Wenn selbst progressive Stimmen Kriegs-Propaganda verbreiten

Seite 2: USA haben Krieg nicht begonnen, aber helfen, ihn fortzusetzen

Was den Vorwurf betrifft, wir würden die Macht der USA übertreiben, verweist Feffer auf einen einzigen Satz aus der ganzseitigen Erklärung des Eisenhower Media Network in der New York Times, in dem Präsident Biden und der US-Kongress aufgefordert werden, "ihre volle Macht zu nutzen, um den Russland-Ukraine-Krieg durch Diplomatie schnell zu beenden". Damit wird dann ein falsches Bild der Friedensbewegung gezeichnet, die in den Vereinigten Staaten eine Supermacht sieht, die jedes globale Problem lösen kann.

Wir haben das nie geglaubt, auch nicht, als die USA noch sehr viel mehr globale Macht hatten als heute.

Aber wir sind der Überzeugung, dass die USA ihre Macht genutzt haben, um die Friedensgespräche zum Scheitern zu bringen und Selenskyj dazu zu bringen, keine Kompromisse einzugehen, zu denen er zu Beginn des Krieges bereit war.

Bei Gesprächen in der Türkei im März 2022 akzeptierte die ukrainische Regierung territoriale Kompromisse als Teil ihres Entwurfs eines 15-Punkte-Friedens- und Neutralitätsabkommens mit Russland.

Selenskyj selbst sagte: "Sicherheitsgarantien und Neutralität, ein nicht-nuklearer Staat für unseren Staat. Wir sind bereit, das durchzuziehen". Er fügte hinzu:

Unser Ziel ist klar – Frieden und die Wiederherstellung des normalen Lebens in unserer Heimat so schnell wie möglich.

Eine gewaltsame Rückeroberung aller von Russland gehaltenen Gebiete schloss er aus, da dies zum Dritten Weltkrieg führen würde. Er wolle einen "Kompromiss" über die östliche Donbass-Region erreichen und sei bereit, den endgültigen Status der Krim auf Jahre hinauszuschieben. Im Gegenzug würde sich Russland bereit erklären, alle seine Besatzungstruppen abzuziehen.

Dann intervenierten Großbritannien und die USA und brachten die Gespräche zum Versiegen. Der türkische Außenminister sagte nach einer gescheiterten Nato-Konferenz:

Einige Nato-Länder wollten, dass der Krieg in der Ukraine weitergeht, um Russland zu schwächen.

Feffer bestreitet, dass das wahr ist, doch die Tatsache, dass britische und amerikanische Politiker intervenierten, um die Verhandlungen zu blockieren, wurde von Selenskyjs Mitarbeitern, türkischen Diplomaten und Israels damaligem Premierminister Naftali Bennett bestätigt. Feffers Leugnung ist nichts anderes als die vorsätzliche Ignoranz gegenüber gut dokumentierten Ereignissen.

Während der Gespräche verlangte die Ukraine von den USA und anderen Nato-Staaten kollektive Sicherheitsgarantien, um sicherzustellen, dass sie nicht wieder überfallen wird. Doch anstatt die Ukraine bei ihren Verhandlungen zu unterstützen, nutzten die USA und Großbritannien die Abhängigkeit der Ukraine von westlicher Unterstützung als Druckmittel, um die Friedensgespräche zu unterminieren und einen möglicherweise zweimonatigen Krieg in einen viel längeren zu verwandeln, mit entsprechend vielen Toten, Verletzten und physischen und wirtschaftlichen Zerstörungen für die Menschen in der Ukraine.

Die USA könnten helfen, das blutige Patt in der Ukraine aufzulösen

Auch bei anderen Aspekten bezüglich der Rolle der USA sind wir anderer Meinung als Feffer.

So glaubt er nicht, dass die Nato-Erweiterung ein bedeutender Faktor in diesem Konflikt gewesen ist. Zudem ist er nicht der Meinung, dass die USA ein wesentlicher Akteur im Maidan-Aufstand von 2014 waren, der die prorussische Regierung von Viktor Janukowitsch stürzte. Und er bestreitet, dass die US-Politik die tapfere Verteidigung des ukrainischen Volks in einen langen Krieg transformiert hat, um es für das geopolitische Ziel der USA zu opfern, Russland zu "schwächen".

Das sind offensichtlich grundlegende Meinungsverschiedenheiten. Unser Beharren auf der Verantwortung der USA für eine Reihe von diplomatischen und politischen Fehlern, die die Ukraine betreffen, rechtfertigt den Krieg in keiner Weise, aber es hilft, mögliche Lösungen zu verstehen.

Das Ergebnis der von Feffer unterstützten US-Politik ist eine tödliche Pattsituation, wie sie in durchgesickerten Pentagon-Dokumenten beschrieben wird. In ihnen werden die möglichen Gewinne der viel gepriesenen ukrainischen Offensive analysiert, und man kommt zu dem Schluss, dass "anhaltende ukrainische Defizite bei der Ausbildung und der Versorgung mit Munition wahrscheinlich den Fortschritt behindern und die Verluste während der Offensive verschlimmern werden", so dass das wahrscheinlichste Ergebnis nur bescheidene Gebietsgewinne bleiben.

Eine Sackgasse könnte einen jahrelangen Krieg nach sich ziehen, in dem viele weitere Ukrainer und Russen sterben werden, während ukrainische Städte wie Bachmut dem Erdboden gleich gemacht werden. Oder er könnte etwas noch Verheerenderes bedeuten: Den Dritten Weltkrieg.

Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits im Dezember sagte: "Wenn die Dinge schief gehen, können sie furchtbar schiefgehen", womit er sich auf die Möglichkeit bezog, dass sich der Krieg auf ganz Europa ausbreitet bzw. zu einem Atomkrieg führt.

Sollte ein Nato-Land direkt in den Krieg verwickelt werden, was leicht passieren kann, wären die USA gezwungen, US-Truppen zu entsenden, von denen bereits mehr als 100.000 in Europa stationiert oder dort eingesetzt sind.

Der gefürchtete Krieg zwischen Russland und den USA, den wir während des ursprünglichen Kalten Krieges vermeiden konnten, würde uns schließlich alle verschlingen. Er wäre das Ergebnis einer absolut vermeidbaren Aneinanderreihung von Versäumnissen der russischen und amerikanischen Diplomatie und Politik.

Feffer verhöhnt die ehemaligen US-Militärs und Geheimdienstoffiziere, die die ganzseitige Anzeige in der New York Times unterschrieben haben. Sie seien besessen von amerikanischer Macht. Er hält ihnen vor, dem Irrglauben verfallen zu sein, die USA besäßen die Macht, einen Waffenstillstand zu erzwingen und ein Friedensabkommen auszuhandeln.

Sie haben jedoch keineswegs behauptet, dass die USA die Macht haben, das im Alleingang zu tun. Aber wir leben nun einmal in den USA und sollten uns daher Gedanken darüber machen, welche positive Rolle unsere Regierung spielen könnte.

Im Moment helfen die USA mit wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe, was lobenswert ist, aber sie liefern auch große Mengen an Waffen, um diesen Krieg anzuheizen.

Es gibt sicherlich positivere Wege, wie die USA und ihre Verbündeten Verhandlungen unterstützen könnten. Die USA könnten anbieten, ihre Raketen aus Rumänien und Polen und ihre Atomwaffen aus den europäischen Ländern abzuziehen, wenn Russland im Gegenzug seine eigenen Atomwaffen nicht in Weißrussland stationiert.

Die USA könnten den ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile) und den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) wieder aufleben lassen, beides Verträge, aus denen die USA einseitig ausgestiegen sind. Sie könnten anbieten, den neuen Start-Vertrag, aus dem sich die Russen zurückgezogen haben, neu zu verhandeln. Die Europäer könnten die EU-Mitgliedschaft und einen Marshall-Fonds zum Wiederaufbau der Ukraine anbieten.

Wir fordern die US-Regierung auf, mit Vernunft in der Welt zu agieren, in der die Vereinigten Staaten nicht mehr der globale Hegemon sind, und eine konstruktive Rolle in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern zu spielen.

In Bezug auf die Krise in der Ukraine bedeutet es, der Ukraine dabei zu helfen, Frieden zu schließen, anstatt die Friedensverhandlungen zu behindern und immer mehr gefährliche Waffen in den Konflikt zu schicken – Waffen, die trotz eines diesbezüglichen Verbots in den USA, bereits eingesetzt werden, um den Krieg auf Russland selbst auszuweiten.

Die USA müssen den Ukrainern zuhören – und dem Globalen Süden

Schließlich stimmen wir mit Feffer überein, dass wir den Ukrainern zuhören müssen, aber wir müssen auch auf die Rufe hören, die aus dem Rest der Welt kommen, von Menschen und Ländern, die nicht wollen, dass das Leben auf diesem Planeten ausgelöscht wird.

Hören wir auf die Stimmen der Armen in aller Welt, die ebenfalls Opfer dieses Krieges sind. Das gilt insbesondere für den Globalen Süden, wo Millionen von Menschen aufgrund steigender Lebensmittelpreise vom Hunger bedroht sind oder sich entscheiden müssen, ob sie ihre Miete oder ihre Energierechnungen bezahlen sollen.

Hören wir auf die Stimme des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, der auf die Frage von Präsident Biden, ob er Waffen in die Ukraine schicken wolle, antwortete: "Wir wollen uns nicht an diesem Krieg beteiligen, wir wollen diesen Krieg beenden."

Hören wir auf die Stimme von Papst Franziskus, der bereits den Austausch von Gefangenen ermöglicht hat und versucht, ein Friedensabkommen zu vermitteln. "Gewöhnen wir uns nicht an Konflikte und Gewalt", mahnte er. "Gewöhnen wir uns nicht an den Krieg."

Als Beispiel für echte Solidarität nennt Feffer die Art und Weise, wie US-Aktivisten den Südafrikanern während der Anti-Apartheid-Bewegung zuhörten. Aber hören wir heute auch auf die südafrikanische Regierung, die zusammen mit fünf anderen afrikanischen Nationen eine hochrangige Friedensmission nach Moskau und Kiew entsandt hat, die einen Waffenstillstand in der Ukraine fordert, dem ernsthafte Verhandlungen folgen sollen, um "einen Rahmen für einen dauerhaften Frieden" zu schaffen.

Wir möchten mit den Worten von zwei geschätzten Kollegen schließen. Andy Shallal, ein Vorstandsmitglied des Institute for Policy Studies und ein irakischer US-Amerikaner, der die Schrecken des Krieges kennt, schrieb an Feffer, nachdem er seinen Artikel gelesen hatte:

John, ich bitte Sie inständig, Ihre Position zur Ukraine zu überdenken. Friedensaktivisten wollen diesen Krieg nicht beenden, weil wir eine Vorliebe für Putin haben, sondern weil wir aus zu vielen vergangenen Erfahrungen wissen, dass Kriege böse sind und niemandem außer Despoten, Waffenhändlern und Oligarchen nützen.

Yurii Sheliazhenko, Exekutivsekretär der ukrainischen pazifistischen Bewegung und Träger des Sean-McBride-Friedenspreises des Internationalen Friedensbüros für das Jahr 2022, schrieb nach der Lektüre von Feffers Artikel diese tiefsinnigen Worte:

Mein Rat an Menschen in den USA, die Frieden wollen, ist folgender: Geben Sie Ihre Prinzipien nicht auf, wenn Sie den Menschen zuhören. Der ganze Sinn von Frieden und Gerechtigkeit ist die Verpflichtung auf einfache, vernünftige Prinzipien wie "Keinen Schaden anrichten, Frieden mit friedlichen Mitteln und die Weigerung zu töten'. Das sind keine abstrakten Prinzipien, die man einfach aufgeben kann, sondern sie sind der ultimative Weg, um den unhintergehbaren Wert des menschlichen Lebens zu bewahren, um dem Teufelskreis der Gewalt zu entkommen und um den naiven und barbarischen Glauben hinter sich zu lassen, dass Konflikte mit Gewalt gelöst werden können.

Krieg ist niemals fortschrittlich. Er ist einfach nur archaischer, schändlicher Massenmord. Waffen töten nur, sie bringen keinen Frieden. Echten Frieden werden wir nur erreichen, wenn wir lernen und lehren, wie man ohne Gewalt lebt, das Zusammenleben regelt und Konflikte bewältigt. Auf Menschen zu hören, die nicht genug gesunden Menschenverstand haben, um solche einfachen Wahrheiten zu erkennen, bedeutet, den falschen Leuten zuzuhören, und das wird nichts Gutes bringen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Online-Magazin Znetwork. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Medea Benjamin ist die Mitbegründerin von Codepink und der Menschenrechtsgruppe Global Exchange. Seit mehr als 40 Jahren setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit ein. Sie ist Autorin von zehn Büchern, darunter "Drone Warfare: Killing by Remote Control", "Kingdom of the Unjust: Behind the US-Saudi Connection" und "Inside Iran: The Real History and Politics of the Islamic Republic of Iran". Ihre Artikel erscheinen regelmäßig in Zeitungen wie Znet, The Guardian, The Huffington Post, CommonDreams, Alternet und The Hill.

Nicolas J. S. Davies recherchiert für Codepink Women for Peace und ist Buchautor, u.a. von "Blood On Our Hands: the American Invasion and Destruction of Iraq". Zusammen mit Medea Benjamin hat er gerade "War in Ukraine: Making Sense of a Senseless Conflict" veröffentlicht.