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Weißbuch: Bundeswehr soll bunter werden

Wie in anderen Berufsarmeen auch, will sich die Bundeswehr als Arbeitgeber einem Kulturwandel unterziehen, um ausreichend Personal rekrutieren zu können

Im gerade von Verteidigungsministerin von der Leyen veröffentlichten Weißbuch geht es nicht nur um die wachsenden Aufgaben, die die Bundeswehr auch im Ausland nach Ansicht der Regierung und des "Münchener Konsenses", wie es so schön heißt, zu erfüllen hat. Natürlich geht es um mehr Geld für Einsätze, vor allem aber für die Ausrüstung und das Personal (Streitkräfte im Innern einsetzen und eine "Fremdenlegion" schaffen [1]).

Eine "Trendwende" sei in der Personalpolitik notwendig, heißt es, man müsse eine "moderne, nachhaltige und demographiefeste Personalpolitik" in der "Konkurrenz um die klügsten Köpfe und die geschicktesten Hände" schaffen. Es werden immer mehr Experten benötigt, zudem wächst der Personalbedarf mit den zunehmenden "sicherheitspolitischen Erfordernissen", während gleichzeitig die demografische Entwicklung den Anteil der jungen Menschen in der Bevölkerung sinken lässt und damit die Konkurrenz zum normalen Arbeitsmarkt in zweierlei Hinsicht schärfer wird (Die Bundeswehr auf Personalsuche [2]).

Im Weißbuch heißt es, man wolle, wie das auch das Pentagon versucht, "Austauschmodelle zwischen Bundeswehr und Wirtschaft" einführen, was bedeuten soll, dass mehr externes Personal zeitweise und wahrscheinlich nicht unter den normalen Befehls- und Verhaltensstrukturen eingebunden werden soll, das nicht bei der Bundeswehr eingestellt ist und dann auch nicht den Anfordernissen, denen Soldaten genügen müssen, unterliegen. Überdies sollen Vielfalt und Chancengerechtigkeit mit "Diversity Management" und "interkultureller Kompetenz und Mehrsprachigkeit" wichtig werden, um Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und solche mit anderer sexueller Orientierung, aber auch ältere Menschen, solche mit unterschiedlichen Religionen oder mit Behinderungen, also letztlich alle, die irgendwie in Frage kommen, mit einzubeziehen.

Bild [3]: Wald-Burger8/CC-BY-3.0 [4]

Multikulti also als Versuch, Rekruten aus bislang noch nicht richtig erschlossenen Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, um die anvisierte Personalstärke zu sichern. Dazu wird verkauft, was die Regierung in Berlin nicht so laut sagen würde, zumal auch Bundeskanzlerin Merkel gerne mal vom Scheitern von Multikulti spricht, dass Vielfalt besser oder effektiver sei als Homogenität: "Gerade Teams mit unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen agieren erfolgreicher als homogene Gruppen." Ob das dann vielleicht auch bei Gesellschaften ähnlich ist?

Die Personalstärke soll flexibel sein, ohne Obergrenzen, die neue Personalpolitik soll "verbesserte Karrierebedingungen", also auch eine bessere Bezahlung, bessere Unterkünfte und bessere Arbeitsbedingungen mit dem Schwerpunkt der Balance von Privatleben und Dienst bieten, die sich vom bislang gewohnten soldatischen Alltag unterscheiden. Auch eine stärkere Dezentralisierung wird angedacht, um die Organisation "agiler" und anpassungsfähiger zu machen. Insgesamt soll die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver werden, obgleich sie ja bereits eine attraktive "Marke" ist und als "verlässlicher Arbeitgeber" gilt.

Von den Anforderungen an die körperliche Fitness für die Personalpolitik ist im Weißbuch nicht die Rede, aber bei dem Zwang, dringend die Möglichkeiten zur Rekrutierung zu erweitern, wird es neben dem bunten Personal auch darum gehen, die Anforderungen zumindest teilweise zu senken und flexibel zu handhaben. Bei allen Berufsarmeen wird die Notwendigkeit der traditionell hoch bewerteten körperlichen Fitness hinterfragt. Es wachsen auch deswegen die Schwierigkeiten, überhaupt noch geeignete Rekruten zu finden. Die Fitness der jungen Menschen, die zunehmend übergewichtig und sportlich abstinent sind, schafft Probleme. Dazu kommt, dass die Arbeit des Soldaten mehr und mehr mit komplizierter und vernetzter Technik stattfindet, Soldaten Roboter aus der Ferne steuern und von Maschinen ersetzt werden und der Cyberspace zum neuen Schlachtfeld erhoben wurde, in dem nerdige Cybersoldaten vor Bildschirmen sitzend den Cyberwar führen.

Wozu sollten viele Rekruten noch erfolgreich einen Sprinttest, Klimmhang oder einen 3.000-Meter-Belastungstest auf dem Fahrrad-Ergometer wie beim Basis-Fitness-Test (BFT) der Bundesweehr absolvieren müssen, wenn sie dann vor allem eine sitzende Tätigkeit ausüben? Zumal wenn man dann Bewerber abweisen muss, die etwa für die IT-Abteilungen oder das Cyberkommando geeignet wären. Verteidigungsministerin von der Leyen dachte [5] im März schon mal laut im Rahmen von Überlegungen, wie man die Bundeswehr attraktiver machen könnte, darüber nach: "Beispiel körperliche Fitness: Es stellt sich die Frage, ob jeder einzelne Soldat und jede einzelne Soldatin, gleich welche Aufgabe sie im Riesenkonzern Bundeswehr ausfüllt, tatsächlich einen langen Marsch mit schwerem Gepäck bewältigen können muss."

Kampagne "Projekt Digitale Kräfte". Bild: Bundeswehr [6]

Oberstleutnant Uwe Roth vom Presse- und Informationsstab wiegelte daraufhin ab: "Zunächst einmal ist es so, dass jeder Soldat eine gewisse Grundfitness haben muss. Es gibt aber bei der Bundeswehr ein breites Spektrum an Tätigkeiten oder Verwendungen und Aufgaben, und für dieses breite Spektrum gibt es auch unterschiedliche körperliche Anforderungen und Voraussetzungen. Sie können zum Beispiel die Anforderung an einen Jet-Piloten, einen Kampfschwimmer oder einen Fallschirmjäger nicht mit der vergleichen, die an einen IT-Spezialisten gestellt wird, der im Bereich des Stabsdienstes oder des Geschäftszimmers eingesetzt ist. Daran wird sich auch zukünftig nichts ändern. Aber wir müssen gucken, ob wir nicht zurzeit Ausschlusskriterien haben, die es einem qualifizierten Seiteneinsteiger vielleicht nicht ermöglichen, bei uns einen Karriereweg zu durchlaufen, weil er vielleicht die vorgegebene Zeit beim 5000-Meter-Lauf um ein, zwei Sekunden verfehlt. Da müssen wir schauen, ob es dort Kriterien gibt, die nicht mehr zeitgemäß oder nicht mehr angebracht sind, damit wir auch solche Leute zu uns bekommen können." Wie Thomas Wiegold berichtete [7], sagte er, jeder Soldat müsse "eine gewisse Grundfitness" haben. Aber es gebe unterschiedliche körperliche Anforderungen für einen eine Kampfschwimmer und einen IT-Spezialisten.

Alle dürfen alles: Auch im Pentagon versucht man aus Personalproblemen "offener" zu werden

Auch jenseits des Atlantiks wird seit längerem mit dem Problem gerungen, das auch damit zusammenhängt, dass nun vermehrt Frauen zwar die fehlenden Männer ersetzen, aber mitunter größere Schwierigkeiten haben, die Fitness-Kriterien zu erfüllen. Der Mangel an geeigneten Rekruten werde zu einem Problem der nationalen Sicherheit, wird gewarnt [8]. So seien junge Menschen nicht nur oft übergewichtig, sondern es fehle ihnen auch körperliche Beweglichkeit. Beklagt wird, dass 18- oder 19-Jährige nicht imstande seien, eine Rolle vorwärts zu machen oder mit dem Seil zu springen.

Beim Marine Corps etwa entfällt [9] der Klimmhang, alle Soldaten können wählen zwischen Klimmzügen und Liegestützen. Der Klimmhang sei kein geeigneter Test für die Kraft im Oberkörper, zudem wolle man keine unnötigen Probleme bei der "Manpower" schaffen, wenn manche Frauen beim Klimmhang scheitern sollten. Für die beste Bewertung müssen 21-25-jährige Männer 23 Klimmzüge (mindestens 5) oder 87 Liegestützen (mindestens 34-42) schaffen, 26-30-jährige Frauen 10 Klimmzüge oder 50 Liegestützen (mindestens 14-19).

Wer gut bei den Tests abschneidet, darf auch mehr wiegen. Angeblich weil stärkere Muskeln auch mehr Gewicht bringen. Frauen dürfen ein paar Pfund im Vergleich zu Männern mehr wiegen. Auch beim Körperfettanteil wird man flexibler. Beim Kampffitnesstest müssen Marines aber in Zukunft mehr leisten. Bislang mussten Männer unter 25 einen 15 kg schweren Munitionsbehälter mindestens 67 Mal in 2 Minuten über den Kopf heben und weiterreichen, jetzt muss dies mindestens 45 Mal geschehen. Frauen müssen es 30 Mal schaffen, jetzt sind nur 20 Mal gefordert.

US-Verteidigungsminister Ash Carter übt erheblichen Druck darauf aus, die Personalbasis zu erweitern und stößt dabei auch gegen die traditionelle Soldatenkultur, die weiterhin männlich fixiert ist. Die Entscheidung vom Dezember letzten Jahres, Frauen für alle Aufgaben zuzulassen, also auch für den Dienst in Sondereinheiten [10] wie den Navy Seals und in allen Kampfeinheiten, sorgte bereits im Vorfeld für Unruhe und Ablehnung. Nach einer Umfrage [11], die das Pentagon längere Zeit unter Verschluss hielt, waren Zweidrittel der Männer im Marine Corps gegen die Öffnung aller Ränge für Frauen. Je höher der Rang der Befragten, desto höher die Ablehnung. 90 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten Bedenken, dass intime Beziehungen unter den Soldaten zum Problem werden könnten, 80 Prozent fürchteten, dass Frauen fälschlich sexuelle Belästigung erheben oder bevorzugt werden könnten.

Eine andere Umfrage [12], die im Dezember veröffentlicht wurde, zeigte, dass die befragten Mitglieder von Spezialeinheiten die Integration von Frauen in Kampfeinheiten zu 85 Prozent ablehnten, 70 Prozent waren dagegen, dass Frauen in ihren Einheiten einbezogen werden, 80 Prozent meinten, dass Frauen nicht stark genug seien. Eine vom Marine Corps durchgeführte Studie kam zum Ergebnis, dass die Leistung von Frauen in Kampfeinsätzen schwächer sei. Sie würden langsamer sein, nicht so genau schießen und sich öfter verletzen.

Im Juni wurde vom Verteidigungsminister auch das Transgender-Verbot aufgehoben [13], nachdem vor Jahren schon das Prinzip "don't ask, don't tell" für Homosexuelle abgeschafft wurde und diese nun offen Kriegsdienst leisten können. Letztes Jahr waren bereits Homosexuelle unter der Devise der "Offenheit für Diversität" erstmals vor Diskriminierung geschützt worden. Transgender waren allerdings noch ausgeschlossen geblieben und konnten Diskriminierung nicht anzeigen, sie wurden entlassen, wenn sie zugaben, Transgender zu sein. Jetzt sollen Kommandeure auch Geschlechtsumwandlungen auf Wunsch unterstützen. Das Pentagon, Vorbild für die Bundeswehr und Verteidigungsministerin von der Leyen, führte die Öffnungen nur deswegen ein, um ausreichend Rekruten zu finden und qualifiziertes Personal zu halten.

Junge Amerikaner sind heute unterschiedlicher, offener und toleranter als frühere Generationen. Wenn wir die Besten und Klügsten von ihnen anziehen wollen, damit sie zu unserer Mission der nationalen Verteidigung einen Beitrag leisten können, müssen auch wir selbst offener, unterschiedlicher und toleranter werden.

US-Verteidigungsminister Ash Carter

Diskutiert wird, inwieweit die Fitnessanforderungen für Frauen gesenkt werden müssen oder dürfen oder ob nicht wieder mehr Wert auf die Kampffitness oder die grundlegenden Aufgaben eines kämpfenden Soldaten gelegt [14] werden soll, wozu Schießen, Reinigen von Waffen oder die Praxis gehört, auf dem Land auch ohne digitale Ausrüstung navigieren zu können. Es kommt auch die Frage auf, ob nicht wieder mehr Disziplin erforderlich sei, also die Soldaten wieder mehr marschieren und exerzieren sollen. So wird der Occupational Physical Assessment Test (OPAT) für Rekruten geschlechtsneutral sein, nach dem bestimmt wird, wer aufgenommen wird und für welche Einsätze geeignet ist. Ein langer Sprung aus dem Stand, ein Wurf im Sitzen, ein Kreuzheben und ein Intervalllauf müssen abgedient werden. Zusätzlich wird ein Einsatzfitnesstest geplant [15], mit dem regelmäßig geprüft werden soll, ob man körperlich in der Lage ist, die notwendigen Aufgaben zu erfüllen:

Let's take an artillery soldier, for example. An artillery round weighs 75 pounds, and it doesn’t care whether you’re a man or a woman. You’ve got to be able to lift that thing and put it inside of the gun … and you’ve got to be able to do it over and over and over again. I can’t put somebody inside that Howitzer that can’t do that and meet those standards, or we have now just degraded the standards of what’s required of us to support our wartime missions.

Sergeant Major of the Army Dan Dailey

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3269815

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Streitkraefte-im-Innern-einsetzen-und-eine-Fremdenlegion-schaffen-3269785.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Die-Bundeswehr-auf-Personalsuche-3379039.html
[3] https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Military_insignia_of_Germany_-_Bundeswehr?uselang=de#/media/File:Bundeswehr_Wir._Dienen._Deutschland..jpg
[4] http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de
[5] http://www.presseportal.de/pm/30621/2695885
[6] https://www.bundeswehrkarriere.de/presse
[7] http://augengeradeaus.net/2014/03/attraktivitat-der-bundeswehr-fitness-je-nach-aufgabe/#more-14717
[8] http://foreignpolicy.com/2015/12/23/849006/
[9] http://www.marinecorpstimes.com/story/military/2016/07/01/11-things-marines-need-know-corps-new-fitness-rules/86582012/
[10] http://www.sandiegouniontribune.com/news/2016/mar/10/defense-releases-plans-women-seals-marines/
[11] https://www.washingtonpost.com/news/checkpoint/wp/2016/03/10/survey-details-depth-of-opposition-in-marine-corps-to-allowing-women-in-combat-jobs/
[12] http://freebeacon.com/national-security/us-commandos-integration-of-women-will-hurt-effectiveness-in-combat/
[13] http://freebeacon.com/national-security/pentagon-issues-transgender-directive-offers-extended-time-off-transition/
[14] http://www.armytimes.com/story/military/2016/07/05/back-basics-army-dials-up-traditional-soldiering-once-again/86005952/
[15] http://www.armytimes.com/story/military/2016/05/11/army-takes-hard-look-creating-combat-readiness-test/83980166/