Warum pachtet Putin nicht einfach die Krim?

Lenkwaffenkorvetten der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Halbinsel Krim. Bild: Cmapm / CC BY 3.0

Die Krim-Frage wird nicht militärisch gelöst. Auch ist die westliche Empörung über die Annexion scheinheilig. Was wir von Guantanamo auf Kuba lernen können.

Wenn es irgendwann zu erneuten Verhandlungen über eine Friedenslösung im Ukraine-Krieg kommen sollte, wird einer der Hauptstreitpunkte sicherlich die Krim sein. Vor gut neun Jahren wurde sie im Zuge der Maidan-Proteste und des Staatscoups in Kiew von Russland annektiert.

Bei Gesprächen zu einem Waffenstillstand im März letzten Jahres, moderiert von der Türkei und dem Vermittler Naftali Bennett, dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten, stand daher der Status der Halbinsel ganz oben auf der Agenda. Die Financial Times berichtete über einen 15-Punkte-Plan und stellte fest:

Der größte Knackpunkt ist nach wie vor die Forderung Russlands, dass die Ukraine die 2014 erfolgte Annexion der Krim und die Unabhängigkeit zweier Separatistenstaaten im östlichen Grenzgebiet Donbas anerkennt.

Die Ukraine hätte bei den Gesprächen diese Forderung aus Moskau zwar abgelehnt, aber man sei "bereit gewesen, das Thema vorerst auszusparen", so Mykhailo Podoljak, leitender Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der türkische Journalist Ragip Sylu berichtete zugleich, dass die Ukraine Russland einen Vorschlag über einen Waffenstillstand unterbreitet habe. Darin heißt es unter Punkt 3:

Ukraine und Russland diskutieren über den Status der Krim für die nächsten 15 Jahre. Die Ukraine wird das Problem nicht mit Gewalt lösen.

Die Chancen auf eine Einigung in Hinsicht auf die Krim haben sich im Zuge der Kriegseskalation jedoch deutlich verschlechtert. Nun erklärt Selenskyj, dass man die Halbinsel militärisch zurückerobern wolle. Auf der Brücke, die die Krim mit dem russischen Festland verbindet, ereignete sich im Oktober 2022 eine Explosion, die die Verbindung unterbrach. Immer wieder finden Zwischenfälle in russischen Militäreinrichtungen statt.

Sicherlich ist die Aneignung der Krim durch Russland rechtswidrig. Zwar argumentieren einige, es habe sich um eine Sezession gehandelt, eine von innen gewollte Loslösung von der Ukraine, da ihr ein Referendum vorangegangen sei. Aber es gibt kaum Staaten, die die Krim-Aneignung anerkannt haben, aus gutem Grund. Denn damit würde der Unterminierung der territorialen Souveränität von Staaten und der Missachtung von international anerkannten Grenzen Tür und Tor geöffnet.

Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die durch westliche Staaten gehende Empörungswelle seit der Annexion vor neun Jahren eine gefährliche Eskalation auf ihrer Schaumkrone trägt. So kommentierte die Wirtschaftswoche direkt nach dem Anschluss der ukrainischen Halbinsel an Russland am 2. März 2014: "Putin hat eine rote Linie überschritten". Der damalige tschechische Präsident Miloš Zeman drohte mit Nato-Soldaten in die Ukraine.

Deutsche und US-amerikanische Journalisten verlangten nach dem Anschluss ebenfalls härtere Sanktionen bis zu Militärinterventionen. "Auf der Krim überschreitet Moskau die rote Linie des Westens, um die Ordnung nach dem Kalten Krieg infrage zu stellen", schrieb das Wochenmagazin Die Zeit am 14. März 2014. In der US-Tageszeitung Boston Globe brachte Kolumnist Thanassis Cambanis den Sachverhalt auf den Punkt:

(Präsident Wladimir) Putins Annexion der Krim ist ein Bruch in der Ordnung, auf die sich Amerika und seine Verbündeten seit dem Ende des Kalten Krieges verlassen haben – nämlich eine, in der Großmächte nur dann militärisch intervenieren, wenn sie einen internationalen Konsens auf ihrer Seite haben, oder, falls das nicht der Fall ist, wenn sie die roten Linien einer rivalisierenden Macht nicht überschreiten.

"Rote Linie", "Bruch in der Ordnung" in Bezug auf die Krim-Annexion: Eine recht einseitige Sichtweise und Empörung. Nicht nur, weil Moskau die USA schon früh und dann immer wieder darauf hinwies, dass eine Nato-Erweiterung bis in die Ukraine und damit direkt an die russische Grenze nicht toleriert werde. Putin warnte George W. Bush 2008 explizit, dass Russland in diesem Fall die Krim zurückerobern würde. Denn sie hat für Moskau eine zentrale Bedeutung, da dort die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist.

Auch aus einem anderen Grund kann die westliche Aufregung um die Krim-Annexion als "rote Linie" und Störung der Weltordnung kaum auf Prinzipien beruhen. Ziehen wir einen Vergleich zurate.

Vor über hundert Jahren zwangen die USA, die Kuba damals militärisch besetzten und eine US-freundliche Regierung installiert hatten, einen Pachtvertrag auf, der Washington die Nutzung von Guantanamo erlaubte. Seit der Unabhängigkeit Kubas in den späten 1950er-Jahren hat die kubanische Regierung den Vertrag immer wieder für ungültig erklärt und die USA aufgefordert, Guantanamo zu verlassen.

Zwar haben Verträge unter militärischem Zwang und Besatzung per se keine Gültigkeit, doch alle US-Regierungen haben sich darüber hinweggesetzt. Präsident Georg W. Bush ließ 2002 auf dem kubanischen Territorium ein Folter-Gefängnis für "feindliche Kämpfer" errichten. Seitdem wird es von den USA dort weiter betrieben, trotz eines Wahlversprechens von Barack Obama, es zu schließen.

Die kubanische Regierung schickte Anfang 2002 nach Errichtung des Guantanamo-Gefangenenlagers einen Brief an die US-Administration, und erinnerte erneut daran, dass Guantanamo Teil des kubanischen Staatsterritoriums sei.

Guantanamo hat für die USA keinerlei Nutzen. Für Kuba hingegen bedeutet die Besetzung Guantanamos den Verlust eines bedeutenden Wirtschaftshafens. Die Aneignung des Hafens ist zudem Teil einer harschen Embargo-Politik der USA gegen die Nachbarinsel, eines Wirtschaftskriegs, der seit Jahrzehnten andauert und die kubanische Bevölkerung und Ökonomie des Landes hart trifft. Die Vereinten Nationen haben den Boykott der USA immer wieder in Resolutionen verurteilt und ein Ende der Wirtschaftsblockade gefordert.