Was nützt alles Whistleblowing, wenn es auf Kosten des Whistleblowers geht?

Seite 2: Ganz neue Dynamiken freimachen

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Zeigt sich im größeren Rahmen, z.B. Whistleblowing und Fischerei-Rechte EU, dass das "Hinweis-Geber-Phänomen" in der Öffentlichkeit einen neuen Platz bekommen könnte, mit einem neuen Wirkungsgrad? Gibt es Anzeichen dafür, dass sich Politik und Unternehmen in Zukunft auf mehr Whistleblowing und Whistleblower einstellen müssen?

Rainer Winters: Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern und Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern werden ja verpflichtet sein, sich im Sinne von Whistleblowing zu öffnen. Das wird ganz neue Dynamiken freimachen.

Gleichzeitig sind viele Menschen deprimiert, was die Politik und die Ungleichverteilung von Finanzen betrifft. Der Streit um die Fischereirechte legt die Lupe auf eine vielschichtige Ungerechtigkeit. Whistleblowing kann enorm dabei helfen, dass Länder wie Guinea oder Angola weniger illegale Fischerei verzeichnen und dass Küstenbewohner ihren eigenen Fisch vor der Tür bezahlbar verspeisen können.

Das Whistleblowing von Johannes Stefansson steht hier natürlich heraus. Johannes gab seine Hinweise von Geldwäsche und Korruption rund um Fischereirechte in Namibia zuerst an Wikileaks. Gut, dass es Wikilekas gibt, die die Informationen an eine Rechercheeinheit von Al Jazeera gaben. Nach einem Aufsehen erregenden Video von Al Jazeera wurde nicht nur der Fischereiminister Bernhard Esau inhaftiert.

Im November 2019 erlitt die Regierungsallmacht SWAPO bei den Präsidentschafts- und Nationalversammlungswahlen zum ersten Mal seit 30 Jahren herbe Rückschläge. Was als direkte Folge des Skandals gewertet wird, nenne ich einen Whistleblowingerfolg, bei dem die Demokratie gewann. Namibia hat einem einzigen Whistleblower sehr viel zu verdanken, einem Whistleblower, der aber allem Anschein nach wegen seiner Aktion (noch nicht tödlich) vergiftet wurde.

"Viele Staaten sind da weiter als Deutschland"

Wie steht es mit der Rechtssicherheit für Whistleblower in anderen Staaten? Gibt es welche, die da schon weiter sind? An denen sich die EU oder Deutschland ein Beispiel nehmen können?

Rainer Winters: Deutschland bietet bislang keinen gesetzlichen Schutz für Whistleblower, mit einer Ausnahme einer enggefassten Bestimmung für Beamte, Dinge wie Bestechung zu melden. Viele Staaten sind da weiter als Deutschland. 14 EU-Länder haben eine Art von Whistleblowerschutzgesetz. Als Vorbild sollte man sich Irland, Belgien, Ungarn und die Niederlande anschauen. Ein Blick lohnt auch auf die Gesetze in Litauen und Slowenien. Kroatiens Whistleblowerschutzgesetz ist gut, aber es gibt noch keine Präzedenzfälle.

Weltweit gibt es mittlerweile rund 50 Whistleblowerschutzgesetze, und Deutschland ist nicht dabei. Ich finde, ein Armutszeugnis für ein Land, das sich für sehr rechtsstaatlich hält. Vor zwanzig Jahren gab es nur zwei Gesetze in dieser Art, in den USA und in Großbritannien. Von diesen Ländern können wir nachwievor viel lernen, auch wenn die USA Snowden, Assange und Manning das Gegenteil von Schutz geboten haben.

Whistleblower brauchen Unterstützung von externen Stellen

Gibt es in dem Gesetzesvorschlag Kernpunkte, die unbedingt verbessert werden müssten?

Rainer Winters: Da in Zukunft externe Meldestellen eine größere Bedeutung erhalten werden, sollte der Gesetzesvorschlag hier stärker darauf eingehen. Im Sinne der EU-Richtlinie brauchen wir eine unabhängige Basis in der Gesellschaft, die Whistleblower unterstützt. Es reicht nicht, eine fünfhundertste Behördenstelle einzurichten, die Whistleblowerfälle aufnimmt. Die Aussage der EZB, Whistleblower nur schützen zu wollen, wenn sie intern melden, ist für uns ein wichtiges Signal, dass Whistleblower Unterstützung von externen Stellen brauchen.

Die Kontrolle der einen Behörde durch die andere birgt die Gefahr multilateraler Verschleierung. Nehmen Sie nur mal den Wirecard-Fall, wo gerade staatliche Stellen wie Bafin, APAS, Finanzministerien und Staatsanwaltschaften mal wieder ganz viel Vertrauen verspielen. Der SPD-Vorschlag einer "Whistleblowingbehörde" in einer Finanzaufsichtsbehörde hört sich so an wie, einen Staat im Staat aufzubauen.

Wichtig ist auch eine Klarifizierung der Sanktionen, die Unternehmen, Behörden und staatsnahen Betrieben drohen, sofern sie Whistleblowern unberechtigt kündigen. Ähnlich wie im Erneuerbare-Energien-Gesetz sollten hier konkrete Eurobeträge stehen, die Whistleblowern als Kompensation zustehen.

Wir brauchen ein Belohnungssystem. Warum schauen wir nicht mal über den Tellerrand, zum Beispiel nach Nigeria mit seinem Whistleblower-Belohnungsprogramm? Oder in den USA erhalten Whistleblower einen gewissen Prozentsatz der veruntreuten Summe, auf die sie aufmerksam gemacht haben und die dem Staat nach dem Whistleblowing in die Kassen gespült wurde.

Dann fehlt ein Mechanismus, der auch Geheimdienstmitarbeiter schützt, sei es eine externe behördliche Meldestelle außerhalb von BND, BfV und Landesämtern. Angesichts der Bedeutung der Geheimdienste und den Enthüllungen Edward Snowdens wäre ein Whistleblowerschutzgesetz ohne Schutz für Geheimdienstmitarbeiter ein nur Halbherziges.

Wenn ich mich als Mitarbeiter eines größeren Unternehmens zum Beispiel Google, Siemens, BMW, einer Großbank oder auch einer Supermarktkette, um das übliche Register mal zu verlassen, dazu entscheiden würde, wichtige Hinweise weiterzugeben. Wie kann ich mich juristisch absichern?

Rainer Winters: Das Kernthema beim Whistleblowing ist für mich, dass Whistleblower beschützt bleiben. Was nützt alles Whistleblowing, wenn es auf Kosten des Whistleblowers geht? Deshalb meine erste Botschaft: Gehen Sie erstmal nicht an die Öffentlichkeit.

Ich rate dazu, sich bei brisanten Themen an kompetente Vermittler und Anwälte zu wenden, und zwar bevor Whistleblower brisante Hinweise geben. Welcher Whistleblower will denn abschätzen können, ob in seinem Fall nationales oder EU-Recht anzuwenden ist?

Hinzu kommt, dass das deutsche Recht oft bis zu Unübersichtlichkeit verstrickt ist. Whistleblower brauchen die Unterstützung von Personen und Institutionen, die die Rechte von Whistleblowern verstehen. Nur so kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden, wie Whistleblower juristisch beschützt werden können. Dabei ist jeder Fall sehr individuell, jeder Whistleblower hat ganz eigene Vulnerabilitäten.

Wenn man angesichts vorhandener Untersuchungen davon ausgeht, dass im Sinne des Themenkreises Whistleblowing bei der Hälfte aller Großunternehmen Verfehlungen auftreten, ist das Potential hier sehr groß.

Am Bosch-Fall mit Karsten vom Bruch lässt sich beispielhaft beobachten, mit welcher Schlagkraft Großunternehmen Whistleblower jahrelang juristisch binden. Der Fall zeigt auch, dass es nicht unbedingt ratsam ist, sich an den Betriebs- oder Personalrat zu wenden. Ich rate dazu, sich ein genaues Bild der Personalvertreter zu machen. Mitglied einer Gewerkschaft zu sein werte ich allerdings als großen Vorteil. Weil die haben die finanziellen und juristischen Mittel, um zu helfen.

"Auch der IT-Sektor hat enorme Potentiale"

Gibt es Felder, in denen Whistleblower besonders aktiv sind?

Rainer Winters: Ein bedeutender Teil des Whistleblowings geschieht im Finanzsektor, auch wegen der hier lockenden Belohnungen. Aber erwähnen möchte ich die Umwelt, die sicherlich enorm vom Whistleblowing profitieren kann, so wie zum Beispiel bei der Umweltverschmutzung durch Schiffe. Die Amerikaner haben ein wirksames Belohnungssystem geschaffen, welches wir jetzt ins deutsche Gesetz adaptieren könnten. Der "U.S. Act to Prevent Pollution from Ships" (APPS) setzt die MARPOL-Protokolle um, die Verschmutzungen auf hoher See verbieten.

Die illegale Verschmutzung geschieht zwar größtenteils außerhalb der US-Hoheitsgewässer. Aber die USA bieten Hinweisgebern auf der Grundlage dieses Gesetzes eine Geldprämie an. So werden Besatzungsmitglieder für das Eingehen dieses Risikos belohnt. Gleichzeitig dient das Belohnungssystem als Anreiz für Besatzungsmitglieder anderer Schiffe, für Inspektoren und Ermittler. Warum soll Deutschland das nicht auch können? Dafür sollte aber die Verschmutzung von Meeren und Ozeanen explizit ins Gesetz aufgenommen werden.

Auch der IT-Sektor hat enorme Potentiale. Gerade vor kurzem wurde ich von einem Ingenieur kontaktiert, der auf verschleierte Sicherheitsrisiken bei smarter Krankenhaustechnologie des Konzerns General Electric (GE) hinwies. Einen Tag, nachdem er zum Thema eine Konferenz veranstaltete, starb sein Vater - und über das Todesleid dieses Jahr auch seine Mutter. Er vermutet, dass sein Vater das Opfer einer Vergeltungsmaßnahme gegen sein Whistleblowing war. Nun klagt er seit Jahren vor Gericht gegen GE.

Dieser Fall zeigt, dass das Whistleblowerschutzgesetz von Profis geschrieben werden muss. Denn es ragt in viele Lebensbereiche hinein.