Was steckt hinter dem Vorwurf der hybriden Kriegführung Russlands in Europa?
Ein Kommunikationskabel auf dem Meeresgrund. Bild: Shutterstock.com
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Russland führt bereits Krieg gegen Europa, wird gewarnt. Man verweist auf Sabotage, Spionage und Propaganda. Was von den Anschuldigungen zu halten ist. (Teil 1)
In der ARD-Sendung Maischberger vom 19. März 2025 waren der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer und der Professor für Internationale Politik und Militärexperte Carlo Masala zu Gast. Sie erklärten dem Publikum, dass Russland sich auf einen großen Krieg vorbereitet.
Das Narwa-Szenario
Masala schilderte ein Szenario, in dem Russland mit einem kleinen Angriff zum Beispiel auf die Stadt Narwa in Estland direkt an der russischen Grenze beginnen könnte, einer Mischung aus "hybriden Aktivitäten, aus sehr begrenzten militärischen Aktionen, teilweise mit ‚grünen Männchen‘, also hybrid [Soldaten ohne Kennzeichnung, wie bei der Annektion der Krim 2014, Telepolis], wo man am Schluss eine 50.000-Einwohner-Stadt eingenommen hat, mit dem Argument des Schutzes der russischen Minderheit."
Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, so Masala weiter, ob die Nato und insbesondere die USA unter Präsident Donald Trump, für eine kleine Stadt einen vollumfänglichen Krieg gegen Russland starten würden.
Der Generalinspekteur Carsten Breuer fügte hinzu, dass russische Einheiten bereits an der Grenze zum Westen verstärkt würden – in Vorbereitung auf einen größeren Angriff. Es sei die Absicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin, nicht bei der Ukraine stehen zu bleiben.
Russland greift Europa bereits an
Für den Bundeswehr-General steht fest, dass Russland Europa längst angreift. Er verweist auf Drohnen über Kasernen und Chemieparks sowie zunehmende Sabotage- und Spionageakte.
Das ist Teil dieser hybriden Kriegführung. Was dahintersteckt, ist, dass man sich Zugänge verschaffen will für einen möglichen größeren Krieg. Dass man also wissen will, wie kann man angreifen. Und dass man auf der anderen Seite vor allem eine Verunsicherung in die Bevölkerung bringt. (…) Wir sehen die Bedrohung und müssen dem etwas entgegensetzen.
Angesichts der hybriden Kriegsführung und der Gefahr eines großen Kriegs verlangen Breuer und Masala eine massive Aufrüstung Deutschlands und der EU im Eiltempo. Es sei nun dringend geboten, bereits in vier Jahren die Bundeswehr umfassend aufgestockt und modernisiert zu haben, weil Putin bis 2029 zu einem großformatigem Krieg in der Lage sei.
Abschied vom Stellvertreter
Die Ansicht, dass sich Russland bereits mit Europa im Krieg befindet, wenn auch in einem hybriden bzw. kleinformatigen, ist nicht neu. Schon im September 2022 erklärten die politische Kolumnistin Susan Glasser von der Zeitschrift The New Yorker und Fiona Hill, die u.a. dem Nationalen Sicherheitsrat von Präsident Trump in seiner ersten Amtszeit angehörte, dass "wir bereits den Dritten Weltkrieg mit Russland führen", auch wenn das nicht eingestanden werde.
Sicherlich ist es richtig, dass in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg zwischen dem US-geführten Westen und Russland stattfindet. Das war schon zu Zeiten des Kalten Kriegs mit der Sowjetunion immer wieder der Fall, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Aber die Grenze zwischen einem Schattenkrieg und einer direkten militärischen Konfrontation zu verwischen, sei gefährlich und unverantwortlich, wie Anatol Lieven, Eurasienexperte beim Quincy Institute feststellt.
Es unterstellt eine universelle Bedrohung und die Notwendigkeit sowie Möglichkeit eines absoluten Siegs über das absolut Böse, wie im Zweiten Weltkrieg. Aber der Krieg in der Ukraine hat damit nichts zu tun.
Der Aufstieg der "hybriden Kriegsführung"
Der Begriff der "hybriden Kriegsführung" hat mit dem Ukraine-Konflikt seit 2014 und insbesondere seit der Ukraine-Invasion Russlands vor über drei Jahren eine erstaunliche Prominenz erlangt, wodurch Russland als imminente Kriegsbedrohung Europas und der Nato in den Fokus gerückt wird.
Man behauptet, dass Moskau bereits den Krieg in der Ukraine nach Deutschland getragen habe. Während durch die Unterstellung hybrider Kriegsführung Russland als Aggressor in Europa und Friedensgespräche in der Ukraine als verfehlt erscheinen, wird gefordert, sich endlich kriegerisch auf das Kriegsgeschehen einzustellen.
Doch die These vom "hybriden Krieg" Russlands gegen Europa stößt auf mehrere Probleme. Was immer man von dem Begriff an sich hält, dazu später mehr mehr, es gibt keinen Krieg Russlands gegen EU- oder Nato-Staaten. Daher gibt es auch keinen hybriden.
Krieg ohne Krieg
Denn das Konzept des hybriden Kriegs geht ja von einer Mischung von regulären und irregulären, militärischen und nicht-militärischen Konfliktmitteln aus. Zu den Mitteln der gemischten Kriegsführung gehören neben den klassischen Militäreinsätzen "Aktionen in Grauzonen", die den zivilen Bereich (Politik, Ökonomie, öffentliche Meinung) betreffen, wobei die Urheberschaft oft verschleiert wird. Dazu zählen u.a. Spionage, Sabotage, Meinungsbeeinflussung, ökonomische Druckmittel oder Cyberwar.
Wenn es aber keinen Krieg Russlands gegen Deutschland und andere EU-Staaten gibt, dann fehlt natürlich auch die Mischung. Genau diese Verschränkung wird aber mit dem Begriff unterstellt: nämlich, Europa befindet sich schon im Krieg mit Russland.
Um den Widerspruch zu umgehen, wird darauf abgehoben, dass der Ukraine-Krieg von Russland durch nicht-militärische Mittel nach Europa ausgeweitet worden sei bzw. der Kreml einen vollumfänglichen Krieg gegen die Nato mit hybriden Mitteln vorbereite. Der unterschwellige russische Krieg in Europa warte nur darauf, sich militärisch voll zu entfalten.
Gefährliche Inszenierung
Damit läuft man aber geradewegs in die gefährliche Falle, die zentrale Unterscheidung zwischen Stellvertreterkrieg und direktem Krieg – die die USA und Russland/Sowjetunion vom Kalten Krieg bis heute sehr bewusst eingehalten haben, um einen atomaren Weltkrieg zu bannen – für nichtig zu erklären. Die Abgrenzung verschwimmt nun zunehmend im Graubereich hybrider Bedrohungen.
Das Kernproblem mit dem Vorwurf des hybriden Kriegs gegenüber Russland ist, dass er einen Krieg konstruiert, wo keiner ist, und jede Verdächtigung, jedes Kasernenfoto eines Russen, jedes beschädigte Internetkabel in der Ostsee als Teil eines militärischen Großkonzepts des russischen Präsidenten angesehen wird, gegen Europa Krieg zu führen – erst verdeckt, dann offen.