Warum wir Russland nicht mit Saudi-Arabien vergleichen dürfen – aber sollten!

Kanzler Scholz besucht Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman am 24. September 2022. Bild: Denzel / Bundesregierung

Auf die russische Invasion folgen historische Sanktionen und Rekord-Waffenlieferungen an die Ukraine. Saudi-Arabien wird für seinen Krieg im Jemen, Terrorfinanzierung und Journalistenmord belohnt. Warum der Vergleich tabu, aber lehrreich ist.

Seit Russlands Invasion in die Ukraine ist ein gefährlicher Stellvertreterkrieg ausgebrochen. Der Westen liefert seitdem Waffen auf Rekordniveau (im Wert von bisher 100 Milliarden Dollar) an das ukrainische Militär, während ein historisches Sanktionsprogramm eine weltweite Nahrungsmittel- und Energiekrise erzeugt, unter der vor allem die Länder des Globalen Südens und die einfachen Menschen, wo immer sie leben, zu leiden haben. Diplomatie wird abgelehnt und die Maxime ausgerufen, Russland zu schwächen oder gar zu besiegen.

Die Frage, die jedem förmlich auf der Zunge liegen müsste, ist: Was ist derart anders am Verhalten von z.B. Saudi-Arabien, dass nichts dergleichen in solchen Fällen auch nur angedacht werden kann? Warum wird bei Saudi-Arabien weggeschaut, obwohl die repressive Öl-Monarchie seit vielen Jahren ein anderes Land bombardiert und eine der schlimmsten humanitären Katastrophen seit Jahrzehnten ausgelöst hat, weltweit Terror züchtet und unterstützt, sehr wahrscheinlich in die Anschläge von 9/11 involviert gewesen ist und einen kritischen saudischen Journalisten, der für die Washington Post arbeitete, in Istanbul ermorden ließ? Warum wird das repressive und brutale Regime trotzdem weiter vom Westen, insbesondere den USA und Deutschland, hofiert und belohnt?

Solche Fragen werden in der breiten medialen Öffentlichkeit nicht diskutiert und mit dem Verweis auf pragmatische Realpolitik schnell beiseite gelegt. Es mag daran liegen, dass die Antwort darauf die "wertebasierte Außenpolitik" des Westens unter Führung der USA in Frage stellen könnte. Denn Werte basieren nun einmal auf universellen Prinzipien, also auf dem Grundsatz, Gleiches gleich zu behandeln.

Sicherlich, Vergleiche sind immer ungenau und holprig. Aber die groben Linien sollten nicht wirklich strittig sein. Das Putin-Regime und die Verbrechen in der Ukraine werden in den Medien seit vielen Jahren breit geschildert, nicht selten überzeichnet und ohne bzw. verzerrte Kontexte dargeboten, um die russische Kriminalität als beispiellos darzustellen. Aber es sei daran erinnert, dass das saudische Königshaus in Riad dem Beispiel Moskaus nicht nur in Nichts nachsteht, sondern, was die kriminelle Energie angeht, die Nase eher vorne hat.

Ein kleiner kursorischer Überblick muss reichen: Seit Saudi-Arabien und die von ihr angeführt Golf-Allianz den Jemen bombardiert, sind 4,1 Millionen Menschen aus dem Land auf der Flucht. 375.000 Jemeniten oder 1,25 Prozent der Bevölkerung sind seit 2015 durch Kampfhandlungen sowie kriegsbedingten Hunger oder Krankheiten getötet worden. 19 Millionen Menschen leiden aktuell an Hunger, insbesondere viele Kinder sind weiter vom Hungertod bedroht. Beim Uno-Büro für die Koordinierung von humanitären Angelegenheiten (OCHA) spricht man deshalb von der "schlimmsten von Menschen erzeugten humanitären Katastrophe seit vielen Jahrzehnten."

Diese "humanitäre Katastrophe" – darunter die größte jemals dokumentiert Cholera-Epidemie, die im Land wütet – ist nicht vom Himmel gefallen. Die saudische Regierung kontrolliert streng die Hilfslieferungen, blockiert die Zugänge zu See, Luft und Land. Die saudische Luftwaffe hat selbst Flüchtlingsschiffe angegriffen und den lebenswichtigen Hafen Hodeida, über den fast alle notwendigen Lebensmittel und Medizin ins Land kommen, völkerrechtswidrig gesperrt.

Saudi-Arabien gilt auch als Zentrum eines radikalen Islamismus. Abgesehen von zwei Ägyptern waren alle Flugzeug-Entführer der Anschläge von 9/11 Bürger Saudi-Arabiens. Schon lange weiß man, dass es eine Verbindung zwischen zumindest untergeordneten Amtsträgern in Saudi Arabien und den Terroranschlägen vom 9. September 2001 in den USA gibt.

Doch die Belege für die "Saudi Connection" und den Angriffen wurden lange von der US-Regierung unter Verschluss gehalten. Man kann davon ausgehen, dass geopolitische Interessen den Ausschlag für die Geheimhaltung gaben. Nun sind einige davon ans Tageslicht gekommen. Erste Leaks zeigen die Verflechtungen des saudischen Netzwerks mit den Entführern. So vermeldete The Intercept schon vor einem Jahr:

Zwei Jahrzehnte später (nach den Anschlägen von 9/11, Telepolis) jedoch verdichten sich die Hinweise darauf, dass hochrangige saudische Beamte, darunter ein Diplomat der saudischen Botschaft in Washington, zwei der Al-Qaida-Entführer, Khalid al-Mihdhar und Nawaf al-Hazmi, die als erste der Entführer im Jahr 2000 in die Vereinigten Staaten kamen und zuvor etwa anderthalb Jahre in San Diego lebten, indirekt unterstützt haben könnten.

US-Medien berichten vor kurzem über einen neuen FBI-Bericht, in dem festgestellt wird, dass saudische Regierungsbeamte ein Unterstützungsnetzwerk für die Flugzeugentführer vom 11. September 2001 bereitgestellt haben sollen. Auch über 9/11 hinaus gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass Saudi-Arabien Terrororganisationen unterstützt. Phyllis Bennis vom Institute for Policy Studies in Washington D.C. verweist zum Beispiel auf die Rolle Saudi-Arabiens bei der Finanzierung des Islamischen Staats.

Wir wissen zum Beispiel, dass große Teile der Gelder für den IS, die schrecklichste aller Terrororganisationen, aus Saudi-Arabien stammen. Wir können noch nicht sagen, ob sie direkt von der Regierung, der Königsfamilie, staatlichen Institutionen oder frustrierten Individuen bereitgestellt wurden. Aber wir wissen, dass das Geld aus Saudi-Arabien kommt. Saudi Arabien ist ein in sich abgeschlossenes Land mit enormer staatlicher Kontrolle. Wenn die Führung diesen Geldfluss eindämmen wollte, aus welchen Quellen auch immer er stammt, dann könnten sie das. Das Land hat sich jedoch entschieden, nichts zu unternehmen.

Man könnte so weiter machen, die Liste ist lang.

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