politische Tagesordnung gesetzt.
So reichten französische sozialdemokratischen Europaabgeordneten bei der Europäischen Kommission eine Anfrage zu einer "Europäische Bürgerinitiative" ein. Wenn sie innerhalb eines Jahres eine Million Unterschriften in mindestens sieben Ländern sammeln, könnte sie zur Ausarbeitung einer europäischen Richtlinie führen, die eine "ökologische und soziale Vermögenssteuer" für das reichste eine Prozent der Haushalte einführt. Im Juli hat die Kommission grünes Licht für die Unterschriftensammlung gegeben.
Eine Studie von Tax Justice Network untersuchte die möglichen Auswirkungen einer solchen Initiative. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine europäische Steuer auf die 0,5 Prozent der reichsten Haushalte 213 Milliarden Euro pro Jahr einbringen würde.
Da auf nationaler Ebene eine Vermögenssteuer nicht mehr durchsetzbar erscheint, verlagern sich Initiativen verstärkt auf die EU-Ebene. Sie verknüpfen die Steuer dabei mit dem neuen Thema Umwelt, Klima und der Energiewende.
Die Steuer könnte danach Investitionen für das benötigte grüne Konjunktur- und Jobprogramm finanzieren. In den USA hat man mit dem Inflation Reduction Act, der dort u.a. saubere Zukunftsindustrien fördert, einen ersten, wenn auch kleinen Schritt unternommen.
Politologe Baloge verweist darauf, dass eine Analyse der parlamentarischen Archive für den Zeitraum 2010 bis 2016 ergeben habe, dass keine Partei in Frankreich oder Deutschland, einschließlich der Umweltschützer, dieses politische Framing – die EU-weite Einführung der Abgabe, mit dem Ziel einer grünen Konjunkturinitiative –, verwendet habe. Es scheint, dass dieser Weg jetzt stärker beschritten werden soll, um aus der Sackgasse zu gelangen, in die die Debatte um eine Reichensteuer durch die Blockade auf nationaler Ebene gelangt ist.
Mit einer europäischen Reichensteuer könnte zugleich gezeigt werden, dass die EU handlungsfähig ist, ihren Bürger:innen attraktive Angebote machen kann, von denen sie profitieren, und zugleich den rechten EU-Skeptikern vor den Wahlen im nächsten Jahr nicht kampflos die Arena überlassen will.