Pulverfass Afghanistan
Was die Nato in dem zentralasiatischen Land anrichtet und wie der heutige Beschluss des Bundeskabinetts damit zuammenhängt
Seit ein paar Tagen wird heftig getrommelt. Die "Mission in Afghanistan", wie der Nato-Krieg in den hiesigen Medien gerne bezeichnet wird, müsse "wohl" verlängert werden. Der Abzug der Bundeswehr soll deshalb umgehend gestoppt werden. Am heutigen Mittwoch wird es dazu einen neuen Kabinetts-Beschluss geben. Die Begründung? Afghanistan sei erneut ein "Pulverfass". "Die Taliban drohen mit einem "großen Krieg". Sie seien "angriffsbereit wie lange nicht".
Rufen wir uns mal kurz die jüngste Vorgeschichte in Erinnerung. Donald Trump sah in den US-Kriegen im mittleren Osten und Zentralasien keinen großen Sinn mehr und hatte mit den Taliban eineinhalb Jahre lang ein Abkommen verhandelt und schließlich mit großem Getöse unterschrieben, das den Abzug aller internationalen Truppen bis Ende April vorsah.
Die Taliban hatten darin zugesagt, dass Terrorgruppen wie Al-Kaida beziehungsweise der Islamische Staat von Afghanistan aus nicht gegen die USA aktiv werden können. Zudem sollten sie Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung beginnen, die die US-Diplomatie bei ihrer Initiative ebenso übergangen hatte wie die Nato-Verbündeten, die vom angekündigten Abzug ihrer Truppen überrascht wurden.
Nun hat sich der Standpunkt in Washington geändert. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Trump will Joe Biden die "hirntote" Nato wiederbeleben und die USA "im Team" zu neuer Größe führen.
Strategiewechsel in Washington
Nach 20 Jahren Krieg und zahlreichen toten US-Soldaten – die Opfer der Afghanen werden ja meist gar nicht erst genannt–, erscheint der Weltmacht ein Abzug, der den einstigen Gegner wieder ans Ruder bringt, doch etwas schmachvoll. Vielleicht spielen auch geostrategische Überlegungen – Stichwort: Einkreisung Chinas – eine Rolle.
Jedenfalls haben die USA den Vertrag über den Haufen geworfen und den Abzug ihrer Truppen gestoppt. Zur Begründung führen sie an, dass die Taliban ihren Teil des Vertrags nicht umfassend genug erfüllt hätten, es immer wieder zu Anschlägen gekommen sei.
Die Taliban wiederum wollen sich das nicht einfach so bieten lassen. Sie bestehen auf dem vereinbarten Vertrag und dem Abzug sämtlicher Truppen aus Afghanistan und haben in letzter Zeit mit einigen Anschlägen unterstrichen, dass es ihnen ernst ist.
Der gerade veröffentlichte Jahresbericht der UN-Mission Unama macht indes darauf aufmerksam, dass im Jahr 2020 die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan erstmal seit 2013 wieder unter 10.000 gefallen war (3.035 getötete und 5.785 verwundete Zivilisten).
Andererseits wurde ebenfalls zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen ein Anstieg der Gewalt im 4. Quartal verzeichnet, obgleich die Kriegsparteien ihre Aktivitäten wegen des einsetzenden Winters in diesem Zeitraum normalerweise reduzieren. Das macht deutlich, dass die Taliban auf den Sinneswandel in Washington reagiert haben.
Der Krieg, "die Mission", "der Einsatz", "die humanitären Maßnahmen" in Afghanistan gehen also in eine neue Runde, weil die USA unter ihrem neuen Präsidenten ein Zeichen ihrer Stärke setzen und ihr Militärbündnis wiederbeleben wollen.
Mal wieder Verteidigung am Hindukusch
Und Deutschland? Ist dabei! Der von Trump initiierte Abzug hatte die deutsche Regierung kalt erwischt und deutlich gemacht, wie wenig sie auf sich gestellt an "weltpolitischer Verantwortung" ausüben kann, die sie so gerne übernehmen will. Schon deshalb kommt ihr die Wende in der US-amerikanischen Politik nicht ungelegen.
Die Neuauflage der "Mission" bietet Deutschland darüber hinaus die Möglichkeit, sich den USA als verlässlicher Bündnispartner zu präsentieren und die neue US-Regierung damit in anderen Konflikten günstig zu stimmen. Die aus Russland kommende Erdgaspipeline Nord Stream II – so heißt es – könnte im Gegenzug von den USA doch gebilligt werden.
So sehen also die Kalkulationen aus, wegen denen Deutschland und die USA ein Land wie Afghanistan erneut zum Kriegsschauplatz machen.
Das ist natürlich so nicht zu hören. Stattdessen eine Fortsetzung der ewigen Geschichte davon, was "wir" dort jetzt wieder alles "verteidigen" müssen. Die Phrase, dass "unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt werden muss" (Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) im Jahr 2001), ist zwar nicht mehr so im Umlauf.
An neuen Begründungen mangelt es aber nicht. Die Presse erinnert an die durch den Abzug "gefährdeten Erfolge" des inzwischen 20jährigen Kriegs – wobei man bei "Erfolg" vermutlich nicht an die toten Afghanen, die aktuell fast drei Millionen afghanischer Flüchtlinge oder die Opiumfelder denken soll, die inzwischen Afghanistans Wirtschaft ausmachen.
Außenminister Heiko Maas (SPD) führt den "bedrohten Friedensprozess" ins Feld – so heißt das für ihn, wenn mit westlichen Bomben eine afghanische Marionettenregierung eingesetzt wird.
Und dann gibt es ja auch noch die eigenen Soldaten, die dank der westlichen Winkelzüge nun so gefährdet sind, dass man zu ihrem Schutz neue hinterherschicken muss. Klar doch.
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