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Weiter anhaltende schwere Dürre

Protest gegen Datteln 4 von Ende Gelände am 17. Mai. Bild: Ende Gelände

Die Energie- und Klimawochenschau: Von überflüssigen Kohlekraftwerken, Beethoven gegen RWE, einem erneut zu trockenem Frühjahr und von neuen Ökostromrekorden

Nun ist es tatsächlich geschehen. Das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 am Samstag hat den Regelbetrieb aufgenommen [1]. Trotz weit über einem Jahr Schulstreiks und massiven Klimaprotesten der Schüler, trotz Wissenschaftler- und Elterninitiativen, die sich im ganzen Land mit ihnen solidarisieren. Obwohl man seit mindestens 32 Jahren in Deutschland wissen kann, dass die Verbrennung der Kohle möglichst schnell beendet werden muss, um einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern. So lange ist es etwa her, dass eine Bundestags-Enquetekommission [2] die Fakten über Treibhausgase und ihre Wirkungen für die hiesigen Politiker zusammen zu tragen.

Doch nun läuft Datteln 4, und zwar obwohl es extreme Überkapazitäten gibt, obwohl die Kohlekraftwerke seit Monaten völlig unterbeschäftigt sind. Ein Kraftwerk, das erst im Nachhinein eine gültige Baugenehmigung bekam, ein Kraftwerk, das mit seinen riesigen Kühltürmen deutlich weniger als 1000 Meter Abstand zu den nächsten Wohnhäusern hat.

Doch derlei gilt nur für neue Windräder, nicht aber für Treibhausgase, Stickoxide, Schwermetalle, Schwefeldioxid und Arsen ausstoßende Anlagen. Nicht für Kraftwerke, die mit um den halben Erdball transportierter Kohle befeuert werden, deren Abbau nicht selten mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden ist.

Antje Grothus von der Initiative Buirer für Buir [3] aus dem Rheinland, die als eine der Tagebauanwohnerinnen in der Kohlekommission [4] saß, kritisiert die Inbetriebnahme scharf. Diese bedeute eine Aufkündigung des in der Kommission erreichten Minimalkompromisses [5] , erklärt sie auf Twitter. Die Kommission hatte empfohlen [6], im Bau befindliche Kraftwerke nicht in Betrieb zu nehmen.

Die Kommission empfiehlt weiterhin, den Bau neuer Kohlekraftwerke nicht mehr zu genehmigen. Für bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke empfiehlt die Kommission, eine Verhandlungslösung zu suchen, um diese Kraftwerke nicht in Betrieb zu nehmen.

Abschlussbericht Kohlekommission, Januar 2019

Den Strom verkauft das neue, am Rande des Ruhrgebiets stehende Kraftwerk vor allem an die Bahn, jenes Unternehmen, das sich ansonsten gern ein grünes Image gibt. Natürlich ging am Samstag vor Ort in Datteln die Inbetriebnahme nicht ohne Protest [7] über die Bühne. Nach Angaben [8] von tagesschau.de beteiligten sich auch 150 ehemalige Bergleute daran. Die letzte Steinkohle fördernde Zeche war an der Ruhr - Datteln liegt am Rand des Ruhrgebiets - 2018 geschlossen worden. An der Saar wurde der Bergbau bereits einige Jahre zuvor eingestellt.

Immer weniger Kohle

Grund war übrigens nicht klimapolitische Einsicht, sondern eine Vereinbarung zwischen den EU-Mitgliedern, die Subventionierung der Kohle auslaufen zu lassen. Braunkohle wird hingegen weiter gefördert, sie konnte bisher noch gewinnbringend verfeuert werden. In letzter Zeit ist auch das nicht immer gegeben, denn die gestiegene Preise, die für CO2-Emissionen bezahlt werden müssen, führen dazu, dass der Braunkohlestrom nicht mehr billig im Ausland verkauft werden kann. Entsprechend geht der Stromexport zurück und ist neben der Auslastung der Steinkohlekraftwerkeauch jene der Braunkohleanlagen zuletzt drastisch gesunken.

Nettostromerzeugung der ins öffentliche Netz einspeisenden Kohlekraftwerke. Im April und Mai waren es nur noch knapp sechs Milliarden Kilowattstunden im Monat, vor wenigen Jahren noch war eher das Dreifache die Norm. Bild: Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme

Dennoch halten die Braunkohlekonzerne RWE (Rheinland) und Leag (Lausitz und Leipzig) eisern weiter an der Ausbeutung der Tagebaue fest. Mag sein, dass sie sich noch einmal ein Geschäft erhoffen, wenn bis 2022 die letzten AKW abgeschaltet werden, die derzeit noch vier bis etwas über sechs Milliarden Kilowattstunden [9] im Monat ins Netz einspeisen. Mag auch sein, dass sie ihre Kraftwerke nur noch weiter laufen lassen, um möglichst hohe Entschädigungen für die Stilllegung herauszuschinden.

Jedenfalls sind durch den Abbau noch immer einige Dörfer vom Abriss bedroht und entsprechend gehen in den - durch die Konzernpolitik tief gespaltenen - Tagebaurandgemeinden auch die Proteste weiter. Am vergangenen Pfingstmontag mit klassischer Untermalung. Diverse Konzertmusiker hatten sich zu einem Protest-Konzert in Keyenburg am rheinländischen Tagebau Garzweiler zwischen Köln und Aachen eingefunden und spielten Ludwig van Beethovens sechste Symphonie, die "Pastoral-Sinfonie oder Erinnerungen an das Landleben" [10]. Die Initiatoren haben einen Lifestream [11] ins Internet gestellt, der noch abrufbar ist.

Die zunehmend schlechtere Ausnutzung der Kohlekraftwerke führt nicht nur zu weniger Treibhausgas-Emissionen. Neben vielen anderen Schadstoffen wird auch weniger Quecksilber ausgestoßen. Noch 2019, die Stromproduktion der Braunkohlekraftwerke war längst rückläufig (siehe obige Grafik), haben die acht größten unter ihnen zusammen noch knapp 3,8 Tonnen des giftigen Metalls in die Luft geblasen, wie das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) berichtet [12].

Über 50 Prozent des Strombedarfs werden von den Erneuerbaren geliefert

Der rückläufigen Stromproduktion der Kohlekraftwerke steht eine leicht gestiegene Auslastung der Gaskraftwerke gegenüber, was die Minderung des CO2-Ausstoß etwas relativiert. Vor allem wird sie aber auch durch das wachsende Angebot an Ökostrom möglich. Kohlekraftwerke produzierten 41 Milliarden Kilowattstunden in den ersten fünf Monaten 2020, Solaranlagen und Windräder hingegen knapp 89 und Biomasseanlagen und Wasserkraftwerke weitere gut 28 Milliarden Kilowattstunden. (Alle Angaben sind Netto und beziehen sich nur auf das öffentliche Netz.)

Entsprechend könnten in diesem Jahr die Erneuerbaren Energieträger etwas über 50 Prozent der Netto Stromerzeugung stellen und sicherlich, wenn der Nettoexport abgezogen wird, über 50 Prozent des Inlandsbedarfs decken. Jedenfalls, wenn es in den übrigen sieben Monaten so weiter geht wie bisher.

Darauf deuten unter anderem die Erhebungen des Bundesamtes für Statistik, Destatis, hin. Für das erste Quartal 2020 hatte das Amt letzte Woche einen Anteil von Sonne&Co. von 51,2 Prozent an dem ins öffentliche Netz eingespeisten Strom berichtet [13]. Windenergie sei mit 34,9 Prozent erstmalig über einen so langen Zeitraum der wichtigste Lieferant gewesen.

Anteil der Erneuerbaren an der ins öffentliche Netz eingespeisten Nettostromerzeugung. Bild: Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme

Im April und Mai hat sich diese Entwicklung weiter fortgesetzt. Nach der bisherigen Bilanz [14] des Fraunhofer ISE betrug der Anteil der Erneuerbaren an der eingespeisten Nettoerzeugung in 2020 bisher beachtliche 56,3 Prozent. In den einzelnen Monaten war der Anteil sogar meist noch größer. Allein im Januar lag er etwas unter 50-Prozent-Marke.

Frühjahr zu trocken

Bilanz ziehen auch die Meteorologen, für die mit dem Mai auch das Frühjahr zu Ende ging. Dies war einmal mehr viel zu trocken, heißt es [15] beim Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Die Monate März bis Mai gehörten zusammen im Mittel über das ganze Land zu den sechs niederschlagärmsten seit 1881.

Bereits zum siebenten Mal in Folge sei zudem der Frühling gemessen am langjährigen Mittelwert zu trocken gewesen. Üblich seien 186 Liter pro Quadratmeter, gefallen ist hingegen nur gut die Hälfte. Im Thüringer Becken, im Windschatten des Harzes und an der vorpommerschen Ostseeküste sei zum Teil nicht einmal ein Drittel des Solls gefallen. Nur im südlichen Schwarzwald, am Alpenrand und im Spessart sah es deutlich besser aus.

Entsprechend zeigt der Dürremonitor [16] des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung besonders für die etwas tieferen Bodenschichten bis 1,8 Meter für fast das ganze Bundesgebiet schwere, extreme oder außergewöhnliche Dürre an. Da ist es kaum verwunderlich, dass schon im April im niedersächsischen Emsland der erste Wald brannte [17]. Aktuell gab es rund um Pfingsten Waldbrände unter anderem im Harz [18], in Hessen [19], auf Usedom [20], an verschiedenen Stellen [21] in Brandenburg [22] und in Bayern [23].

Hohe Priorität für Klimawandel

Kein Wunder also, wenn sich viele Menschen ernsthaft Sorgen machen und mehr Klimaschutz fordern. Die Regierung in Nordrhein-Westfalen meint zwar offensichtlich, Datteln 4 anschalten zu können und sich nicht weiter um die Klimaproteste kümmern zu müssen, doch Meinungsumfragen sprechen eine andere Sprache. Für die Deutschen steht der Klimawandel weiter ganz oben auf der Listen der Prioritäten.

Das ist das Ergebnis einer Befragung [24], die Allensbach im Auftrag der Tageszeitung "Welt" durchgeführt hat. Demnach antworteten, befragt nach ihren persönlichen Ängsten, 34 Prozent, dass sie sich persönlich große Sorgen über den Klimawandel machten. Die Infektion mit dem Corona-Virus landete mit 30 Prozent auf Platz zwei, gefolgt von Einkommensverlusten (26 Prozent) und lebensbedrohlichen Krankheiten (22 Prozent) und Überwachung durch den Staat (20 Prozent).

Ansonsten ergab die Umfrage eine hohe Zustimmung zum Krisenmanagement der Bundesregierung von 74 Prozent auf der einen Seite und auf der anderen, dass ein gutes Viertel der Bevölkerung der Meinung ist, dass "es bei den Maßnahmen gegen die Corona-Krise um etwas ganz anderes geht als das, was Politik und Medien sagen". Davon abgesehen sind aber 86 Prozent der repräsentativ ausgewählten Befragten der Ansicht, dass mehr Geld in Schulen und Ausbildung, und 84 Prozent, dass mehr in das Gesundheitssystem gesteckt werden muss. Auch für Umweltschutz und Digitalisierung will eine Mehrheit mehr Mittel fließen sehen.

Man könnte es auch so formulieren: Während die Bundesregierung neun Milliarden Euro ausgibt, damit die Lufthansa AG gerettet wird, die aber tausende Beschäftigte entlässt, während Wirtschaftsminister Peter Altmaier bis Jahresende [25] fünf Milliarden Euro ausgeben möchte, damit der gehobene Mittelstand einen Kaufanreiz für neue Pkw bekommt, die bis zu 77.350 Euro kosten dürfen, will die zum Teil überwältigende Mehrheit der Bevölkerung mehr in Gemeinwohl und Umweltschutz investiert sehen.

Doppelt verschaukelt

Über die jüngsten Fridays-for-Future-Proteste hatten wie bereits gestern berichtet [26]. Anlass waren Gespräche im Koalitionsausschuss der Berliner Regierung über Hilfen für die deutsche Automobilbranche. Bei denen muss am gestrigen Dienstag ziemlich verbissen gerungen worden sein. Neun Stunden reichten nicht [27], um zu einem Ergebnis zu kommen. Am heutigen Mittwoch soll es weiter gehen.

Die jungen Menschen, die am gestrigen Dienstag erneut versuchten, sich Gehör zu verschaffen, fühlen sich doppelt und dreifach verschaukelt. Ihr massenhafter Protest - letztes Jahr brachten sie Ende September 1,4 Millionen Menschen auf die Straße - wird völlig ignoriert, ein neues Kohlekraftwerk ans Netz genommen und auch noch neue Schulden aufgenommen, um dem wohlhabenderen Teil der Bevölkerung den Kauf von SUV schmackhaft zu machen. Schulden, die zudem künftige Generationen werden abtragen müssen, das heißt, vor allem die Generation, die noch in der Schule ist.

Interessant war derweil, dass die FFF-Bewegung, anders als die Umwelt- und Friedensbewegungen der späten 1970er und 1980er Jahre, alles andere als eine 1-Punkt-Bewegung ist. In Hamburg wurde das zum Beispiel an einer Aktion deutlich:https://twitter.com/fff_hamburg/status/1267796026964037632?s=20 [28] mit der gegen die Ermordung von George Floyd im US-amerikanischen Minneapolis protestiert und Verbundenheit mit den dortigen Demonstrationen gegen Rassismus gezeigt wurde.

Zuletzt vielleicht noch der Hinweis auf ein lesenswertes Interview [29] mit Carla Reemtsma, einer der der Organisatorinnen der Fridays-for-Future-Proteste über Klimakrise, Corona, enttäuschte Hoffnungen, konservativen Backlash und die Zukunft der Jugendbewegung.


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https://www.heise.de/-4772378

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.stern.de/wirtschaft/datteln-4%E2%80%94umweltschuetzer-protestieren-gegen-kraftwerk-in-nrw-9283408.html
[2] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/11/032/1103246.pdf
[3] https://buirerfuerbuir.de
[4] https://www.heise.de/tp/news/Kohlekommission-Ein-fauler-Kompromiss-4288600.html
[5] https://twitter.com/hambachfrau/status/1267047454228316161?s=20
[6] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/A/abschlussbericht-kommission-wachstum-strukturwandel-und-beschaeftigung.pdf?__blob=publicationFile
[7] https://twitter.com/Luisamneubauer/status/1266647276136599554?s=20
[8] https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/protest-datteln-101.html
[9] https://www.energy-charts.de/energy_de.htm?source=all-sources&period=monthly&year=all
[10] https://www.dw.com/de/beethovens-pastorale-ein-kleiner-wegweiser/a-41412104
[11] https://www.alle-doerfer-bleiben.de/beethoven-livestream/
[12] https://twitter.com/energy_charts_d/status/1266663089518379010?s=20
[13] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/05/PD20_189_43312.html
[14] https://www.energy-charts.de/ren_share_de.htm?source=ren-share&period=monthly&year=2020
[15] https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2020/20200529_deutschlandwetter_fruehjahr2020_news.html?nn=16210
[16] https://www.ufz.de/index.php?de=37937
[17] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Landkreis-Emsland-erlaesst-Waldbrand-Verordnung,aktuellosnabrueck3732.html
[18] https://www.news38.de/harz/article229236682/Harz-Thale-Waldbrand-Rosstrappe-Feuerwehr-Hubschrauber-Einsatz-Feuer-Hotel-Unterkunft-Brand-Flammen.html
[19] https://www.mittelhessen.de/lokales/dillenburg/haiger/zwei-wehren-loschen-waldbrand-auf-kalteiche_21754713
[20] https://www.nordkurier.de/usedom/falsche-entfuehrung-auf-usedom-fuehrt-polizei-zu-waldbrand-0239568106.html
[21] https://www.rbb24.de/studiocottbus/panorama/2020/05/brand-feuer-moor-loben-bei-plessa-wald-brandenburg.html
[22] https://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam-Mittelmark/Brueck/Borkwalder-Feuerwehr-bekaempft-Waldbrand-bei-Kanin-mit
[23] https://www.pnp.de/lokales/landkreis-regen/viechtach/Waldbrand-am-Enzian-3696774.html
[24] https://www.welt.de/vermischtes/article208339923/Allensbach-Umfrage-Klimawandel-bereitet-Deutschen-groessere-Sorgen-als-Corona.html
[25] https://www.spiegel.de/wirtschaft/kaufpraemien-bundesregierung-will-autokaeufe-mit-bis-zu-fuenf-milliarden-euro-unterstuetzen-a-03795e3d-d8eb-459d-bba9-ead9948b000d
[26] https://www.heise.de/tp/news/Schulstreiks-Unsere-Erwartungen-koennten-nicht-hoeher-sein-4771800.html
[27] http://www.dtoday.de/startseite/politik_artikel,-Zehntausende-demonstrieren-in-Houston-gegen-Polizeigewalt-_arid,728634.html
[28] https://twitter.com/fff_hamburg/status/1267796026964037632?s=20
[29] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/fridays-for-future-aktivistin-carla-reemtsma-wir-sind-halt-einen-tacken-radikaler-als-die-gruenen/25870450.html