Web-Dissident in China verhaftet
E-Commerce soll Wachstum bringen, aber das Web kein Schlupfloch für die Opposition sein.
Bei rasant wachsenden Internetnutzerzahlen scheint die chinesische Regierung darauf erpicht, jegliche politische Opposition im Internet im Keim zu ersticken, während das Land zugleich den E-Commerce-Goldrausch nicht versäumen möchte. Wie die offizielle staatliche Presseagentur Xianhu meldete, wurde am Dienstag die 10-Millionengrenze bei den Internetnutzerzahlen überschritten. Einem Web-Dissidenten in der Stadt Chengdu drohen Anklage und Haft wegen "Subversion".
Am Abend des 11.Jahrestages des Massakers vom Tiananmen-Platz am 4.Juni 1989, wurde Huang Qui wegen der Veröffentlichung regierungskritischer Materialien auf einer Website verhaftet. Entgegen anders lautenden Berichten war seine Frau Zeng Li nicht verhaftet worden. Huang Qi, 36, droht eine Anklage wegen "Subversion", was ihm bei einer Verurteilung bis zu 10 Jahren Haft bringen könnte. Auf einer Website, die bei einem US-amerikanischem Provider untergebracht sein soll, habe er menschen- und bürgerrechtsbezogene Materialien veröffentlicht, die sich unter anderem auf die Niederschlagung der Studentendemonstrationen vor 11 Jahren bezogen haben.
Dabei waren Herrn Huangs Web-Publishing-Aktivitäten zunächst sogar staatlichen Medien positiv aufgefallen. Er hatte eine Site betrieben, die dem Auffinden Vermisster gewidmet war. 10.000 Familien sollen durch diese Site wieder zusammengefunden haben. Dann begann Huang mit Veröffentlichungen, die sich auf Verletzungen von Menschrechten chinesischer Gastarbeiter bezogen. Das hatte bereits zu einer Intervention der Behörden im März dieses Jahres geführt. Doch er lies sich scheinbar nicht abhalten, weiterhin sensible Materialien zu veröffentlichen.
Zehn Tage vor dem Jahrestag am 4.Juni wurde auf Huangs Site ein Schreiben einer ehemaligen Universitäts-Professorin gepostet, deren Sohn bei dem Militäreinsatz am Tiananmen-Platz ums Leben gekommen war. In dem Text wird eine Rehabilitierung der Demokratiebewegung gefordert sowie die Entkriminalisierung von Opfern. Huang hatte bereits geahnt, wohin ihn seine Web-Herausgeberaktivitäten bringen könnten. Bei einem Interview mit einer amerikanischen Nachrichtenagentur sagte er im April: "Ich kenne meine Zukunft, wenn ich mit meinen Websites weitermache. Sie wird entweder im Gefängnis sein oder in der Hölle."
Erst kürzlich hat die Volksrepublik China eine neue Behörde eingerichtet, deren Aufgabe die Überwachung aller Nachrichtensites im WWW ist. Das "Internet Information Management Bureau" soll seine Tätigkeit im Juli aufnehmen. Alle Inhalteanbieter müssen um eine Erlaubnis ansuchen und die von ihnen veröffentlichten News werden von der Behörde inhaltlich "korrekt angeleited", wie die staatliche Presseagentur im Großer-Bruder-Jargon schrieb.
China ist ein großer Hoffnungsmarkt für Internet und E-Commerce. Chinesisch soll bereits die zweitwichtigste Sprache im Internet sein. Doch die Formel, nach der wirtschaftliche Liberalisierung in Ordnung ist, politische jedoch nicht, wird zweifellos zu immer größeren Spannungen führen. Die Regierung hat zwar Zugriff auf die physischen Einwohner des Landes, kann aber gegen die meist auf amerikanischen Servern laufenden Dissidenten-Sites selbst wenig unternehmen.