Weitere Krankenhausschließungen in Sicht
Nach der Pandemie könnte vor der Pandemie sein. Doch die Bundesregierung will sich nicht auf Notlagen vorbereiten
Die Schlagzeilen in den letzten zwei Jahren scheinen immer wiederzukehren: "Hamsterkäufe verschlimmern Probleme bei den Lieferketten", "Der Wahnsinn mit den Lieferketten" oder – in letzter Zeit wieder häufig zu lesen – "Intensivbetten werden knapp". Die Corona-Pandemie hat viele Gesellschaften offenbar an ihre Grenzen gebracht, besonders mit Blick auf ihre Infrastruktur. Deren Resilienz gilt inzwischen als wichtiges Leitbild. Und Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft fordern Strategien, um Krisen besser überstehen zu können.
"Resilienz" meint die Fähigkeit, auch schwerwiegende Schocks zu überstehen und nicht an ihnen zu zerbrechen, heißt es in einem Papier des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, das am Montag vorgestellt wurde. Die Forscher plädieren darin dafür, dass künftige Strategien sich nicht nur darauf beschränken sollten, nach einem Schock wieder in den Ausgangszustand zurückzugelangen, sondern mitunter die gesellschaftlichen Systeme zu verändern. Gesammelte Erfahrungen sollen in den Lernprozess einfließen.
Weg von der Fixierung auf Effizienz
Gerade mit Blick auf die deutsche Gesundheitspolitik müsste der Resilienz-Ansatz zu einem Umdenken führen. In dem Papier heißt es: "Eine übermäßige Fixierung auf die Maximierung der Effizienz geht hingegen mit einer niedrigeren Resilienz einher". Im übertragenen Sinne heißt das: Ein Gesundheitssystem muss nicht auf wirtschaftliche Effizienz getrimmt werden. Stattdessen:
Um die Resilienz von Infrastrukturen (beispielsweise im Gesundheitswesen), Lieferketten, Organisationen oder ganzen Gesellschaften zu erhöhen, sollen die entsprechenden Systeme belastbarer werden, Redundanzen geschaffen und Notfallpläne für eine möglichst große Bandbreite von Schadensszenarien vorbereitet werden.
Auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen heißt das unter anderem: Es sollten lieber mehr als weniger Krankenhaus- und Intensivbetten vorgehalten werden und das Personal sollte ebenfalls nicht knapp bemessen werden. Beides sind Punkte, die einer kapitalistischen Gesundheitswirtschaft und einer entsprechenden Politik entgegenstehen. Das die letzte Bundesregierung in die entgegengesetzte Richtung steuerte, wurde jetzt einmal mehr deutlich – und ob die neue Bundesregierung einen anderen Kurs einschlagen wird, ist fraglich.
Bekannt wurde das unter anderem am Freitag durch einen Bericht im Ärzteblatt. Das Blatt beruft sich dabei auf ein Gutachten des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), über das die Bundesregierung Ende November berichtete. Demnach hat die Bundesregierung über den Krankenhausstrukturfonds viel Geld ausgegeben, um "die Versorgungsstrukturen im Krankenhausbereich zu verbessern" – ein Euphemismus für das Schließen von Kliniken.
Mit Mitteln aus dem Förderprogramm wurden beziehungsweise werden noch 34 Krankenhäuser oder -standorte geschlossen. Das umfasst nicht nur die "reinen Schließungsvorhaben" wie im Falle der Lungenklinik am Forschungszentrum Borstel, sondern auch die Fälle, in denen Abteilungen an anderen Standorten konzentriert werden sollen. Beispiele dafür sind die Kliniken in Vreden und Stadtlohn.
Zusätzlich dazu wurden an 24 weiteren Standorten insgesamt 36 Abteilungen geschlossen. Betroffen waren vor allem die Stationen, die den Kliniken wenig Geld einbringen: fast die Hälfte waren Gynäkologien und Geburtshilfen. Ob damit werdenden Eltern in Zukunft Fahrzeiten zum Kreißsaal von über 40 Minuten zugemutet werden, wurde nicht untersucht. Mit dem Krankenhausstrukturfonds wird ein Trend fortgeschrieben, der schon länger besteht.
In den letzten 20 Jahren schloss jede achte Klinik und jedes siebte Bett wurde abgebaut. Und der Prozess dürfte weitergehen, denn in dem RWI-Papier heißt es: Die Krankenhausdichte in Deutschland sei "nach wie vor höher als in den meisten anderen Ländern der OECD und insbesondere höher als im Vergleich zu anderen Ländern, die eine hohe Bevölkerungsdichte aufwiesen, wie die Niederlande oder Belgien".
Immer mehr Kliniken können Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen
Außerdem stehe es um die wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser nicht sonderlich gut. Angeblich drohte bei dreimal mehr Kliniken als im Jahre 2016, dass sie ihren Zahlungsverpflichtungen innerhalb eines Jahres nicht mehr nachkommen könnten.
Das Schließen der Kliniken mit den Mitteln aus dem Krankenhausstrukturfonds bewertete das Bundesgesundheitsministerium (BMG) positiv. Der gesetzgeberische Zweck sei grundsätzlich erreicht worden, die Versorgungsstrukturen seien "anhand von Konzentrationseffekten und des Abbaus von Vorhalteaufwand" verbessert worden. Die Corona-Pandemie habe zudem gezeigt, "dass der Bedarf, Ressourcen zu bündeln und Versorgungsstrukturen zu optimieren, künftig voraussichtlich weiter bestehen und gar steigen wird", heißt es in dem Papier. Bis 2024 werden zu diesem Zweck insgesamt zwei Milliarden Euro dafür zur Verfügung gestellt.
Auch wenn viele Stimmen nach Strategien rufen, künftige Krisen besser überstehen zu können, beim BMG scheint das Thema noch nicht angekommen zu sein.