Wenn Rückstände von Giftexporten in Südfrüchten zurückkehren

Mit Verboten gesundheitsgefährdender Pestizide in der EU ist die europäische Kundschaft noch nicht aus dem Schneider. Foto: StockSnap auf Pixabay (Public Domain)

Der Handel mit Pestiziden ist ein profitables Geschäft. Ackergifte, die in Europa längst verboten sind, werden auf anderen Kontinenten noch eingesetzt

Am 20. Mai berieten die EU-Handelsminister im Rahmen des Rates für Auswärtige Angelegenheit über das EU-Mercosur-Abkommen. Derzeit unterstützt die Bundesregierung die Bestrebungen der EU-Kommission, das umstrittene Vorhaben durch ein Zusatzabkommen zu retten. Dagegen protestiert ein Bündnis aus Umweltschutz-, Landwirtschafts- und Menschenrechtsorganisationen. In einem gemeinsamen Aufruf forderten die Organisationen die Bundesregierung auf, das geplante Handelsabkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zu stoppen.

Mit dessen Inkrafttreten werden nicht nur die billigen Fleischimporte befeuert und weiterhin Regenwald zerstört, sondern europäischen Herstellern von Pestiziden werden auch bessere Absatzmärkte verschafft. Über Laboranalysen konnte die Umweltorganisation Greenpeace nachweisen, dass die in der EU verbotenen Wirkstoffe über das Obst nach Deutschland zurückkommen.

Mehr als die Hälfte der Proben mehrfach belastet

Im April und im Mai diesen Jahres hatte ein Greenpeace-Team Mangos, Limetten, Papayas, Melonen und Feigen aus Brasilien in Discountern und Supermärkten und Feinkostläden in ganz Deutschland eingekauft. Anschließend wurde das Obst in einem akkreditierten, unabhängigen Labor auf Rückstände von Schadstoffen untersucht. Das Ergebnis war alarmierend: Von 70 getesteten Papayas, Mangos, Melonen, Limetten und Feigen enthielten 59 Proben Rückstände von insgesamt 35 verschiedenen Pestizidwirkstoffen.

Mehr als die Hälfte der Proben war mehrfach belastet, auf manchen fanden sich bis zu neun verschiedene Pestizide. Vier Proben überschritten die zulässigen Höchstmengen. Analysiert wurden sowohl die Schale als auch das Fruchtfleisch. Darüber hinaus fanden sich in den Proben vier Desinfektionsmittel und 21 Wirkstoffe, die auf der Liste der giftigsten Pestizide der Organisation PAN (Pesticide Action Network International) vom März 2021 in der Kategorie "hoch gefährliche Pestizide" (Highly Hazardous Pesticides, kurz: HHP) geführt werden. Lediglich elf von 70 Früchten waren pestizidfrei. Elf der gefundenen Wirkstoffe sind in der EU nicht erlaubt. Einige werden von Bayer beziehungsweise von BASF vertrieben.

Mit 41 Prozent stellten Insektizide und Akarizide den größten Teil der nachgewiesenen Pestizide, dicht gefolgt von den Fungiziden mit 38,5 Prozent. Insektizide sind für fast alle Insekten tödlich, auch für Nützlinge, wie zum Beispiel Bienen. Auch für Menschen sind Fungizide und Insektizide gefährlich. Dabei hängt der Grad der Gefährlichkeit nicht nur von den gefundenen Rückstandsmengen und deren Giftigkeit ab. Entscheidend ist auch, ob sich in der Schale oder im Fruchtfleisch Rückstände finden. Ungeklärt ist noch, ob sich bei Mehrfachbelastungen in einer Probe die gesundheitlichen Auswirkungen gegenseitig beeinflussen.

Sieben der gefundenen Wirkstoffe finden sich in Produkten, die die BASF in Brasilien vertreibt. Zwölf Wirkstoffe sind in Handelspräparaten von Bayer in Brasilien zugelassen, darunter solche, die als hochgefährlich eingestuft werden und in der EU nicht zugelassen sind. Insgesamt 19 der festgestellten Wirkstoffe werden sowohl von Bayer als auch von der BASF in Brasilien vertrieben.

Brasilien gehört zu den größten Verbrauchern von Pestiziden weltweit

Mehr als zwei Drittel der Wirkstoffe, die deutsche Unternehmen in Brasilien verkaufen, sind als hochgefährliche Chemikalien einzustufen. In den armen Ländern Südamerikas vergiften sie Böden und Wasser, töten Pflanzen und Tiere - und gefährden die Gesundheit der Menschen, die ihnen ausgesetzt sind. Von den insgesamt 16 EU-Mitgliedsländern, die im Jahr 2019 Pestizide im Wert von mindestens 915 Millionen Euro in die Mercosur-Länder exportierten, liegt Deutschland immerhin auf Platz Drei der Top-Exporteure.

BASF und Bayer wiesen die Vorwürfe weit von sich: Alle Pflanzenschutzprodukte würden ausführlich getestet, evaluiert und von den Behörden auf Basis der in den jeweiligen Ländern geltenden offiziellen Richtlinien zugelassen, bevor sie verkauft werden. So verkaufe die BASF die Pflanzenschutzmittel nur, wenn sie die Anforderungen des internationalen Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erfüllten, wird eine BASF-Sprecherin in der Frankfurter Rundschau zitiert.

Bayer verkaufe bereits seit 2012 keine Pflanzenschutzmittel mehr, die von der WHO als "besonders toxisch" eingestuft seien. Man habe sich seit 2016 dazu verpflichtet, nur Pflanzenschutzprodukte zu vertreiben, deren Wirkstoffe in mindestens einem OECD-Industrieland registriert sind. Zudem verfüge Brasilien über strenge Zulassungsbestimmungen. So seien zahlreiche in Brasilien verbotene Pflanzenschutzmittel in der EU zugelassen.

Pestizidvergiftungen mit Todesfolge in Indien

Auch andere Chemiekonzerne wie Syngenta sind gut im Geschäft - zum Beispiel in Indien. Offiziell erfolgen Herstellung und Export gefährlicher Pestizide unter hohen Sicherheitsauflagen. Chemikalien würden "verantwortungsbewusst" und unter den richtigen Vorsichtsmaßnahmen eingesetzt, durch Befolgen aller Anweisungen, dem Tragen persönlicher Schutzausrüstungen sowie ordnungsgemäßer Lagerung, Anwendung und Entsorgung. Doch viele Landwirte können die Sprache, in der die Etiketten gedruckt sind, nicht lesen. So fehlt ihnen zum Einen schlicht die Information über die Gefahren. Zum Andern fehlt häufig die notwendige Schutzausrüstung.

Zum Beispiel in Yavatmal im indischen Bundesstaat Maharashtra: Hier leben tausende arme Bauern mit geringer Schulbildung vom Baumwollanbau. Zwischen Juli und Oktober 2017 hatten sich in Vidarbha, einer Region im Osten von Maharashtra, mehr als fünfzig Männer beim Ausbringen von Pestiziden tödlich vergiftet. Insgesamt sollen in Yavatmal mehr als 800 Bauern oder Landarbeiter wegen akuter Vergiftungen ins Spital eingeliefert worden sein, nachdem sie Pestizide versprüht hatten. Mehrere Hundert von ihnen erblindeten vorübergehend. Mindestens 65 Menschen starben infolge des Versprühens von Insektiziden. Genutzt hatten sie das Produkt "Polo" - allein oder im Mix mit anderen Produkten.

Grundlage des Insektizids ist der Wirkstoff Diafenthiuron, der als Gefahr für die menschliche Gesundheit eingestuft wird. Er kann bereits beim Einatmen Organschäden verursachen. Wegen der schädlichen Auswirkungen auf menschliche Gesundheit und Umwelt wurde das Produkt in der Schweiz vom Markt genommen und auf der Liste der verbotenen Pestizide aufgeführt. Dennoch wird es von der Hersteller-Firma Syngenta in andere Länder weiterverkauft.

Geschwollenes Gesicht, Brustschmerzen, Fieber und Durchfall

Ein Team der konzernkritischen Schweizer Organisation Puplic Eye kam nach einer Befragung von Betroffenen vor Ort zu dem Schluss, dass viele der Baumwollbauern das Syngenta-Pestizid Polo in Kombination mit unterschiedlichen anderen Insektiziden, Fungiziden, Wachstumsreglern versprüht hatten. Welche spezifische Substanz oder welche Kombination von Substanzen zu welchen Teilen für ihre Vergiftungen verantwortlich war, war im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehen.

Das bedeutet keinesfalls, dass das Produkt Polo harmlos ist, wie sich im Fall von Hiroman Soyam zeigt: Der Bauer hatte das Produkt in Reinform mit Wasser angerührt. Am nächsten Tag wachte er mit geschwollenem Gesicht, Brustschmerzen, Fieber und Durchfall auf. Nach mehrtägiger Behandlung im Krankenhaus ist er bis heute zu schwach zum Arbeiten.

Immer wieder kommt es in Indien zu Vergiftungen durch Pestizide, erklärt Dr. Narasimha Reddy. So kamen 2002 in Warangal im Staat Telangana etwa 50 Bauern ums Leben. Rund 500 Menschen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Verantwortlich sind multinationale Agrarkonzerne, die diese Produkte vermarkten. Die Konzerne haben damals genauso weggeschaut wie die indische Regierung im Fall der Tragödie, die sich in Yavatmal abspielte, erklärt der Direktor des Pesticide Action Networks India.

Es gebe keinen sicheren Weg, die Giftstoffe auszubringen. In Indien liegen die Felder direkt neben den Siedlungen. Selbst wenn die Bauern durch Schutzanzüge geschützt wären, geraten die Giftstoffe in den Wasserkreislauf. Ein Verbot wäre die einzige Lösung. Nur abschreckende Strafen können multinationale Firmen daran hindern, mit Falschbehauptungen und auf Kosten von Leben und Nachhaltigkeit Profit zu erwirtschaften, glaubt Kavitha Kuruganti, die nach der Vergiftungswelle in der Region eine Recherche nach den Ursachen angestoßen hatte. Längerfristig müsse sich Indien von der Chemie in der Landwirtschaft verabschieden, fordert die indische Landwirtschaftsaktivistin und Sprecherin der "Allianz für nachhaltige und ganzheitliche Landwirtschaft". Die indischen Bauern kämen auch ohne die Produkte von Syngenta gut zurecht.

Paraquat: eines der giftigsten Herbizide weltweit

Der Wirkstoff Paraquat ist im Unkrautvernichter Gramoxone enthalten und wird, seit dieser von der britischen Firma Imperial Chemical Industries (ICI) 1962 auf den Markt gebracht wurde, auf Reisfeldern in allen Weltregionen ausgebracht. ICI gehört seit den 1990er Jahren zu Zeneca und ist seit 2000 ein Teil von Syngenta. Obwohl die Verwendung des Herbizids sowohl in Grossbritannien wie in der Schweiz verboten ist, exportiert der Schweizer Konzern jedes Jahr Tausende Tonnen Paraquat aus seinem Werk in Nordengland.

Glaubt man Michael Eddleston, Professor für klinische Toxikologie an der Universität Edinburgh, verstarben im Laufe der letzten Jahrzehnte zehntausende Menschen in Ländern aller Weltregionen an Paraquat. Die Beigabe eines Brechmittels konnten die tödlichen Vergiftungen nicht verhindern. Doch Syngenta und seine Vorgänger ignorierten wiederholt die Warnungen ihrer eigenen Wissenschaftler, kritisiert Public Eye. Sie lehnten die flächendeckende Einführung von sichereren Paraquat-Produkten vehement ab, weil sie darin keine wirtschaftlich akzeptable Lösung sahen. Mittlerweile reichte eine Gruppe von Bauern und Bäuerinnen in den USA, die Paraquat für ihre Parkinsonerkrankung verantwortlich machen, eine Klage gegen den Hersteller Syngenta ein.

Mit dem Handel von Pestiziden machen Chemiekonzerne weltweit große Geschäfte. Gleichzeitig werden Jahr für Jahr Millionen Menschen weltweit Opfer von Pestizidvergiftungen. Die Gifte belasten nicht nur Böden und Gewässer, sondern schaden vor allem auch den Menschen, die sie anwenden. Sie schwächen bestäubende Insekten wie Bienen, die insbesondere durch Neonikotinoide gefährdet sind. Ist der Organismus der Biene einmal durch Agrochemikalien geschwächt, haben Varroamilben leichtes Spiel, wie Schweizer Insektenforscher herausfanden.

Mehrere Initiativen haben sich des Problems angenommen

Was die Pestizid-Exporte angeht, sollte ein 2019 veröffentlichter Faktencheck von PAN Germany Licht ins Dunkel bringen. Mit einer Unterschriftenaktion fordert die Initiative Campact e. V. deutsche Chemiekonzerne wie Bayer und BASF auf, den Export von Pestiziden nach Afrika, Asien und Lateinamerika zu beenden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stelle die Interessen weniger deutscher Großkonzerne über die Gesundheit der Menschen und den Umweltschutz, kritisiert Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. Tritt das geplante EU-Mercosur Abkommen in Kraft, werden auch die Zölle auf Pestizide aufgehoben. Das wiederum dürfte den Handel mit den in der EU verbotenen giftigen Pestiziden aus Deutschland befeuern. Vor diesem Hintergrund fordert Greenpeace den Wirtschaftsminister auf, das Mercosur-Handelsabkommen zu stoppen.

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