Warum Nato und EU der Ukraine nicht helfen werden
Militärallianz kritisiert russische Truppenkonzentration an Grenze, EU unterstützt Krim-Initiative. Zu offensiv aber will sich niemand positionieren
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich heute nach einem Treffen mit dem ukrainischen Außenminister Dmitri Kuleba in Brüssel besorgt über die Verstärkung russischer Truppen an der Grenze zur Ostukraine geäußert. Die Konzentration von militärischem Gerät und Soldaten sei "ungerechtfertigt, fragwürdig und zutiefst beunruhigend", so Stoltenberg.
Das Thema steht auch auf der Tagesordnung einer Videokonferenz der Außen- und Verteidigungsminister der 30 Nato-Mitgliedsstaaten am Mittwoch. Im Osten der Ukraine stehen die Gebiete Donezk und Luhansk seit sieben Jahren unter Kontrolle prorussischer Separatisten.
Der Oberkommandierende der ukrainischen Armee, Ruslan Chomtschak, hatte unlängst eine militärische Offensive zur Rückeroberung der beiden Gebiete in Aussicht gestellt. Kurz zuvor hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj eine neue Militärstrategie vorgestellt, in der die Abwehr militärischer Bedrohungen skizziert wird. Wie dieses Dokument benennt auch die aktuelle Militärdoktrin aus dem Jahr 2015 Russland als unmittelbaren Aggressor und Hauptbedrohung.
Auch vor diesem Hintergrund gilt ein aktives Eingreifen des Nordatlantikpaktes in den Konflikt als ausgeschlossen. Zwar ist die Ukraine ein Partnerland der westlichen Militärallianz, aber kein Mitglied. Die Nachrichtenagentur dpa zitiert einen EU-Diplomaten mit den Worten, niemand könne ein Interesse daran haben, wegen eines Regionalkonfliktes einen Dritten Weltkrieg zu provozieren.
Daher ist derzeit auch ein Beitritt der Ukraine zur Nato ausgeschlossen. In diesem Fall müssten die übrigen Staaten dem Land bei einer militärischen Bedrohung beistehen, was womöglich Krieg mit Russland bedeuten würde, dessen Militärdoktrin wiederum das Eingreifen zum Schutz russischer Staatsbürger im Ausland erlaubt. In der Ostukraine besitzen hunderttausende Menschen neben dem ukrainischen auch einen russischen Pass – ein Trend, der von Moskau zuletzt aktiv befördert wurde.
Während sich die Nato also bislang auf russlandkritische Kommentare beschränkt, will die EU die Ukraine aktiver unterstützen. Nach Informationen von Telepolis haben sich gut ein Dutzend EU-Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, eine internationale Initiative Selenskyjs zur Wiedervereinigung der Halbinsel Krim mit der Ukraine zu stärken. Doch auch dabei will man sich in Brüssel nicht zu offensichtlich mit Moskau anlegen.
Politische Unterstützung und kritische Distanz zu Kiew
Stärker unterstützt werden soll den Angaben zufolge die sogenannte Internationale Krim-Plattform. Die Initiative war am 23. September vergangenen Jahres von Selenskyj ins Leben gerufen worden, um internationale Unterstützung zur Wiedereingliederung der Krim zu mobilisieren. Die Halbinsel war 2014 von Russland zum Teil des eigenen Staatsgebietes erklärt worden. Moskau beruft sich auf eine Abstimmung zur Staatszugehörigkeit, die Ukraine und der Westen sprechen von einer völkerrechtswidrigen Annexion.
Nun hätten sich rund die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten dafür ausgesprochen, die Krim-Plattform zu unterstützen. Es gehe darum, so der EU-Diplomat, das Thema auf der politischen Tagesordnung zu behalten. Zuletzt hatte die Unterstützung für UN-Resolutionen gegen den Anschluss der Krim an Russland abgenommen.
Dennoch lassen die Beteiligten Vorsicht walten. So gilt es als unwahrscheinlich, dass die EU einen eigenen Sonderbeauftragten für den Krim-Disput benennt. Auch heißt es aus Brüssel, man wolle etwaige Finanzhilfe in der eigenen Hand behalten. In den vergangenen Jahren hatte die EU wiederholt die Korruption und den Missbrauch öffentlicher Gelder in der Ukraine beanstandet.
So scheinen die Optionen des Westens auch nach der Nato-Beratung in Brüssel – zu der US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin persönlich angereist waren – beschränkt. Konkret äußern wollte sich bei der Nato niemand zu Kulebas Forderungen nach neuen Sanktionen gegen Russland und mehr Militärhilfe.
Davor gewarnt hatte der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow. Weitere Waffenhilfe des Westens für Kiew würde die Ukraine "in ein Pulverfass" verwandeln, sagte er. Den USA warf Rjabkow angesichts der Verlegung von Kriegsschiffen in die Region Provokation vor.