Was hat die Bundeswehr in Afghanistan bewirkt?

Björn Hendrig

Drei unübliche Antworten auf drei übliche Fragen zur Bundeswehr in Afghanistan (Teil 2)

Was hat die Bundeswehr in Afghanistan bewirkt?

Die übliche Antwort:

Sie hat ihre Pflicht erfüllt, sich professionell verhalten und beim Aufbau einer neuen Zivilgesellschaft geholfen. Die Soldaten haben ihrem Land und den Nato-Bündnispartnern einen "wichtigen Dienst" geleistet", so Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Die unübliche Antwort:

Wenn die Herrschaft es befiehlt, ist es die verdammte Pflicht jedes Soldaten, sein Leben gegen den ausgemachten Feind aufs Spiel zu setzen und für den Kriegszweck zu töten. Fragen zum Sinn der Veranstaltung sind verboten. Dabei hat sich die Bundeswehr tatsächlich "professionell" verhalten: Einige starben, einige mehr wurden verwundet; und sie töteten auch, nicht nur gegnerische Kämpfer.

Zwischendurch gaben sie ihr Know-how an die afghanischen Kollegen weiter und griffen zu Hammer und Schraubenzieher. So leisteten sie den "wichtigen Dienst", dass auf Deutschland grundsätzlich Verlass ist – wohlgemerkt aus Sicht der Nato-Partner, nicht der Afghanen.

Natürlich passierte in 20 Jahren noch viel mehr. Hier einige "Meilensteine":

Nach der Vertreibung der Taliban Ende 2001 durften die Deutschen neben anderen Nationen beim Aufräumen helfen. Das begann mit 1.000 Soldaten für eine internationale Truppe zum Schutz der Hauptstadt Kabul. Und mündete schließlich in einer eigenverantwortlichen Beaufsichtigung einer Region im Norden des Landes. Dort bildeten die Soldaten einheimische Streitkräfte und Polizisten aus, unterstützten sie im Kampf gegen die Taliban, bauten außerdem zerstörte Infrastruktur auf wie Brunnen und Schulen.

Mit Gewalt für Frieden nach seinem Geschmack sorgen: Das heißt Krieg

Im Laufe der Zeit erhöhte die Bundeswehr die Zahl ihrer Einsatzkräfte, mit regelmäßiger Genehmigung des Deutschen Bundestages. Doch bis Ende 2009 war von einer Kriegsbeteiligung nicht die Rede. Und das, obwohl die Anschläge auf die Bundeswehr und die bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Taliban Jahr für Jahr immer zahlreicher wurden. Brutaler Höhepunkt:

...der damalige deutsche PRT-Kommandeur Oberst Georg Klein (ordnet) einen Luftangriff auf zwei von Taliban entführte Tanklaster an, die einige Kilometer vom Feldlager entfernt am Kundus-Fluss feststecken. Dabei sterben zahlreiche Zivilisten, die auf kostenlosen Brennstoff gehofft hatten.

Bundeszentrale für politische Bildung

Danach sprach Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in einem Zeitungsinterview erstmals von "kriegsähnlichen Zuständen". Die schöne Mär von den in der einheimischen Bevölkerung allseits beliebten Friedensstiftern war dahin.

Das Bild wandelte sich in der Öffentlichkeit, in Umfragen überwog die Ablehnung des Einsatzes. Dennoch folgte weitere Aufrüstung der Einheiten, auch Tornado-Kampfflugzeuge und Tiger-Kampfhubschrauber kamen nun zum Einsatz.

Insgesamt hielt sich die Bundeswehr aber weitgehend aus der aktiven Bekämpfung der Taliban heraus. Das überließ man zum einen den afghanischen Streitkräften. Sie zahlten einen hohen Blutzoll mit rund 67.000 getöteten Soldaten. Zum anderen den Amerikanern, die von Beginn an die einzige relevante Streitmacht darstellten – und von der somit alles abhing.

Die USA sorgten dafür, dass die Taliban nicht die größeren Städte einnehmen konnten, einschließlich der symbolträchtigen Metropole Kabul. In den ländlichen Provinzen sah das anders aus: Dort hatten die Islamisten ihren Einfluss gefestigt und ausgebaut.

Militärstrategisch verblieben die deutschen Soldaten im Status der Hilfstruppe, die in den ihr zugewiesenen Lagern die Aufgabe hatten, ebendiese gegen die Aufständischen zu halten. Mehr sollten sie nicht tun, und mehr konnten sie auch nicht.

Auf jeden Fall mitmischen, auch wenn man nicht mächtig genug ist

Die deutschen Politiker gaben sich damit zufrieden, verlängerten regelmäßig im Bundestag das Mandat für die Präsenz in Afghanistan. Sogar noch im März dieses Jahres:

"Wie bisher sollen bis zu 1.300 Soldaten im Rahmen der Nato-Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission 'Resolute Support' entsendet werden können. Ausbildung, Beratung und Unterstützung durch die deutschen Kräfte finden in Kabul, Bagram, Masar-i-Scharif und Kunduz, darüber hinaus weiterhin in Einzelfällen und zeitlich begrenzt auch im übrigen Operationsgebiet in Afghanistan statt. Auftrag der Mission ist es, die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte zu befähigen, ihrer Sicherheitsverantwortung nachzukommen." (vgl. Renate Dillmann: Pulverfass Afghanistan.)

Daraus wurde bekanntlich dann nichts, weil die USA ihren Abzug durchzogen. Aber für Deutschland hätte es so weitergehen können. Das zeigt die zwiespältige Haltung zum Überfall auf Afghanistan: Einerseits wollte man bei diesem Weltordnungs-Fall mitmischen, nahm gern die Bündnis-Verpflichtung wahr. Andererseits wusste man, wie wenig maßgeblich die eigene Streitmacht mitmischen konnte.

Die Lösung aus diesem imperialistischen Dilemma: Aus Afghanistan sollte mit maßgeblich deutscher Hilfe so etwas wie ein ordentlicher Staat werden. Den nötigen organisatorischen Überbau hatten die westlichen Besatzer schnell hergestellt: Eine Marionetten-Regierung sorgte für die wohlgefälligen Entscheidungen, Milliarden US-Dollars für ihren Unterhalt. Auch die kooperierenden Warlords in den Provinzen wurden gut versorgt. Dies blieb allerdings 20 Jahre lang die Haupteinnahmequelle des Landes.

20 Jahre "Nation Building" Marke Westen: Es wächst nur der Schlafmohn

Denn eine funktionierende Wirtschaft entstand nicht. Afghanistan zählt noch immer zu den ärmsten Staaten der Welt. Offiziell sind 25 Prozent arbeitslos, die Dunkelziffer dürfte höher sein. Eines von zehn Neugeborenen stirbt, die höchste Quote auf dem Globus.

Die Lebenserwartung liegt im Durchschnitt bei nur 53 Jahren, so niedrig wie nirgends sonst (vgl. Max Hägler: Bodenschätze und Armut, in: Süddeutsche Zeitung, 18. August 2021). Ein Wirtschaftszweig immerhin wuchs in der Zeit der westlichen Besatzung – der Anbau von Schlafmohn.

Die Ernte des Rohmaterials für Opium und Heroin erreichte Rekordstände. "Nach Schätzung des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung betrug die Jahresproduktion (2017) rund 9.000 Tonnen, das sind etwa 85 Prozent der Weltproduktion. Die Anbaufläche stieg um 63 Prozent auf 328.000 Hektar." (Fischer Weltalmanach 2019, S.30).

Wer also seinen Lebensunterhalt auf halbwegs solider Basis sichern wollte, musste entweder im Drogengeschäft sein oder sich mit den vom Westen installierten Amtsträgern gut stellen beziehungsweise noch besser selber einer sein – Einfallstor für florierende Korruption.

Der größere Rest des Volkes verblieb in bitterer Armut – und hatte keinen positiven Grund, auf die vom Westen ausgehaltenen Machthaber in der Hauptstadt zu setzen, geschweige sie gegen die Talilban zu verteidigen.

Die Deutschen hielten sich dessen ungeachtet von Anfang bis Ende an zugute, "zivile" Aufgaben zu erfüllen, den Einsatz nicht nur aufs Militärische zu konzentrieren. So machte man aus der Schwäche eine Stärke, distanzierte sich en passant von den US-Amerikanern, die, so der Vorwurf, an den nötigen Aufbau "demokratischer Strukturen" keine Minute dächten.

Jedoch die Deutschen, die zerstörten nicht, sondern bauten auf – und wurden dafür angeblich von der Bevölkerung ja so geliebt! Dass diese Tour nur gehen konnte, weil die US-Streitkräfte dies mit ihren täglichen tödlichen Angriffen auf Stellungen von Taliban und verdächtigen Hochzeits-Gesellschaften ermöglichten?

Interessierte hierzulande keinen wichtigen Politiker. Lieber inszenierte man die deutsche Mitbesetzung Afghanistans als Friedensmission. Diese Trittbrettfahrerei kam verständlicherweise beim Bündnispartner USA nicht besonders gut an.