zurück zum Artikel

"Weltuntergänge haben eine gewisse Tradition bei den Deutschen"

Über Corona, nationale Souveränität, Antiamerikanismus, die Friedensbewegung und das Alternativmilieu - Interview mit Klaus Bittermann über seine Wolfgang Pohrt-Biographie, den brillantesten Kopf der westdeutschen Linken.

Der brillanteste Kopf der west-deutschen Linken war ohne Zweifel Wolfgang Pohrt [1]. Seine Analysen und Scottisen waren so tödlich wie geistreich und lustig, so unterhaltsam und von Wortgewalt und Intelligenz überbordend wie ein Balzac-Roman [2].

Selten war die Dialektik von Vergnügen und Erkenntnis so einprägsam dargelegt und bewiesen wie in seinen Artikeln und Büchern, die bei den öko- und friedensbewegten Deutschen regelmäßig einem Blitzschlag des Geistes gleichkamen. Telepolis sprach mit dem Pohrt-Verleger Klaus Bittermann [3] über die von ihm verfasste Biographie [4] "Der Intellektuelle als Unruhestifter".

Herr Bittermann, wie mir scheint, hat Wolfgang Pohrt entscheidende Wesenszüge der Grünen als zukünftige Regierungspartei bereits 1982 herausgearbeitet, zu einer Zeit also, als die Medien diese als Streiter für Frieden und Umwelt feierten bzw. die politischen Kontrahenten vor ihnen als einer kommunistischen Gefahr warnten…
Klaus Bittermann: Ja, Pohrt war Anfang der Achtziger der entschiedenste Kritiker der Friedens- und der Anti-Atomkraftbewegung. Die von der Nato 1979 angekündigte Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in der BRD sorgte für erhebliche Unruhe. Der Tenor in dieser Diskussion bestand in einem offenen Antiamerikanismus, völlig vergessend, dass die Amerikaner es waren, die in der BRD die Zivilisation wieder eingeführt hatten.
Jetzt meinten linke Kritiker, dass das deutsche Volk die "bedingungslose Unterwerfung unter fremde Interessen" nicht hinnehmen dürfe. Man bediente sich unverhohlen eines Jargons, der auch von den Nazis benutzt worden war.
Die Begeisterung für den Frieden, die die Menschen auf die Straße trieb, war in diesem Zusammenhang nicht etwa harmlos, sondern dahinter kam eine "deutschnationale Erweckungsbewegung" zum Vorschein, die sich gegen "nationale Bevormundung" zur Wehr setzte und auf "nationale Souveränität" pochte. Das hat Pohrt öffentlich gemacht und damit einhellige Empörung hervorgerufen.
Wie kam Pohrt bereits vor 40 Jahren zu diesem Befund?
Klaus Bittermann: Man musste damals nur die Zeitungen lesen und sich vom neuen Zeitgeist anstecken lassen. Das war der Trend, denn für den Frieden zu sein oder gegen das Atom konnte schließlich ja nicht schlecht sein.
Pohrt ließ sich von dieser Euphorie nicht anstecken und analysierte die Beweggründe der Linken, die sich von ihrer revolutionären Phase in den 1970ern verabschiedet hatten und nun das Bündnis mit dem Volk suchten, in dem sie die Angst vor dem Atom und den Weltuntergang beschworen.
Kein Volk der Welt ist mehr dem Weltuntergang zugetan als die Deutschen, was die Politik weidlich ausnützt, wenn wir uns die Coronamaßnahmen der letzten Jahre und die aktuelle Umwelt- und Außenpolitik vor Augen führen. Hatte Pohrt dafür eine Erklärung?
Klaus Bittermann: Weltuntergänge haben eine gewisse Tradition bei den Deutschen. Bei den Nazis wurde der Weltuntergang beschworen, wenn man das "Judenproblem" nicht einer "Lösung" zuführen würde, und als die "Endlösung" ins Werk gesetzt worden war, war es der Weltuntergang, den sich Hitler für die Deutschen wünschte, weil sie den Krieg verloren hatten und deshalb nicht wert waren, weiterzuleben.
Dann war es die Atombombe und die Kernkraftwerke, die den Untergang bescheren würden. Mit der Angst davor verbindet sich ja auch immer eine Hoffnung, dass die Katastrophe eintreten wird. Dagegen war Corona sehr real.
Im Unterschied zur Atomkriegsangst, die eigentlich kein Gefühl, sondern ein in der Friedensbewegung verbreitetes Glaubensbekenntnis war, ließen sich die Folgen von Covid im Fernsehen betrachten. Man konnte tatsächlich daran sterben.

"Abgesunkene Schichten des Kollektivbewusstseins"

Welche geistigen Verbindungen existierten für Pohrt zwischen den Grünen, beziehungsweise dem Alternativmilieu und den Nationalsozialisten?
Klaus Bittermann: Wolfgang Pohrt hat sich etwas genauer mit den Verbindungslinien 1984 beschäftigt in einem weitgehend unbeachtet gebliebenen Aufsatz von der "Wiederkehr des Gleichen", als er sich mit dem Buch Ein Volk, ein Reich, ein Führer über die völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus von George L. Mosse beschäftigte.
Mosse hatte die völkische Ideologie untersucht, die sich wie Pohrt feststellte in den Programmen, in Äußerungen und in der Ideologie der Grünen wiederfinden lassen, etwa in der Behauptung "erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch".
Die damals aufkommende "Zurück zur Natur"-Ideologie machte aus dem Wald, also aus Natur, einen Bedeutungsträger, der in den abgesunkenen Schichten des Kollektivbewusstseins wieder eine mythische Rolle zu spielen begann. In der Alternativszene beschäftigte man sich nicht mehr mit Klassenkampf, sondern mit dem verlorenen Wissen untergegangener Kulturen von Hexen, Indianern und Schamanen.
Wie konnte sich diese irrationale grüne Ideologie aus dem linksalternativen Milieu der frühen 1980er dermaßen hegemonial im ganzen Land ausbreiten?
Klaus Bittermann: Eine Frage, die ich nicht wirklich beantworten kann. Vielleicht, weil es einfacher ist, auf seine Gefühle zu hören als auf seinen Verstand? Auch die Suche nach Identität spielt da vermutlich eine Rolle. Man entgeht da der Anstrengung, etwas begreifen zu wollen und schürft stattdessen im eigenen Ich. Aber das Ich, das nicht mehr in der Lage ist, von sich zu abstrahieren, ist immer anfällig für das Naturhafte, das Irrationale, das Gefühlige.
Dadurch kommen solche Missverständnisse zustande, dass die Klimaaktivisten "den Planeten retten" wollen, in Wirklichkeit aber sich selbst, denn der Planet kommt auch ohne Menschen aus.
Gab es für Pohrt so etwas wie einen deutschen Nationalcharakter?
Klaus Bittermann: Zumindest eine nationale Identität, die sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat. Der im Begriff bereits enthaltene Nationalismus ist die granitene Basis.

Das Spezifische, Ahistorische ist gerade seine Besonderheit, seine Eigenart, und sie erklärt, wieso er unter wechselnden Bedingungen immer derselbe bleiben konnte und dabei so zeitlos wie modern, von gleichbleibender Antiquiertheit und Aktualität in einem.

Wolfgang Pohrt
Ein besonderes Augenmerk richtete Pohrt auf die linke Israelkritik in Deutschland. Was war seine Position?
Klaus Bittermann: Eine linke Israel-Kritik gab es schon in den 1970ern, aber 1982 wurde sie mit dem Libanonkrieg virulent. Man warf den Israelis eine "Ausrottungspolitik der Palästinenser" vor und machte sich Gedanken darüber, wie man einen Stillstand der israelischen Kriegspolitik bewirken könne.
Da es aber eine Geschichte gab, in der die Deutschen die Täter waren, warf Pohrt den von historischer Schuld sich frei wähnenden Linken vor, dass sie sich quasi das "Sorgerecht" und die "Vormundschaft" aneignen wollten. Als Söhne der Nazieltern verpflichte der Massenmord an den Juden Deutschland dazu, "Israel mit Lob und Tadel moralisch beizustehen, damit das Opfer nicht rückfällig werde." (Wolfgang Pohrt)
Können Sie zum Schluss noch eine Einschätzung abgeben, was Wolfgang Pohrt von "Fridays For Future", der Woke-Bewegung, dem Postkolonialismus und dem Gendertum gehalten hätte?
Klaus Bittermann: Vermutlich nicht viel. Interessant wäre seine Einschätzung gewesen. In jedem Fall hat sich an der Gültigkeit seiner Kritik hinsichtlich solcher Phänomene und Bewegungen wenig geändert, soweit sie sich von der Angst leiten lassen, denn Angst ist nicht nur ein schlechter Ratgeber, sondern immer reaktionär, wenn sie zum Leitfaden der Politik und des Handelns wird.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7246993

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Kapitalismus-forever-3393624.html
[2] https://edition-tiamat.de/honore-de-balzac/
[3] https://taz.de/Verleger-ueber-Lebenswerk/!5846716/
[4] https://edition-tiamat.de/der-intellektuelle-als-unruhestifter/