Wem gehören Ei- und Samenzellen?
Menschliche Geschlechtszellen und Embryonen werden vielfach ohne Wissen der Spender für wissenschaftliche Untersuchungen benutzt
Bernard Lo und eine Arbeitsgruppe von Ethikern der University of California zeigen in Science mit dem Finger auf eine Situation, die der Forschung zunehmendes Unbehagen bereiten könnte. Der Artikel "Consent for Donors for Embryo and Stem Cell Research" reduziert zwar die Frage auf den unmittelbaren praktischen Nutzen in der Stammzellforschung. Doch liegt in der Tiefe mehr Sprengstoff als man bei oberflächlicher Betrachtung wahrnimmt.
Worum geht es? Fertilisationskliniken betreiben im Fachjargon "Assisted Reproductive Technology" (ART) mit dem Ziel, Ei- und Samenzelle zu einem neuen Menschen zu vereinigen. Im einfachsten Falle sind die Spender ein legales Paar und wollen das gemeinsame Kind, weil die natürliche Methode nicht funktioniert. Der Frau werden mehrere Eizellen entnommen und tiefgefroren aufbewahrt; ebenso der Samen des Mannes. Die ART erzeugt stets mehr befruchtete Eizellen als benötigt werden. Sobald die Frau schwanger wird, verbleiben in den Gefriertruhen sowohl Ei- und Samenzellen wie auch befruchtete Eizellen, also Embryonen.
Formal gehört das Material den Spendern. Sie haben ihr ausdrückliches Einverständnis anfänglich für die extrakorporale Befruchtung gegeben. "Mit dem Rest können Sie machen, was Sie wollen", wäre die einfachste Lösung für die Fertilisationskliniken. Damit, sollte es schriftlich fixiert sein, scheint der Weg frei für die weitere, vom eigentlichen Zweck unabhängige Forschung.
Wenig ist bekannt über die Wünsche der Spender. In einer drei Jahre alten Untersuchung wurde immerhin festgestellt, dass jede vierte Frau den weiteren Gebrauch ihrer Eizellen und der daraus entstanden Embryos untersagte. Ob den Spendern überhaupt klar gemacht wird, dass ihr genetisches Material unendlich reproduziert werden kann, ist weitgehend unbekannt.
Bernhard Lo
In den Vereinigten Staaten, so fanden die Forscher heraus, nehmen auch die großen Samenbanken auf derartige Überlegungen keine Rücksicht. Der größte Teil der Spermien wird erfahrungsgemäß anonym gespendet und verbleibt für eine Karenzzeit von 6 Monaten im Gefrierschrank. Danach für jede Abgabe den weiteren Verlauf zu verfolgen und später auf ein Einverständnis zu prüfen, wird als unpraktikabel verworfen. Anders als für Embryonen fehlt der Moralkodex für die weitere Verwendung von Eizellen und Spermien.
Schwierigkeiten für die Forschung sind vorprogrammiert
So läuft die tägliche Praxis im Umgang mit genetischem Material der notwendigen Regulierung, die Spender und Benutzer gleichermaßen rechtlich absichern, weit voraus. Der Unterschied lässt sich nur im Vergleich zur herkömmlichen medizinischen Forschung messen: Buchhalterisch genau ist da die Dokumentation, weil die Prüfbehörden aus Sorge vor manipulierten Ergebnissen erwarten, dass nicht einfach darauf los gewurschtelt wird. Heute muss das Untersuchungsziel wie in der Technik von vorneherein definiert sein. Ebenso selbstverständlich ist es, dass der menschliche Proband über alle Einzelheiten detailliert aufgeklärt wird. Ethikkommissionen und gerichtlich entschiedene Auflagen haben ein umfangreiches, mitunter quälendes Regelwerk in Gang gebracht. Zwei oder drei Sätze und die Unterschrift des Probanden als Beweis für sein Einverständnis? Das ist Vergangenheit. Heute müssen die Probanden vielfach eine Broschüre durcharbeiten, deren Stil dem "Verständnis des Lesers" angepasst sein muss. Auswirkungen, auch wenn deren Chance unter einem Promille liegt, müssen vom Untersucher offen gelegt werden.
Die Ethiker aus Kalifornien befürchten zu Recht, dass die Schere zwischen der gegenwärtigen laschen ART-Praxis und der institutionalisierten Arzneimittelprüfung die Stammzellforschung hochgradig gefährdet. Sie fordern als ersten Schritt die sofortige Änderung des Einverständnis-Prozesses von Samenbanken und ART-Forschern. Das sei allerdings nur der Anfang, weil davon lediglich das unmittelbare Interesse der Forscher berührt werde. Der Kernsatz ist die Forderung: "Die öffentliche Diskussion muss in Gang gesetzt werden, um mit der Bevölkerung einen breiten Konsens über die Leitlinien zustande zu bringen."
Lizenzen für Ei- und Samenspender
Bernard Lo und seine Arbeitsgruppe warnen davor, dass die Spender mit wachsender Kenntnis der biologischen Zusammenhänge zunehmend emotional berührt und von moralischen Überlegungen beeinflusst sein könnten. Sie geben zu bedenken, dass selbst in Kanada, wo das Einverständnis für die Weiterverwendung genetischen Materials bereits jetzt ausdrücklich verlangt wird, die Frage ungeklärt ist, inwieweit ein Entgelt ausreicht, um den späteren kommerziellen Profit aus den Zelllinien zu rechtfertigen. Die kanadische Lösung entspricht einer Art Aufwandsentschädigung, die weitere Nutzungsrechte der Spender keineswegs ausschließt.
Im Vorfeld der Diskussionen, die schließlich zur kanadischen Regelung führten, wurde auf die Geschichte von den wertlosen Glasperlen hingewiesen, die Christoph Columbus und Nachfolger im Tausch für das begehrte Gold der Inka gaben und die Inka zu armen Tölpeln machten. Aktuell kam dazu die Minderbezahlung der Isländer für die Erlaubnis, ihre Gene analysieren zu lassen und uneingeschränkt für die weitere Forschung freizugeben.
Bernard Lo befürchtet, dass in der gegenwärtigen Grauzone ein Einverständnis unwirksam wird, falls der oder die Spender im Nachhinein bemerken, dass ihr Material zu gutem Geld vermarktet wird. Zudem hat die Entscheidung der US Regierung, ganze Tiere zum Patent zuzulassen, eine Frage noch nicht ausgelotet, ob nämlich "Funktionseinheiten" aus menschlichem Gewebe ebenfalls patentrechtlich relevant sind.
Dass die "biologische" Forschung den Umgang mit menschlichem Material stiefmütterlich behandelt, mag auf die Unkenntnis der rechtlichen Voraussetzungen zurückzuführen sein. In Deutschland und in Europa unterliegen weitaus mehr Prüfungen dem "Arzneimittelgesetz", als vielen Wissenschaftlern bekannt ist. Dazu gehören Untersuchungen unter Verwendung biologischen Materials, das betrifft alle menschlichen Gewebe und ebenso Tests mit einem "neuen" Untersuchungsgerät, das noch nicht behördlich registriert wurde. Manche ART-Forscher müssten passen, wenn man danach fragt, ob sie ihre Versuche "arzneimittelgerecht" durchführen. Zudem verschließen die Fachleute allzu gerne die Augen vor der Forderung nach Aufklärung. Grund ist die Furcht, das Einverständnisersuchen könnte abgelehnt werden. Nicht unbegründet, schaut man auf die Widerstände im Falle der Organspende oder gegen die Leicheneröffnung. Seitdem die Krankenhausverträge kein stillschweigendes Einverständnis mehr für die Obduktion enthalten dürfen, hat sich deren Zahl in Großbritannien halbiert; so dass die Pathologen um die medizinische Ausbildung fürchten.
Auch wenn Vergleiche hinken: die Konsequenzen erinnern an den Streit um Computercodes, beispielsweise Linux und SCO (The Santa Cruz Operation Inc.): Was ist originär, was hinzugekommen? Warum sollten Ei- und Samenspender keine Lizenzen fordern können?