Warum es ratsam wäre, jetzt mit Russland in Verhandlungen zu treten
Ukraine verliert massiv Soldaten, während Russland dominiert. Soldaten aus den USA und Nordkorea drohen den Krieg zu eskalieren. Ein Kommentar.
Langsam, aber stetig rücken die Truppen der Russischen Föderation in der Ukraine vor. Doch nicht die Geländegewinne der russischen Streitkräfte sind das eigentlich Beunruhigende für die ukrainischen Verteidiger, sondern die vermutlich hohen ukrainischen Verluste, die vermutlich um ein Vielfaches höher liegen als die der russischen Truppen.
Russische Truppen rücken vor: Hohe Verluste für die Ukraine
Dies liegt primär an der drückenden Überlegenheit der russischen Artillerie, nicht nur bei der klassischen Rohrartillerie, sondern auch bei der Raketenartillerie. Hinzu kommt, dass die Verteidiger mit einer zunehmenden Flut von Gleitbomben zu kämpfen haben.
Die russischen Streitkräfte haben nun mit der FAB-3000 eine noch schwerere Variante ihrer FAB mit dem UMPK-Gleitrüstsatz ausgerüstet, bis zu 3 Tonnen wiegen diese fliegenden Bomben nun und zerstören die ukrainischen Verteidigungsanlagen.
Neu sind 1,5 Tonnen schwere Gleitbomben mit thermobarischer Ladung. Diese auch Aerosolbomben genannten Sprengsätze zielen nicht nur auf die direkte Zerstörungswirkung ab, sondern entziehen durch ihren immensen Sauerstoffverbrauch bei der Zündung den Soldaten die Atemluft. In den sozialen Netzwerken wird der Einsatz dieser neuen ODAB-Gleitbombe dokumentiert.
Neue thermobarische Gleitbomben zerstören ukrainische Verteidigungsanlagen
Beunruhigend für Kiew: Die Zahl der Gleitbombeneinsätze steigt stetig, bereits im April vermutete der britische Guardian, dass die russische Luftwaffe pro Woche rund 500 dieser zu Präzisionswaffen aufgerüsteten Freifallbomben einsetzen kann. Diese Zahl dürfte sich in den letzten beiden Monaten weiter erhöht haben.
In Fachkreisen und englischsprachigen Medien wird die sich abzeichnende Niederlage der Ukraine seit Monaten diskutiert. Erst in der vergangenen Woche veröffentlichte die US-amerikanische Denkfabrik Defence Priorities ein Papier, in dem sie sich für Verhandlungen mit Russland ausspricht:
Anstatt sich weiterhin auf maximalistische Siegesphantasien zu versteifen, sollten die USA für einen Wechsel zu einer defensiven Strategie und Offenheit für eine Verhandlungslösung zur Beendigung des Krieges eintreten, so dass ein souveräner und unabhängiger ukrainischer Staat im Angesicht eines bis zum Kollaps geführten Kampfes erhalten werden kann.
US-Denkfabrik empfiehlt Verhandlungen mit Russland
Schaut man sich die Mehrheit der deutschen Medien an, stellt sich die Situation ganz anders dar: Hier eilen die Kiewer Truppen von Sieg zu Sieg, die russischen Streitkräfte werden täglich vernichtend geschlagen. Vorreiter in der Berichterstattung alternativer Realitäten wären hier etwa die Publikationen der Ippen-Gruppe, deren bekannteste Zeitung die von ihr übernommene Frankfurter Rundschau ist. Oder das ZDF mit seinem Dauergast Marcus Keupp.
Selenskyj räumt erstmals enorme Verluste ein
Doch gestern gab der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, in Brüssel eine bemerkenswerte Erklärung ab, deren wichtigster Satz es weder in die deutsch- noch in die englischsprachigen Medien schaffte. Selenskyj räumte gestern erstmals die enormen Verluste der ukrainischen Armee ein, die so groß seien, dass der Kampf nicht viel länger fortgesetzt werden könne. Wörtlich sagte er, hier zitiert nach X:
Die Ukraine will den Krieg nicht verlängern. Wir wollen nicht, dass er jahrelang andauert. Wir haben viele Verwundete und Tote auf dem Schlachtfeld. Wir müssen innerhalb weniger Monate einen Plan zur Beilegung des Konflikts auf den Tisch legen.
Zum ersten Mal hört die Weltgemeinschaft aus dem Munde des sonst so siegesgewissen Präsidenten, in welch verzweifelter Lage sich seine Truppen seit der gescheiterten Sommeroffensive im vergangenen Jahr befinden. Und das, obwohl die von der Ukraine so dringend erwartete Waffenhilfe seit einigen Wochen im Land eintrifft.
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Westliche Analysten unterschätzten russische Rüstungsindustrie
Die brasilianische Analystin Patricia Marins ist dagegen eine der verlässlichsten Beobachterinnen im Rückblick. Sie schreibt auf ihrem X-Account über Selenskyjs gestrige Erklärung in Brüssel:
Der Hauptfehler [des Westens] bestand jedoch darin, dass die Fähigkeiten der russischen Rüstungsindustrie nicht richtig analysiert wurden und der Zustand der sowjetischen Lagerbestände nicht einmal bekannt war.
Die militärischen Vorhersagen vieler westlicher Analysten, Politiker, Militärs und Geheimdienste waren, um es vorsichtig auszudrücken, unausgereift und fahrlässig.
Ob Halbleiter, Elektronik, Munition, Arbeitskräfte, Geld oder Stahl - alle Vorhersagen waren falsch. Zelenskyj räumt eine Niederlage ein, spielt aber auch seine letzte Karte aus: eine internationale Intervention oder aber die Niederlage.
Viele Beobachter sind sich einig, dass die neuen Waffenlieferungen den ukrainischen Streitkräften nicht helfen werden, die drohende Niederlage abzuwenden. So bleibt nur die Wahl, entweder eine Niederlage der Ukraine hinzunehmen oder selbst Truppen zu entsenden.
USA erwägen Entsendung von Militärtechnikern in die Ukraine
Diese von Patricia Marins angesprochene internationale Intervention durch NATO-Bodentruppen könnte nun bevorstehen. Denn die USA erwägen einen ersten Schritt in diese Richtung, nämlich die Entsendung von Militärtechnikern in das Kriegsgebiet.
In Moskau scheint man darauf bereits reagiert zu haben. Angeblich sollen symmetrisch zu den US-Ankündigungen schon im nächsten Monat Truppen aus Nordkorea im Donbass eintreffen, und zwar Pioniere. Das berichtet die Kyiv Post:
Als Reaktion darauf kündigte Pjöngjang Anfang dieser Woche die Entsendung von Truppen in Form einer militärtechnischen Einheit an, um die russischen Streitkräfte vor Ort in der Region Donezk zu unterstützen. Die Truppen sollen bereits im nächsten Monat auf dem Schlachtfeld eintreffen.
Nordkorea kündigt Entsendung von Truppen an
Das ebenfalls in der Ukraine erscheinende Portal Defense Express merkt an, dass es in den russischen Streitkräften genug Pioniere geben würde. Und spekuliert stattdessen über eine noch stärkere Beteiligung Nordkoreas:
Im Sommer 2022 war die Rede von einer möglichen Beteiligung nordkoreanischer Expeditionsstreitkräfte an der Seite Russlands, die 100.000 Soldaten umfassen. Wahrscheinlich nimmt dieser Prozess jetzt eine konsequente Fortsetzung.
Bereits jetzt versorgt Nordkorea die russische Armee mit Artilleriemunition und Raketen. Die oben zitierte Kyiv Post geht davon aus, dass seit September vorigen Jahres bereits 2 Millionen nordkoreanische Artillerie-Granaten die russischen Streitkräfte erreicht hätten.
Offensichtlich wird den Entscheidungsträgern sowohl in Kiew als auch in den USA immer deutlicher, in welch aussichtsloser militärischer Lage sich die Ukraine befindet. Selenskyjs Worte können zu Recht als historisch bezeichnet werden. Es ist das erste Mal, dass der ukrainische Präsident eine mögliche Niederlage und untragbare militärische Verluste eingesteht. Ohne ausländische Truppen wird die Ukraine diesen Krieg also verlieren. Und das vielleicht schon in wenigen Monaten.
Eskalation des Krieges durch ausländische Truppen
Sowohl die Überlegungen der USA, eigenes Militärpersonal in die Ukraine zu entsenden, als auch die mögliche Entsendung nordkoreanischer Truppen stellen eine beispiellose Eskalation des Krieges in der Ukraine dar. Moskau macht damit deutlich, dass es in der Lage ist, einen möglichen Truppenaufmarsch von Nato-Staaten zu kontern, und zwar mit einer vermutlich größeren Truppenstärke.
Über die Qualität der nordkoreanischen Truppen kann nur spekuliert werden. Klar ist aber, dass Nordkorea ein Militärstaat mit intensiv ausgebildeten Soldaten und einer vergleichsweise großen Rüstungsindustrie ist. So verfügt das asiatische Land insbesondere bei den Waffengattungen, die sich im Ukrainekrieg als militärisch durchsetzungsfähig erwiesen haben, der klassischen Artillerie und den Mehrfachraketenwerfersystemen, über einen zahlenmäßig beeindruckenden Bestand.
Es ist davon auszugehen, dass das Land eine große Zahl von Soldaten in die Ukraine entsenden könnte. Es ist nicht auszuschließen, dass auch der Iran irgendwann eigene Truppen in die Ukraine entsendet.
Und es ist nicht abwegig zu behaupten, dass auch China bereit wäre, die befreundete Russische Föderation deutlich stärker als bisher zu unterstützen, sollten die russischen Streitkräfte militärisch in Bedrängnis geraten.
Verhandlungen statt unkontrollierbare Eskalation
Die sich abzeichnende Niederlage der Ukraine könnte daher zu einer militärischen Kettenreaktion, zu einer unkontrollierbaren Eskalation führen, wenn nicht auf Verhandlungen gesetzt wird.
Zwar könnten Truppen aus Nato-Staaten kurzfristig den offenbar bevorstehenden Zusammenbruch der ukrainischen Streitkräfte auffangen. Mittel- und langfristig gibt es jedoch für die USA und ihre Verbündeten keinen militärischen Weg, die Streitkräfte der Russischen Föderation zu besiegen, da Russland von Staaten mit sehr starken Streitkräften und großen Rüstungskapazitäten unterstützt wird.
Wenn es also die Vorstellung der mit der NATO verbundenen Strategen sein sollte, Russland zu besiegen oder auch nur die russischen Streitkräfte aus dem ehemaligen ukrainischen Staatsgebiet in den Grenzen vor 2014 zurückzudrängen, so kann dies nur als unseriös bezeichnet werden. Eine solche Vorstellung ist wohl selbst dann als unrealistisch anzusehen, wenn Russland keine Unterstützung durch Drittstaaten erhalten würde.
Es ist aber zwingend zu berücksichtigen, dass die russische Führung in der Lage sein wird, aus dem Kreis ihrer Verbündeten erhebliche militärische Hilfe zu erhalten, die weit über das hinausgehen wird, was sie heute schon erhält, nämlich den Einsatz befreundeter Truppen und insbesondere den Zufluss weiterer Waffensysteme.
Der Versuch des kollektiven Westens, Russland militärisch in die Knie zu zwingen, wird unweigerlich zu einer großen Eskalation führen, in der eine noch unbekannte Zahl russischer Verbündeter – territorial entgrenzt – gegen die Länder des kollektiven Westens kämpfen wird.