Warum der Kapitalismus den Westen verlässt – auf der Suche nach Profit
Seite 2: Nur die Gewinne fließen zurück in die alten Zentren
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- Nur die Gewinne fließen zurück in die alten Zentren
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Der Niedergang der USA innerhalb einer sich verändernden Weltwirtschaft hat zur Krise des US-Kapitalismus beigetragen. Für das US-Imperium, das aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging, stellen China und seine Brics-Verbündeten die erste ernsthafte, anhaltende wirtschaftliche Herausforderung dar.
Die offizielle Reaktion der USA auf diese Veränderungen war bisher eine Mischung aus Ressentiments, Provokation und Leugnung. Das sind weder Lösungen für die Krise noch erfolgreiche Anpassungen an eine veränderte Realität.
Drittens hat der Ukraine-Krieg die wichtigsten Auswirkungen der geografischen Bewegungen des Kapitalismus und den beschleunigten wirtschaftlichen Niedergang der USA im Vergleich zum wirtschaftlichen Aufstieg Chinas aufgezeigt. So hat der von den USA angeführte Sanktionskrieg gegen Russland es nicht geschafft, den Rubel zu zerstören oder die russische Wirtschaft zum Einsturz zu bringen.
Dieser Misserfolg ist zu einem guten Teil darauf zurückzuführen, dass Russland entscheidende Unterstützung von den Bündnissen (Brics) erhielt, die bereits um China herum aufgebaut wurden. Diese Allianzen, die durch die Investitionen ausländischer und einheimischer Kapitalisten, insbesondere in China und Indien, gestärkt wurden, boten alternative Märkte, als die Sanktionen die westlichen Märkte für russische Exporte verschlossen.
Frühere Einkommens- und Vermögensunterschiede in den USA, die sich durch den Export und die Automatisierung hoch bezahlter Arbeitsplätze verschärft hatten, untergruben die wirtschaftliche Grundlage der "großen Mittelschicht", der sich so viele Arbeitnehmer zugehörig fühlen. In den letzten Jahrzehnten mussten Arbeitnehmer, die sich den "amerikanischen Traum" erfüllen wollten, feststellen, dass die gestiegenen Kosten für Waren und Dienstleistungen dazu führten, dass dieser Traum unerreichbar geworden war.
Ihre Kinder, insbesondere diejenigen, die gezwungen sind, Kredite für das College aufzunehmen, befanden sich in einer ähnlichen oder sogar noch schlimmeren Situation. Während sich die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse immer weiter verschlechterten, kam es zu Widerständen aller Art (gewerkschaftliche Organisierung, Streiks, linker und rechter "Populismus").
Erschwerend kam hinzu, dass die Massenmedien den verblüffenden Reichtum der wenigen, die am meisten von der neoliberalen Globalisierung profitierten, feierten. In den USA spiegeln Phänomene wie der ehemalige Präsident Donald Trump, der unabhängige Senator Bernie Sanders aus Vermont, der Glaube an eine weiße Vorherrschaft, gewerkschaftliche Bewegungen, Streiks, expliziter Antikapitalismus, "Kultur"-Kriege und häufig bizarrer politischer Extremismus die sich vertiefende soziale Spaltung wider.
Viele Menschen in den USA fühlen sich verraten, nachdem sie vom Kapitalismus im Stich gelassen wurden. Ihre unterschiedlichen Erklärungen für diesen Verrat verschärfen das weitverbreitete Gefühl der Krise in der Nation.
Die globale Verlagerung des Kapitalismus hat dazu beigetragen, dass das Gesamt-BIP der Brics-Staaten (China und Verbündete) weit über das der G7 (USA und Verbündete) gestiegen ist. Alle Länder des Globalen Südens können sich mit ihren Bitten um Entwicklungshilfe nun an zwei mögliche Adressaten wenden (China und die USA), nicht nur an den Westen.
Wenn chinesische Unternehmen in Afrika investieren, dann sind ihre Investitionen natürlich so strukturiert, dass sie sowohl den Gebern als auch den Empfängern helfen. Ob die Beziehung zwischen ihnen imperialistisch ist oder nicht, hängt von den Besonderheiten der Beziehung und der Bilanz der Nettogewinne ab.
Diese Gewinne für die Brics werden wahrscheinlich erheblich sein. Die Anpassung Russlands an die Sanktionen aufgrund des Ukraine-Kriegs hat nicht nur dazu geführt, dass es sich stärker auf die Brics stützt, sondern auch die wirtschaftlichen Interaktionen zwischen den Brics-Mitgliedern intensiviert.
Bestehende wirtschaftliche Verbindungen und gemeinsame Projekte zwischen ihnen haben zugenommen. Neue sind längst im Entstehen. Es überrascht nicht, dass in letzter Zeit weitere Länder des Globalen Südens die Mitgliedschaft in den Brics beantragt haben.
Der Kapitalismus hat sich weiterentwickelt, seine alten Zentren aufgegeben und damit seine Probleme und Spaltungen auf ein Krisenniveau getrieben. Da die Gewinne immer noch in die alten Zentren zurückfließen, gaukeln diejenigen, die dort die Gewinne einstreichen, ihren Ländern und sich selbst vor, dass im und für den globalen Kapitalismus alles in Ordnung sei.
Da diese Gewinne die wirtschaftlichen Ungleichheiten drastisch verschärfen, vertiefen sich die sozialen Krisen dort. Die Welle des Arbeitskampfes, die fast alle US-Industrien erfasst hat, spiegelt die Wut und den Unmut über diese Ungleichheiten wider.
Die hysterische Verurteilung unterschiedlicher Minderheiten und ihre Erhebung zum Sündenbock durch rechtsgerichtete Demagogen und Bewegungen ist ein weiterer Ausdruck der sich verschärfenden Schwierigkeiten.
Ein weiterer Grund ist die wachsende Erkenntnis, dass das tiefer liegende Problem das kapitalistische System ist. All das sind Bestandteile der heutigen Krise.
Selbst in den neuen dynamischen Zentren des Kapitalismus stellt sich eine kritische sozialistische Frage, die die Menschen wieder aufrüttelt. Ist die Organisation der Arbeitsplätze in den neuen Zentren – die Beibehaltung des alten kapitalistischen Modells von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in privaten und staatlichen Unternehmen – wünschenswert oder nachhaltig?
Ist es akzeptabel, dass eine kleine Gruppe, die Arbeitgeber, exklusiv und ohne Rechenschaftspflicht die meisten wichtigen Entscheidungen am Arbeitsplatz trifft (was, wo und wie produziert wird und was mit den Gewinnen geschehen soll)? Das ist eindeutig undemokratisch.
Die Beschäftigten in den neuen Zentren des Kapitalismus stellen das System bereits infrage. Einige haben damit begonnen, es infrage zu stellen und dagegen vorzugehen.
Dort, wo diese neuen Zentren eine Art von Sozialismus leben, werden sich die Arbeiter eher (und früher) gegen die Unterordnung unter die verbleibenden kapitalistischen Hierarchien bei ihren Jobs wehren.
Dieser Artikel wurde von Economy for All, einem Projekt des Independent Media Institute, produziert. Übersetzung: David Goeßmann.
Richard D. Wolff ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts, Amherst, und Gastprofessor im Graduiertenprogramm für internationale Angelegenheiten der New School University in New York. Er ist Moderator und Produzent der weitverbreiteten Radio- und Videosendung "Economic Update with Richard D. Wolff". Seine letzten Bücher sind: "The Sickness Is the System: When Capitalism Fails to Save Us From Pandemics or Itself", "Understanding Marxism" und "Understanding Socialism".