"Weltuntergänge haben eine gewisse Tradition bei den Deutschen"

Über Corona, nationale Souveränität, Antiamerikanismus, die Friedensbewegung und das Alternativmilieu - Interview mit Klaus Bittermann über seine Wolfgang Pohrt-Biographie, den brillantesten Kopf der westdeutschen Linken.

Der brillanteste Kopf der west-deutschen Linken war ohne Zweifel Wolfgang Pohrt. Seine Analysen und Scottisen waren so tödlich wie geistreich und lustig, so unterhaltsam und von Wortgewalt und Intelligenz überbordend wie ein Balzac-Roman.

Selten war die Dialektik von Vergnügen und Erkenntnis so einprägsam dargelegt und bewiesen wie in seinen Artikeln und Büchern, die bei den öko- und friedensbewegten Deutschen regelmäßig einem Blitzschlag des Geistes gleichkamen. Telepolis sprach mit dem Pohrt-Verleger Klaus Bittermann über die von ihm verfasste Biographie "Der Intellektuelle als Unruhestifter".

Herr Bittermann, wie mir scheint, hat Wolfgang Pohrt entscheidende Wesenszüge der Grünen als zukünftige Regierungspartei bereits 1982 herausgearbeitet, zu einer Zeit also, als die Medien diese als Streiter für Frieden und Umwelt feierten bzw. die politischen Kontrahenten vor ihnen als einer kommunistischen Gefahr warnten…

Klaus Bittermann: Ja, Pohrt war Anfang der Achtziger der entschiedenste Kritiker der Friedens- und der Anti-Atomkraftbewegung. Die von der Nato 1979 angekündigte Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in der BRD sorgte für erhebliche Unruhe. Der Tenor in dieser Diskussion bestand in einem offenen Antiamerikanismus, völlig vergessend, dass die Amerikaner es waren, die in der BRD die Zivilisation wieder eingeführt hatten.

Jetzt meinten linke Kritiker, dass das deutsche Volk die "bedingungslose Unterwerfung unter fremde Interessen" nicht hinnehmen dürfe. Man bediente sich unverhohlen eines Jargons, der auch von den Nazis benutzt worden war.

Die Begeisterung für den Frieden, die die Menschen auf die Straße trieb, war in diesem Zusammenhang nicht etwa harmlos, sondern dahinter kam eine "deutschnationale Erweckungsbewegung" zum Vorschein, die sich gegen "nationale Bevormundung" zur Wehr setzte und auf "nationale Souveränität" pochte. Das hat Pohrt öffentlich gemacht und damit einhellige Empörung hervorgerufen.

Wie kam Pohrt bereits vor 40 Jahren zu diesem Befund?

Klaus Bittermann: Man musste damals nur die Zeitungen lesen und sich vom neuen Zeitgeist anstecken lassen. Das war der Trend, denn für den Frieden zu sein oder gegen das Atom konnte schließlich ja nicht schlecht sein.

Pohrt ließ sich von dieser Euphorie nicht anstecken und analysierte die Beweggründe der Linken, die sich von ihrer revolutionären Phase in den 1970ern verabschiedet hatten und nun das Bündnis mit dem Volk suchten, in dem sie die Angst vor dem Atom und den Weltuntergang beschworen.

Kein Volk der Welt ist mehr dem Weltuntergang zugetan als die Deutschen, was die Politik weidlich ausnützt, wenn wir uns die Coronamaßnahmen der letzten Jahre und die aktuelle Umwelt- und Außenpolitik vor Augen führen. Hatte Pohrt dafür eine Erklärung?

Klaus Bittermann: Weltuntergänge haben eine gewisse Tradition bei den Deutschen. Bei den Nazis wurde der Weltuntergang beschworen, wenn man das "Judenproblem" nicht einer "Lösung" zuführen würde, und als die "Endlösung" ins Werk gesetzt worden war, war es der Weltuntergang, den sich Hitler für die Deutschen wünschte, weil sie den Krieg verloren hatten und deshalb nicht wert waren, weiterzuleben.

Dann war es die Atombombe und die Kernkraftwerke, die den Untergang bescheren würden. Mit der Angst davor verbindet sich ja auch immer eine Hoffnung, dass die Katastrophe eintreten wird. Dagegen war Corona sehr real.

Im Unterschied zur Atomkriegsangst, die eigentlich kein Gefühl, sondern ein in der Friedensbewegung verbreitetes Glaubensbekenntnis war, ließen sich die Folgen von Covid im Fernsehen betrachten. Man konnte tatsächlich daran sterben.