Was Solidarität angesichts des nahenden Gasnotstands bedeutet

Bislang geht Russland nach messbaren Werten recht gut aus dem Wirtschaftskrieg hervor. In Deutschland zeichnet sich eine vielschichtige Krise ab. Die Haltung dazu ist umkämpft.

Wenn ab November unser monatlicher Gasverbrauch wieder zweieinhalbmal so hoch sein wird wie jetzt im Sommer, wird das Heizen teuer werden. Der Deutschlandfunk stimmt uns – so unkritisch wie pragmatisch – jetzt schon auf die kommenden Härten mit einer Sendung "Mangelware Gas – Deutschland im Energie-Notstand" ein.

Demnach könne man den Gasverbrauch kurzfristig, also für diesen Winter, nur auf zwei Arten reduzieren: durch eine Senkung der Raumtemperaturen und durch ein Zurückfahren der industriellen Produktion. Der Winter zur Jahreswende 2023-2024 verspreche durch Gasknappheit und verzögerte Effekte in Versorgung und Preisentwicklung noch schlimmer zu werden.

Wer dann wie viel bekommt – sich also wie viel leisten kann – das müsse der Preis entscheiden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnt angesichts dessen: "Wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt – das ist sozialer Sprengstoff."

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte am 14. Juli dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die monatlichen Abschlagszahlungen für Verbraucher von Erdgas würden sich im kommenden Jahr mindestens verdreifachen. Dass Kunden, die derzeit 1.500 Euro im Jahr für Gas bezahlen, künftig mit 4.500 Euro und mehr zur Kasse geben werden, sei, so heißt es in dem Bericht, der auch von anderen Medien aufgegriffen wurde, "absolut realistisch". An den Börsen hätten sich die Preise zum Teil versiebenfacht.

Gaskrise: warum das alles?

Schon am 16. Juli 2014, vier Monate nach der russischen Annexion der Krim, hatten die USA und die Europäische Union Sanktionen gegen den russischen Energie-, Verteidigungs- und Finanzsektor verhängt. Als Bundeskanzler Scholz in seiner Regierungserklärung, drei Tage nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022, "eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents" ausrief, brandmarkte er damit nicht nur den "Angriff auf ein unabhängiges Land", sondern darüber hinaus "auf die Friedensordnung in Europa und der Welt".

Diese so angegriffene Friedensordnung hatte für den Westen beinhaltet, Osteuropa in seinem Sinne zu formen, mit Nato-Osterweiterung und EU-Assoziierung der Ukraine. Die ukrainische Armee wurde von den USA und Frankreich bis 2020 mit etwa vier Milliarden US-Dollar aufgerüstet, mit der EU wurden 2014 ein Assoziierungsabkommen (am 21. März) und ein Freihandelsabkommen (am 27. Juni) unterzeichnet.

Rückblick auf die westliche Ukraine-Politik

Die EU, so berichtet die in Tübingen ansässige Informationsstelle Militarisierung, "schüttete zwischen 2014 und 2020 Makrofinanzhilfen im Umfang von 7,2 Milliarden Euro an die Ukraine aus". Dabei sei die Zielvorgabe gewesen, das ukrainische Rechts- und Wirtschaftssystem an die Bedürfnisse des EU-Binnenmarktes anzupassen.

Im Februar 2019 schrieb die Ukraine das Ziel eines Nato- sowie eines EU-Beitritts in ihre Verfassung.

Da nun Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – was Kriege, die Staaten beginnen, ja immer sind – führt, müsse man erstens den Aggressor bestrafen, heißt es nun seitens dieser westlichen Akteure. Die Regierung in Moskau müsse von ihren Geldquellen und den Einnahmen aus den Exporten von Kohle, Öl, Gas, Uran abgeschnitten werden. Russland soll durch einen Handelskrieg gezwungen werden, irgendwann mit dem Krieg aufzuhören, wenn die Regierung über keine Devisen mehr verfügt.

Allerdings erlöste Russland im ersten Halbjahr 2022 durch den Verkauf von Öl und Gas mit 100 Milliarden Euro mehr, als geplant, mit geringeren Exportmengen, aber in die Höhe getriebenen Preisen. Denn der Erdgaspreis betrug auf dem Weltmarkt im Juli 2022 5,5 bis 8,7 US-Dollar – 2021 hingegen im Schnitt drei US-Dollar.

So sanken für Russland seit Kriegsbeginn die Gaslieferungen um rund 60 Prozent, die Einnahmen aber nur um 30 Prozent. Und der Russische Rubel stand zuletzt auf einem Sieben-Jahres-Hoch. Andere Rohstoffe verkauft Russland dagegen zu Schleuderpreisen.

Hinzu kommt, dass Russland, der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt, keine Waffen vom Weltmarkt benötigt. "Die Russen produzieren sie selber", schreibt das Münchner "Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V." in einer Einschätzung.

Sogar, wenn sie keine Energieträger mehr verkauften und keine US-Dollar mehr einnähmen, könnten sie genauso viele Waffen produzieren wie mit hohen Exporterlösen, so das ISW weiter. Zudem zahlten sie ihre Soldaten nicht in US-Dollar, sondern mit eigenem Geld.

Drittens haben zwar, wie das ZDF berichtet, "einige Länder wie Polen, Finnland und die baltischen Staaten ihre Importe seit Kriegsbeginn reduziert, (aber) andere wie China, Indien und EU-Mitglied Frankreich (haben) ihre Einkäufe erhöht".