Wenn tödliche Nachlässigkeit und Klimawandel zusammentreffen

Der ausgelaufene Gletschersee hatte sich schon in den Jahrzehnten zuvor deutlich verändert. A. E. Racoviteanu, Y. Arnaud, M. W. Williams, W. F. Manley / CC-BY-3.0

Energie und Klima – kompakt: Ausgelaufener Gletschersee in Indien: Behörden-Ignoranz und Klimawandel ergeben gefährliche Melange. Ein Beispiel gab es auch im Westen.

Eine Umweltkatastrophe in Indien hat vergangene Woche auf eine hierzulande weniger bekannte Gefahr im Zusammenhang mit dem Klimawandel aufmerksam gemacht. Im kleinen, zwischen Nepal und Bhutan eingeklemmten Bundesstaat Sikkim ist am vergangenen Mittwoch ein Gletschersee schlagartig ausgelaufen und hat im unter ihm liegenden Tal erhebliche Zerstörungen angerichtet.

Sikkim liegt am Südhang des Himalaya an Indiens Grenze zu China. Den letzten Anstoß hatten starke Niederschläge gegeben, so dass Wassermassen einen natürlichen Damm aus Schlamm und Geröll schließlich wegrissen.

Satellitenaufnahmen zeigen eine um etwa zwei Drittel verringerte Wasseroberfläche des Sees nach dem Ausbruch. Die Nachrichtenagentur AP zitiert Experten, nach deren Ansicht neben den in diesem Jahr ungewöhnlich starken Monsun-Niederschlägen könnte nach von, auch ein Erdbeben, das am Dienstag den Westen Nepals erschütterte, den Anstoß gegeben haben könnte.

Allerdings war dessen Epizentrum rund 800 Kilometer vom Unglücksort entfernt. 56 Todesopfer wurden bis Sonntag nach Angaben der Zeitung Greater Kashmir gemeldet. Mehrere Hundert Menschen würden noch vermisst. Umweltschützer hätten bereits seit Jahren vor der Instabilität des Lhonak-Sees gewarnt und 2013 habe eine Untersuchung des indischen Zentrums für Satellitenfernerkundung ergeben, dass es eine 42-prozentige Chance eines Dammbruchs gebe.

Dennoch wurde unterhalb des Gletschersees ein künstlicher Stausee geschaffen, dessen Turbinen seit 2017 Strom liefern. 1,5 Milliarden US-Dollar hatte laut AP der Bau gekostet. Nun wurde er von Fluten eingerissen und sein Bruch hat die Katastrophe erheblich verstärkt. Nicht einmal ein Frühwarnsystem habe es gegeben.

Gletscher schrumpfen in nie zuvor gesehenem Tempo

Auch das naturwissenschaftlichen Fachblatt Nature weist darauf hin, dass derartige Ereignisse für die ganze Himalaya-Region nichts Neues seien und verschiedene wissenschaftliche Studien auf die Gefahren für die in den letzten Jahren stark expandierten Siedlungen im Teesta-Tal unterhalb des in 5.200 Metern Höhe über dem Meeresspiegel gelegenen Gletschersees hingewiesen hätten.

Die Himalaya-Gletscher schrumpfen demnach in einem nie zuvor gesehenen Tempo, so auch der Süd-Lhonak-Gletscher, der den gleichnamigen See speist. Der jetzige Dammbruch, so der Nature-Kommentator, würde ein Schlaglicht auf die Gefahren des Klimawandels in der Himalaya-Region werfen. Das verdeutlicht auch der oben verlinkte Bericht der Zeitung Greater Kashmir aus dem gleichnamigen indischen Bundesstaat an der Grenze zu Pakistan.

Allein im dortigen oberen Ende des Indus-Beckens gebe es in den Bergen 5300 Gletscherseen. Hinzu kämen zahllose steile Gebirgshänge, die vom Permafrost gehalten werden und abrutschen können, wenn dieser auftaut.

Drei Millionen Inder leben in Regionen leben, in denen sich jederzeit ein Gletschersee sich ins Tal ergießen könnte. Die Zeitung verweist unter anderem auf ein Ereignis ähnlicher Art, bei dem am 16. Juni 2013 im Bundesstaat Uttarakand 5.700 Menschen den Tod gefunden hätten.

Für gewöhnlich bilden sich Gletschersee hinter Endmoränen, das heißt, hinter Wällen aus Gestein und Schlamm, die der Gletscher talwärts geschoben hatte. Wenn die Eismassen schrumpfen, ziehen sie sich sozusagen bergwärts zurück und der Wall bleibt quer zum Tal liegen.

Derartige instabile Stauseen können sich aber auch anders bilden. Aus Kaschmir wird zum Beispiel von der genannten Zeitung von einem See berichtet, der sich im dortigen Gebirge im Januar 2015 nach starken Regenfällen und einem nachfolgenden Erdrutsch gebildet hatte. Versuche, ihn geregelt zu entleeren, schlugen fehl, sodass die Barriere schließlich im Mai 2015 brach und das Wasser talabwärts verheerende Schäden anrichtete.

Während dort die Gefahr ziemlich kurzfristig und vermutlich auch an dieser Stelle unerwartet entstanden ist, ist sie an vielen anderen Orten seit langem bekannt. Nicht zuletzt in Sikkims Teesta-Tal. Die dortigen Vorgänge zeigen indes nicht nur die Gefahren des Klimawandels auf, sondern auch die katastrophalen Folgen einer fatalen Mischung aus behördlicher Ignoranz und Nachlässigkeit einerseits und den Auswirkungen der globalen Erwärmung.

Doch derlei ist alles andere als eine indische Spezialität, wie man andernorts schon 2005 in den USA mit dem Hurrikan "Katrina" in New Orleans oder hierzulande während des 2021er-Juli-Hochwassers im Ahrtal und in Erftstadt erleben musste.