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Was will Facebook?

Stichdatum der Grafik ist der 22.05.2010. Grafik: Telepolis

Facebook liebt die Öffentlichkeit: Die User auch? - Teil 3

Teil 2 [1]: Facebook Web 2.0

Einem Artikel des Time-Magazins [2] zufolge hat Facebook eine Formel dafür entwickelt, wie viele Aha-Momente und Erlebnisse auf Facebook bei einem neuen User erzeugt werden müssen, um ihn zu einem Facebook Nutzer werden zu lassen - und das alles daraufhin abgestimmt ist, diese Momente auch tatsächlich zu erschaffen - z.B. durch das Anzeigen von schon angemeldeten alten Freunden beim ersten Einloggen.

Man darf also davon ausgehen, dass die Gestaltung und Formulierung von Menüs und Dialogen der Einstellungen, die bestimmen, welche Daten geteilt werden, wichtig genug sind um von Facebook ebenso auf ihren Zweck hin optimiert zu sein. Was aber will Facebook? Man kann versuchen, das aus verschiedenen Anhaltspunkten herauszulesen: den öffentlichen Aussagen, aus der Interfacegestaltung, der Art, wie Neuerungen oder Änderungen am System eingeführt werden und schließlich den Änderungen selbst. Daraus ergibt sich das Bild einer Strategie.

Facebook CEO und Gründer Mark Zuckerberg. Bild: Pressebild Facebook

People have really gotten comfortable not only sharing more information and different kinds, but more openly and with more people. That social norm is just something that has evolved over time.

Mark Zuckerberg CEO Facebook, 2010

Dieses Argument lieferte die Begründung Facebooks für die Einführung neuer Funktionen und damit einherschreitender weiterer Veröffentlichung bisher privater Daten. Es ist manipulativ: Zuckerberg begründet die Öffnung weiterer privater Daten mit den "neuen sozialen Normen" die er behauptet beobachtet zu haben, und argumentiert, dass ja nur bereits öffentliche Userdaten anderen Anbietern zugänglich gemacht werden - diese sind jedoch öffentlich, nicht weil die User sie so kategorisiert haben, sondern weil Facebook eigenmächtig entschieden hat, sie der Kontrolle der User zu entziehen und sie zu veröffentlichen.

Und mit diesem Label versehene Daten erlaubt sich Facebook dann auch vom User unbemerkt automatisch an andere Dienste weiterzugeben im Rahmen des "Instant Personalization"-Programms. So werden ganz einfach alle Datenschutzbedenken aus dem Weg geräumt - die weitergegebenen Daten sind ja eh öffentlich! Für manche Daten besteht zwar die Möglichkeit, sie vor dem Netz zu verbergen - doch sind diese Optionen noch immer so versteckt oder umständlich zu bedienen, dass sich Facebook gewiss sein kann, dass nur ein kleiner Teil der User (der sich dem Problem überhaupt bewusst ist) diese Einschränkungen auch vornimmt.

Facebook macht es dem User vorsätzlich schwer, etwas gegen die Interessen und den Willen Facebooks zu machen, durch geschicktes Design der Interfaces, von Tim Jones von der digitalen Bürgerrechtsorganisation EFF so genannten Evil Interfaces [3]. Ganz im besten Stil von PR-Neusprech werden die Entscheidungen Facebooks auch immer arrogant verteidigt und Situationen umgedeutet - schöne Beispiele für Facebook Verschleierungsworte liefert die EFF in Form einer Übersetzung ins englische [4], ua. "Public information" (= die Informationen eines Nutzers, die Facebook gerne öffentlich machen will).

Die Privatsphären Einstellungen

Das Interface Facebooks zum Einstellen, welche Informationen wo mit wem geteilt werden, ist legendär komplex und umfasst 50 Einstellmöglichkeiten, die in viele Menüs und Untermenüs an unterschiedlichen Stellen untergebracht sind. Wenn Facebook jetzt angekündigt hat, hier nachzubessern, um diese Einstellungen zu vereinfachen, dann ist das eine schon lange überfällige Aktion.

Einen Eindruck der Komplexität der Privatsphären-Menüs gibt das folgende Schaubild, das die verschiedenen Menüs und Menüpunkte der Einstellmöglichkeiten zeigt, die über das "Teilen" von eigenen Daten entscheiden, also darüber, wer welche Daten sehen kann. Und man muss sich auch tatsächlich durch diese Menüs durcharbeiten und die Einstellungen verstehen und ändern, wenn man sich nicht ganz dem ganzen Netz hin öffnen will: die Standardeinstellung der meisten Optionen ist meist "Alle", die davon geregelten Daten sind dann frei zugänglich für jedermann.

Eine Erläuterung zu den üblichen Optionen der Einstellung - angeboten werden: "Alle", "Freunde von Freunden" und "Freunde", wobei der Personenkreis der Freunde von Freunden sich eigentlich ganz privat anhört aber bei einer durchschnittlichen Freundesanzahl von 130 Freunden immerhin rund 17000 Personen umfasst.

Neue Privacy-Einstellungen

Änderungen durch Facebook sind nun, wie gesagt, angekündigt: diese Menüs werden ergänzt durch einige einfachere und übersichtlichere Dialogfenster - doch auch hier teilt man als Nutzer, wenn man die Standardeinstellungen ("Recommended") übernimmt, noch viel mit:

Nur ein Update

Facebooks Interesse, manipulativ mehr Informationen öffentlich zu machen, um mehr Besucher anzuziehen und damit mehr Werbegelder einzunehmen, zeigte sich beispielhaft im Update der Privatsphäreneinstellungen im Dezember 2009. Begründet wurde es damit, den Usern bessere Kontrollmöglichkeiten darüber zu geben, für welchen Personenkreis welche Art von Informationen sichtbar sein sollten.

Beim Login wurden die User von einem unübersehbaren Dialogfenster begrüßt, das die alten und neuen Einstellungen (wie von Facebook empfohlen) anzeigte. Standardmäßig aktiviert waren für jeden Punkt jeweils die öffentlichsten Einstellungen: So war zum Beispiel für die Punkte "Über mich", "Familie und Beziehungen", "Arbeit und Ausbildung" und "Beiträge von mir" die Option "Alle" sichtbar vorausgewählt. Als aussagelose, alternative Auswahl wurde jeweils "Alte Einstellungen" angeboten, ohne anzuzeigen, worin diese bestanden. Man kann davon ausgehen, dass hier, wie meist, ein Großteil der Benutzer lästige Benachrichtigungsfenster unbesehen weggeklickt und damit die Standardeinstellungen übernommen hat, um schnell auf die eigene Facebook Seite zu gelangen. Kurz darauf verkündete Facebook tatsächlich stolz, das 65% der User die neuen Einstellungen gewählt hätten. Es darf bezweifelt werden, ob wirklich alle diese User sich bewusst waren, dass damit wesentliche Teile ihrer vorher nicht öffentlichen Daten publik gemacht wurden und alle neuen (und alten) Beiträge ab sofort öffentlich sichtbar sein würden.

Mehr öffentlich

Denn sieht man sich viele der auf solch öffentlichen Pinnwänden gepostete Beiträge an, wird klar, dass vielen Usern gar nicht bewusst ist, dass sie fürs ganze Netz mitlesbar schreiben.

Es kann davon ausgegangen werden, dass Facebook die Zielvorgaben definiert hat, nach denen das Update-Dialogfenster gestaltet wurde. Und diese sind nicht im Interesse der User, sondern im Eigeninteresse. Die Netz-/Sozialforscherin Danah Boyd berichtet [5] von Gesprächen mit nicht Technik-affinen Usern bezüglich deren Privatsphären-Einstellungen, die sie nach dem Update geführt hatte: in keinem einzigen Fall war den Usern klar, wie öffentlich ihre Beiträge mit den gewählten Einstellungen wirklich waren. Ganz im Glauben an den alten Charakter Facebooks als geschlossenem Netzwerk, waren sie - ohne sich dessen bewusst zu sein - dazu manipuliert worden, den von Mark Zuckerberg propagierten "neuen sozialen Normen" totaler Öffentlichkeit zu folgen.

Angesichts dessen, was passieren kann, wenn man unbeabsichtigt private Äußerungen öffentlich publiziert, stellt diese Handlung einen Vertrauensmissbrauch Facebooks den Nutzern gegenüber dar: wer nicht im Wissen (oder zumindest mit dem Misstrauen) postet, potentiell fürs ganze Netz sichtbar zu sein, ist, besonders wenn noch unerfahren im Umgang mit dem Massenmedium Web und seinen Hypes, extrem verletzbar. Es ist leichtfertig, die User ganz für die eigene Aufklärung über die zu einem gegebenen Zeitpunkt aktuelle Praxis Facebooks, Daten öffentlich sichtbar zu machen oder mit anderen zu teilen, verantwortlich zu machen.

Rein strukturell besteht ein Informations-Ungleichgewicht zwischen User und Konzern, bedingt schon allein durch das begrenzte Zeitkontingent der Nutzer und ein gewisses, in diesem Fall enttäuschtes, Grundvertrauen von Seiten der User in den Fortbestand von einmal geltenden Datenschutzregeln. Und nur eine Minderheit der User weiß, was es für Folgen haben kann, wenn ihre privaten Daten frei abrufbar sind - die meisten können sich nicht vorstellen, für wen alles diese interessant sein könnten und vertrauen darauf, dass mit einigen oberflächlich angewählten Beschränkungen des Zielpublikums die Privatheit ihrer Beträge schon gesichert sein wird.

Sie rechnen nicht damit, dass das System (eigentlich das Unternehmen) dem sie implizit ihre Daten anvertrauen, eigene Interessen hat, die den ihren womöglich zuwiderlaufen, in diesem Fall: dass Facebook den Erfolg Twitters fürchtet und dessen Modell totaler Öffentlichkeit nachträglich integrieren will. Was zu seltsamen Folgen für ein vorher eher geschlossenes Netzwerk führt: zu globalen Meldungen von Usern, die sich dieser Öffentlichkeit nicht bewusst sind, und denen deswegen auch die in Twitter selbst-organisierte Struktur anhand von Kanälen und Tags fehlt, was die Aussagekraft dieser Äußerungen erheblich schmälert.

Und was sollen Menschen machen, die sich zwar klar sind über die Änderungen Facebooks und sich darüber ärgern, aber schon viel Zeit und Energie in ihr soziales Netzwerk auf Facebook investiert haben? Facebook kann sich vermutlich zu Recht drauf verlassen, dass diese, selbst wenn sie sich jetzt durch Facebooks Änderungen betrogen fühlen (oder später auf eine unangenehme Weise herausfinden, dass es diese Änderungen gegeben hat) trotzdem bei Facebook bleiben, um eben diese sozialen Investition nicht zu verlieren.

Immer wieder

Wunderbar anschaulich wird Facebooks Standard-Strategie auch am Beispiel von Beacon [6], einem von Facebook Ende 2007 gestartetem Programm, um einerseits Daten über Facebooknutzer von externen Websites zu Facebook zu senden, andererseits Aktivitäten von Usern auf diesen Websites im News Feed der User zu publizieren. Nach Protesten (u.a. organisiert durch MoveOn.org) änderte Facebook das System dahingehend, dass User erst zustimmen mussten, damit Daten über sie übertragen wurden.

Ein Sicherheitsexperte stellte jedoch fest, dass, entgegen einer am gleichen Tag gemachten publizierten Zusicherung von Facebooks Marketing Vizepräsidentin, doch Daten von Usern weiterhin an Facebook übertragen wurden, selbst wenn diese explizit dem nicht zugestimmt hatten und bei Facebook ausgeloggt waren. CEO Zuckerberg entschuldigte sich und führte die neue Option ein, Beacon komplett auszuschalten. Nach einer Sammelklage gegen Facebook wegen Beacon kündigte Facebook an, den Dienst einzustellen, was im September 2009 geschah. Die jetzt eingeführte "Instant Personalization" zusammen mit den weiteren Funktionen scheint wie eine Wiederkehr von Beacon in anderen Gewändern.

Ein weiteres Beispiel für die Unzuverlässigkeit von Facebook: trotz Beteuerungen von CEO Zuckerberg, dass keine Userdaten an Werbetreibende weitergegeben werden, konnten bis vor kurzem diese leicht die Identitäten von Nutzern herausfinden, die ihre Banner angeklickt hatten: im Referrer wurde versehentlich die aktuelle URL samt UserID [7] mitgeliefert, über welche es ein leichtes ist, das entsprechende Nutzer-Profil zu finden und alle dort publiken Daten auszulesen, um so ein genaues Bild von am Produkt interessierten potentiellen Käufern zu bekommen.

Du sollst Eins sein

You have one identity… The days of you having a different image for your work friends or co-workers and for the other people you know are probably coming to an end pretty quickly… Having two identities for yourself is an example of a lack of integrity"

Mark Zuckerberg, 2009, nach David Kirkpatrick: "The Facebook Effect"

Dieser Glaube Zuckerbergs in Code umgesetzt, führt auf einem direkten Weg zur jüngsten Veröffentlichung bisher privater Informationen von Usern, denn wenn jeder Mensch im Netz nur eine Netz-Persona hat, müssen (und können) keine verschiedenen Identitäten für die Informationen, die man für verschiedenen Freundes- und Bekanntenkreisen veröffentlicht, geschaffen werden. Und seine Vorhersage ist sich selbst-erfüllend: wenn Facebook sich entschließt, viele Userdaten ab sofort publik zu machen, ist das Konzept verschiedener Persönlichkeiten im Netz auf Facebook tatsächlich bald am Ende - doch nicht durch sich ändernde soziale Normen von Seiten der Gesellschaft, sondern per Beschluss von der Facebook Führung verordnet.

Andernfalls kann man Zuckerberg ein Maß an Arroganz und Abgehobenheit vorwerfen: bei weitem nicht jeder der unter seiner Obhut stehenden User kann oder will sich durch nur eine Persönlichkeit im Netz repräsentiert sehen. Zuckerberg als männlicher Angehöriger der (weißen) Elite und Milliardär mag tatsächlich keinen Nutzen in verschiedenen sozialen Persönlichkeiten/Rollen sehen, aber viele seiner User müssen durchaus unterscheiden zwischen den Bildern, die sie öffentlich verkörpern, und diese genau kontrollieren, um Schwierigkeiten zu vermeiden - sie sind sozial verletzlich. Dass das Leben aus einem stetigen Wandel der verkörperten Ichs besteht, dass man sich ständig je nach Publikum, Kontext und Ziel anders repräsentieren muss, dieser Gedanke scheint Zuckerberg vollkommen fremd zu sein. Es geht nicht um einen Mangel von Integrität - man gibt nicht vor jemand anders zu sein, als man ist, um zu täuschen, sondern man betont einige Aspekte der eigenen Persönlichkeit manchmal mehr, manchmal weniger. Je nach dem sozialen Kontext, in dem man sich befindet, definiert man seine gerade erforderliche Rolle.

Zuckerbergs Ansicht wäre nicht so fundamental kritisch zu bewerten, wenn er nicht erstens die Blindheit für Andere hätte, von sich und seinen begrenzten Erfahrungen auf die Bedürfnisse seiner gesamten Userschaft zu schließen und zweitens die Macht und Chuzpe hätte, diese Überzeugung auch in zwangsbeglückender Weise in seiner Rolle als Gründer und CEO durchzusetzen und damit 500 Millionen Usern praktisch die neuen Regeln diktieren würde.

Seine Ansicht ist aber ganz im geschäftlichen Interesse von Facebook. Das Modell von einer einzigen Online (und Offline) Identität deckt sich mit dem Ziel Facebooks, das Zentralregister universeller Web-IDs von Usern im Netz zu werden - hat jeder User mehrere verschiedene davon, und nähert sich das virtuelle soziale Netz nicht immer besser dem echten sozialen Netz echter Menschen an, dann sinkt der wirtschaftliche Wert dieser Informationen, da sie weniger verwertbare Aussagekraft über das Verhalten von echten Konsumenten vermitteln.

Das Modell der einen Identität spiegelt sich auch in den Facebook Nutzungsbedingungen wieder, Punkt 4.1.:

  1. Du wirst keine falschen persönlichen Informationen auf Facebook bereitstellen oder ohne Erlaubnis ein Profil für jemand anderes erstellen.
  2. Du wirst nur ein persönliches Profil erstellen.

Viele der User werden die beschriebenen Änderungen nur beiläufig bemerkt und ihre Tragweite nicht abgesehen haben, aber in Zukunft mit deren Folgen in ihrem eigenen Leben zu tun haben, wenn sie nämlich verschiedene soziale Persönlichkeiten einnehmen müssen - ihre Vergangenheit aber undifferenziert mitsamt aller auf Facebook gemachten Äußerungen, Fotos, bekundeten Vorlieben und empfangenen Kommentaren monolithisch in der Öffentlichkeit steht und neuen Freunden im Ganzen zugänglich ist, mitsamt aller Widersprüche, die sich angesammelt haben. Wie soll ein Lehrer Facebook benutzen, der vor seinen Schülern eine andere Persönlichkeit darstellen können muss, als vor alten Freunden und Bekannten, und der bisher davon ausgehen konnte, dass seine auf Facebook eingestellten Hobbys privat bleiben würden? Erst nach dem Privacy-Update Facebooks wird es wieder möglich sein, seine Interessen vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Ein wichtiger Unterschied des öffentlich wahrgenommen "Charakters" von Facebook zum Beispiel im Gegensatz zu Google: Google hat beim Start von Buzz ebenfalls ungefragt private Daten veröffentlicht, ist aber innerhalb kürzester Zeit zurückgerudert, hat die gemachten Fehler eingesehen und sich entschuldigt - Facebook dagegen beschwichtigt und benutzt Public Relations Neusprech um dem öffentlichen Druck zu widerstehen und die Änderungen, die intern als immer noch vollkommen richtig empfunden werden, nicht zurücknehmen zu müssen - erst der nicht nachlassende Druck hat Facebook jetzt dazu bewogen, doch Verbesserungen anzukündigen.

"If people share more, the world will become more open and connected," he writes in the article. "And a world that's more open and connected is a better world."

Facebook CEO Mark Zuckerberg, Washington Post, 24.5.2010

Vielleicht aber glaubt Zuckerberg tatsächlich daran, dass wie er sagt, Transparenz und mehr Offenheit von Daten zu mehr Empathie und Toleranz führen und will das einfach möglichst schnell durchsetzen - ein Visionär mit Dampfhammer. Dann wäre die Peace on Facebook [8]-Seite Ausdruck seines Sendungsbewußtseins. Aber selbst wenn man annimmt, dass es sehr wünschenswert wäre, wenn Menschen mehr "Sharen" würden, erscheint der Weg sie dazu zu zwingen oder sie dahingehend zu manipulieren, dass sie Dinge öffentlich mitteilen ohne sich dessen bewusst zu sein, kontraproduktiv und - ohne vorhergehende Aufklärung - verantwortungslos.

Ein anderer Grund für die aggressive Anti-Privatsphären Politik Facebooks könnte folgender sein: die neuen Dienste via Social Plugins machen nur Sinn, wenn sich genügend User beteiligen - und Opt Out garantiert eine hohe Zahl von (wenn auch zum Teil unzufriedenen) Usern. Erst wenn viele Freunde mitmachen ist es wahrscheinlich, sich gleichzeitig mit Freunden auf einer Site wiederzufinden und deren Aktivitäten zu sehen bzw. mit ihnen Likes dort zu teilen.

Immer weiter wachsen

Vermutet [9] wird, dass Facebook 2010 Einnahmen von rund 1,1 Milliarden Dollar erzielen wird. Facebook ist aber seine geschätzten 11 Milliarden Dollar nur wert, wenn es gelingt, den enormen Datenschatz in noch mehr Profit zu verwandeln (und auch angesichts des vermutlich bald bevorstehenden Börsengangs gilt es die Phantasie der zukünftigen Anleger zu beflügeln): je mehr Informationen öffentlich sind, desto mehr Geld ist potentiell zu verdienen. Und deswegen lohnt es sich, das Gefühl der User, welche Daten privat und welche öffentlich sind, in Richtung mehr Öffentlichkeit zu drängen. Zumal Facebook auch schon die Erfahrung gemacht hat, das Userprotest gegen ein neues Feature sich in Gefallen umwandeln kann: als Facebook den News Feed ("Neuigkeiten"), die Aggregation von Meldungen über Aktivitäten von Freunden auf der Startseite des eigenen Kontos, 2006 einführte, gab es auch massive Proteste [10] eines Teils der damals 8 Millionen User, die es als Verletzung ihrer Privatsphäre empfanden, die bis dahin nur durch den Besuch der jeweiligen Profilseiten lesbaren persönlichen Statusmeldungen auf jeder Startseite eines "Freundes" publiziert zu sehen. Facebook widerstand den Forderungen und heute ist der News Feed eine zentrale Facebook Funktion, um ständig über den aktuellen Status seiner Freunde informiert zu sein. Eine Tatsache, die Zuckerberg nicht müde wurde zu erwähnen, als er die neuesten Privacy-Verletzungen verteidigte bzw. dann deren teilweise Rücknahme ankündigte.

Facebook-Suche statt Suche im Netz?

Die Sammlung von Userdaten und Kontakten bringt Facebook in ein Rivalitätsverhältnis zu Google, dessen Suche Konkurrenz bekommen könnte durch eine soziale Suche per Facebook: Fragen werden vom eigenen sozialen Netzwerk von Anderen entweder direkt persönlich beantwortet oder aus dem personifizierten Datenfundus heraus - vielleicht auch einmal in Zusammenarbeit mit einer Suchmaschine wie Microsofts Bing: Seiten, die besonders weit oben in einem Suchergebnis berücksichtigt werden sind dann nicht die viel gelinkten (à la Google), sondern diejenigen, die von den meisten Freunden oder Ähnlich-Interessierten besucht und empfohlen wurden, ein Mechanismus, der zunächst schwieriger zu manipulieren wäre als Googles Ansatz, der zu gekauften Verlinkungen und Linkfarmen geführt hat.

Und welch ein Drachenhort: diese wertvollen Informationen, Urteile von Menschen über Netzinhalte in Form von Empfehlungen an denen sich Suchmaschinen orientieren, steht in ganzem Umfang nur Facebook zur Verfügung.

Potentiell könnte Facebook durch seine Social Plugins die Geschwindigkeit von Nachrichten, Hypes, neuen interessanten Seiten im Netz noch weiter beschleunigen, durch immer schneller weitergereichte Empfehlungen, aber der neue Ansatz kann auch zum Gegenteil des personifizierten "freundlichen" Netzes führen, nämlich zu einer unübersehbaren Datenflut, wenn hunderte von Bekannten ständig Seiten empfehlen, Meldungen oder Meinungen posten und schon selbst "ge-likte" Seiten Updates publizieren - alle im eigenen News Feed, der dann nur noch rasend schnell weiß durchrauscht und gar nicht mehr bewusst gelesen und verarbeitet werden kann. Das zwingt User, die auf dem laufenden sein wollen, was die eigenen Freunde gerade so machen, ständig die Seite zu besuchen - ein für Facebook durchaus wünschenswerter Nebeneffekt.

Facebooks ständiges Jetzt

Auch ein anderer Aspekt führt dazu ständig Facebook aufzurufen und zu checken, Facebook als Medium des "Jetzt": von den Daten her ist Facebook eigentlich für Vielnutzer wie ein digitales Tagebuch, in dem aktuelle Befindlichkeiten genauso dokumentiert sind wie soziale Interaktionen, Reisen oder Ausgeh-Abende. Aber das Interface, die fehlenden Navigationsmöglichkeiten in der Zeit, lassen diese implizite Funktion unbenutzbar erscheinen: Ohne eine Suche, die nach einem bestimmten Datumsbereich eingeschränkt werden kann, lässt sich nicht sinnvoll in den Einträgen auf der eigenen (Pinnwand) oder der gemeinsamen Vergangenheit (News Feed) stöbern. Die einzige Art, sich auf der Zeitleiste zurück zu bewegen ist ein mühsames (und beim News Feed auf einen relativ kurzen Zeitraum) begrenztes, eher analog als digital anmutendes, blättern.

In die Vergangenheit kann man nur blättern

Zielgenau werben

Facebook kennt die Vorlieben und Interessen seiner User sowie deren Freuden - sei es bezüglich Musikgeschmack, Lieblingsfilmen oder Produkten, Sportarten, Berufen und Hobbys, besuchten und gemochten Webseiten: der ideale Datenpool, um zielgruppengenau Werbung einzublenden. Dieser neue Datenberg könnte (wird) Facebook dazu dienen, ein eigenes Werbenetzwerk ähnlich Googles Adsense aufzubauen, das das einmalige Wissen um die Interessen von Usern dazu nutzt, um auf die User zugeschnittene Werbung siteübergreifend zu zeigen. Und das nicht nur auf der eigenen Site, sondern auch auf Beteiligungsbasis auf allen Websites die mitmachen wollen. Facebook würde dann dem Beispiel Googles folgen, um Geld nicht nur mit der Kernkompetenz (Suchmaschine bzw. Soziales Netzwerk) zu verdienen, sondern das damit erworbene Wissen dazu zu nutzen, in das Werbebusiness einzusteigen, um die lukrative Rolle des intelligenten Vermittlers von Werbung zwischen Webetreibenden und Webseiten zu spielen. Oder an Webseiten (besonders Shops) das Wissen verkaufen, was ihre Besucher für Vorlieben haben.

Als kritisch könnte sich nur der Punkt erweisen, ab dem diese Werbung zu zielgerichtet ist: Sobald dem User auffällt, das er ständig seinen Interessen, letzten Beiträgen oder Besuchen von Webseiten gemäß Werbung eingeblendet bekommt, könnte es ihm unheimlich werden und zu Bewusstsein kommen, dass es da eine Instanz im Netz gibt, die jeden seiner Schritte kennt und ihm beim Surfen oder Chatten ständig über die Schulter schaut, um ihm passende Werbetafeln anzuzeigen - der Big Banner Brother. Er fühlt sich dann unter Umständen beobachtet, überwacht.

Facebook geolokal

Demnächst wird Facebook georeferenzierte Dienste starten - was das umfassen wird, darüber kann nur spekuliert werden: zumindest die Möglichkeit, Statusmeldungen vom Smartphone aus mit einer Ortsangabe zu versehen (die Facebook nach dem neuesten Privacy-Debakel vielleicht nicht als Opt Out einführt), dürfte als sicher gelten. Damit könnte man jederzeit sehen, wo Freunde sich gerade aufhalten (sofern diese ihren Standort freigeben) - eine Funktion, wie sie schon Googles Latitude hat, und die viele Handygespräche im Stile von "Wo bist Du? Ich bin hier." überflüssig machen würde. Denkbar wäre natürlich auch die Möglichkeit, zu sehen, welche Freunde sich in der Nähe aufhalten, Statusupdates von Freunden (sowie öffentlich freigegebene) im Umkreis zu lesen und (mittels der neuen Open Graph Tags und via Yelp-Daten) georeferenzierte Seiten und Orte angezeigt zu bekommen. Angekündigt sind auch schon ortsbezogene Werbeaktionen. Weitergedacht wäre Facebook anhand der Vielzahl von Informationen über Personen und deren Verbindungen auch in der Lage, auf Anfrage Kontakte zu anderen Menschen herzustellen, die sich in der Nähe aufhalten und ähnliche Interessen haben oder gemeinsame Freunde kennen, als eine Art von Bekanntschafts- oder auch Partnerschaftsvermittlung.

Positiv gesehen würde ein solcher Dienst natürlich auch interessante neue Möglichkeiten bieten, andere Menschen kennenzulernen, mit denen man gemeinsame Interessen teilt (mögen sie kurzfristig und ortsgebunden oder -übergreifend sein) und auch gleich ein Gesprächsthema hat. Allein der soziale Kreis von Facebook-Freunden dürfte ausreichen, um an vielen Orten potentiell nicht mehr allein sein zu müssen. Kritisch gesehen ergibt sich andererseits durch geo-getaggte Meldungen eine ganz neue Dimension von Informationen über einen Menschen, die von verschiedenen Seiten ausgenutzt werden könnten, z.B. um Bewegungs- oder Verhaltensprofile von Einzelnen oder ganzen Gruppen zu erstellen.

Datamining

Ein kleines spielerisches Beispiel der Möglichkeiten, die der Datenfundus bietet, hat Facebook gerade gegeben und quantitativ das Glücksgefühl in 22 Ländern gemessen [11]. Durch eine einfache Ermittlung der Häufigkeit von Gefühlsäußerungen (anhand von Adjektiven wie etwa "toll", "tragisch", "traurig" oder "glücklich") in den Meldungen von Nutzern, versucht Facebook die Entwicklungstendenzen für das Gross National Happiness [12] Bruttonationalglück verschiedener Länder aufzuzeigen.

Diese Beispiele zeigen nur sehr einfache Möglichkeiten auf, aus einer Vielzahl von Informationen Aus- oder Vorhersagen über das Verhalten oder den Zustand von Einzelpersonen oder Gruppen zu machen - das menschliche Verhalten folgt mehr Verhaltensmustern, Vorbildern und Gewohnheiten, als es den meisten Menschen bewusst ist. Aus dem Datenvorrat, den Facebook hat, könnte eine Vielzahl von mehr oder weniger trivialen Social Tools erzeugt werden, die ganz öffentlich Verhaltensmuster erkennen und deuten könnten.

In Zukunft könnte Facebook diese gesammelten Userdaten auf viele Weisen quantitativ analysieren, um Trendreports zu generieren und z.B. an Marketingagenturen zu verkaufen. Von Algorithmen per Datamining erstellte Globale Studien mit einer enormen Anzahl von (sich dessen unbewussten) Teilnehmern oder Live-Reports über die Änderungen der Beliebtheit einer Musikgruppe, Parteien oder einer Marke.

Und natürlich bieten auch externe Firmen ihre Dienste an, so adressiert z.B. eine Firma namens Colligent Plattenfirmen, um aus den öffentlichen Daten sozialer Netzwerke das ideale potentielle Zielpublikum für einen neuen Künstler zu ermitteln - weitere Dienste sind geplant.

Eher geschlossen

Ein anderer Aspekt der Facebook Strategie ist das Prinzip Daten zu sammeln, aber möglichst nicht nach außen zu geben: so generieren die auf anderen Webseiten eingebetteten Social Plugins von Facebook zwar eine Menge von Daten über diese Sites (Welche Seiten davon die User "mögen", dazu Kommentare und Informationen über die Wege der User durch die Site), aber die Seitenbetreiber haben darauf keinen direkten Zugriff. Ebenso zeigt ein von Facebook gegen Power.com angestrengtes Gerichtsverfahren [13], mit dem es dem Service verbieten will, sich im Dienste des Users automatisch bei Facebook einzuloggen, um die neuesten Daten dann zusammen mit denen anderer sozialer Netzwerke für den User zusammenzustellen, dass Facebook nur "open" im Einsammeln, nicht aber im Teilen von Informationen ist.

In einer anderen Klage [14] gegen einen Entwickler sprach Facebook diesem das Recht ab, die öffentlichen Daten von Usern auf Facebook per Robot zu durchsuchen und abzuspeichern - trotz der impliziten Erlaubnis per Robots.txt, dem File das den Zugriff von Webcrawlern auf eine Site beschränkt oder eben zulässt, wie im Falle von Facebook.

Facebook will nicht nur eines von mehreren Netzwerken sein, das genutzt wird, und will nicht, dass der User freie Verfügungsgewalt über seine Daten hat: sonst wäre es ein Leichtes, per Tool automatisch mitsamt aller Daten, die man auf Facebook angesammelt hat, zu einem anderen Netzwerk umzuziehen. Facebook versteht die Gravitation der bereits erfolgten Investitionen ins eigene Netzwerk, die in Form von Arbeit und Zeit, die in ihrer Masse und Verknüpfung das eigentliche Kapital von Facebook darstellen, bereits erfolgt sind und die User davon abhält, bei Ärger über Facebook einfach schnell in ein anderes soziales Netzwerk zu wechseln. Und konstituiert damit das Gegenteil eines offenen Netzes und freien Schnittstellen. Facebook bietet aber dem User einfache Möglichkeiten an, seine Aktivitäten auf anderen Netzwerken in Facebook zu publizieren - diese Bewegung von Daten ist Facebook genehm.

Teil 4 [15]: Gegenreaktionen


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Facebook-Web-2-0-3385805.html
[2] http://www.time.com/time/business/article/0,8599,1990582-2,00.html
[3] http://www.eff.org/deeplinks/2010/04/facebooks-evil-interfaces
[4] http://www.eff.org/deeplinks/2010/04/handy-facebook-english-translator
[5] http://www.danah.org/papers/talks/2010/SXSW2010.html
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/Facebook_Beacon
[7] http://online.wsj.com/article/SB10001424052748704513104575256701215465596.html
[8] http://peace.facebook.com/
[9] http://www.insidefacebook.com/2010/03/02/facebook-made-up-to-700-million-in-2009-on-track-towards-1-1-billion-in-2010/
[10] http://www.time.com/time/nation/article/0,8599,1532225,00.html
[11] http://apps.Facebook.com/gnh_index/
[12] http://en.wikipedia.org/wiki/Gross_national_happiness
[13] http://www.allfacebook.com/2010/05/auto-logging-into-facebook-could-get-you-arrested/
[14] http://petewarden.typepad.com/searchbrowser/2010/04/how-i-got-sued-by-facebook.html
[15] https://www.heise.de/tp/features/Gegenreaktionen-3385809.html