"Wer sich viel von TV-Unterhaltung berieseln lässt, wählt Populisten"
Eine italienische Studie über die politischen Hinterlassenschaften des Berlusconi-Fernsehens kommt zu Ergebnissen, die verbreitete Annahmen bestätigen, auch über kognitive Fähigkeiten von Dauerkonsumenten seichter Programme
Wer viel Zeit vor dem TV-Schirm mit seichter Unterhaltung verbringt, wird nicht unbedingt klüger und wählt mit größerer Wahrscheinlichkeit eine populistische Partei. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie aus Italien, die sich unter dem Titel "Die politischen Hinterlassenschaften des Unterhaltungsfernsehens" mit Auswirkungen des TV-Programms beschäftigt, das von der Berlusconi-Sendergruppe Mediaset ab Anfang der 1980er Jahre ausgestrahlt wurde.
"Wir haben herausgefunden, dass Personen, die schon früh Zugang zu den Entertainment-Inhalten von Mediaset hatten, mit größerer Wahrscheinlichkeit 1994 Berlusconis Partei (Forza Italia, Anm. d. A.) wählten, als er zum ersten Mal bei Parlamentswahlen kandidierte. Der Effekt bleibt über fünf Wahlen bestehen und wird vor allem von Dauerfernsehschauern, besonders von sehr jungen und älteren, in Gang gehalten", heißt es in der Zusammenfassung der Studie, die aktuell im amerikanischen Wissenschaftsmagazin American Economic Review erscheint (in voller Länge hier).
Das Ergebnis bestärkt weitverbreitete Annahmen: einmal über den Zusammenhang zwischen der Dumpfheit von Unterhaltungsprogrammen und Ansprüchen, die an Äußerungen von Politikern gestellt werden, sowie über mögliche negative Auswirkungen dauerhafter Berieselung auf kognitive Fähigkeiten. Zusammengenommen ergeben sich daraus, wie Studie behauptet, politische Vorlieben, von denen besonders populistische Politiker und Parteien profitieren.
Der Effekt, den Berlusconi-TV auf seine Zuschauer haben soll, sei nicht auf die politische Karriere und die Person des früheren Ministerpräsidenten begrenzt, sondern gehe auch nach deren Ende weiter. Er zeige sich in den Ergebnissen der 5-Sterne-Bewegung bei den Parlamentswahlen 2013, die politisch zwar einem anderen Lager, weiter links, zugerechnet werden, aber mit einer verwandten politischen Rhetorik agieren, so eine der Thesen der drei italienischen Autoren der Studie, Ruben Durante, Paolo Pinotti und Andrea Tesei.
Methodik
Die Behauptung, wonach das Publikum von anspruchslosem Unterhaltungsfernsehen auch politisch Eingängiges bevorzugt, weil es über eingeschränkte kognitive Fähigkeiten verfügt, ist schnell dahergesagt und nicht selten von Bildungsbürgerüberheblichkeit getragen. Wissenschaftlich muss sie gut begründet werden.
Der Anspruch liegt hier hoch, umso mehr als sich die Forschung über Medienwirkung seit Jahrzehnten auf einem Gelände bewegt, das viel Angriffsfläche bietet. Die italienische Studie hat einen außerordentlichen Weg gewählt.
Sie machte sich Daten zunutze, die mit dem Aufkommen des Berlusconi Privatfernsehens in Italien in Verbindung stehen. Sie verglich die Senderreichweite von Mediaset, das Anfang der 1980er in seinen Anfängen steckte und noch nicht landesweit sendete, mit Wahlergebnissen der Regionen, wo das Programm empfangen wurde. Dem ist eine ausführliche methodische Besprechung der Schwierigkeiten unterlegt, die sich aus der Annahme ergeben, die Reichweite von Mediaset mittels der Signalstärke zu ermitteln.
Dass hier Hindernisse wie etwa Berge mithineinspielen und anderseits auch Phänomene, wie sie sich beim Empfang des Westfernsehens in der DDR zeigten, die sich nicht einfach erklären lassen, zeigt an, dass sich die Verfasser Mühe geben, ihre Methodik differenziert zu untermauern. Das gilt auch für die anderen Kriterien, die außer TV-Sehen bei der Wahlentscheidung eine Rolle spielen, die methodisch berücksichtigt werden mussten. Das liefert wahrscheinlich Ansätze für Kritiker.
Ein völlig neues Programm
Unbestritten ist, dass das Berlusconi Privatfernsehen ein völlig neues Programm in die Haushalte brachte, die zuvor nur Programme des öffentlich-rechtlichen Senders Rai empfingen. Es war Unterhaltung in einer neuen Dimension. Erst später kamen News-Formate hinzu, die sich aber ebenfalls deutlich vom öffentlich-rechtlichen Angebot unterschieden.
Auch sie waren stärker auf Unterhaltung statt auf die gewohnte "Debattenkultur" ausgelegt. Wie die Studie verstehen lässt, hat dies die Zuschauer ebenfalls in einem Wahlverhalten bestärkt, das in vier Parlamentswahlen zugunsten der Berlusconi-Partei ausfiel und 2013 dann zugunsten der 5-Sterne-Bewegung.
Das Wahlverhalten der Mediaset-Konsumenten wurde einmal, wie erwähnt, mit Ergebnissen in den Regionen verglichen, wo das Privatfernsehen jeweils gerade neu gestartet wurde, und dazu mit anonymisierten individuellen Daten der Italian National Election Study, die seit 1972 repräsentativ durchgeführt wird, aus welcher der Wohnort und das Wahlverhalten hervorgeht.
Die Verbindung zwischen Dauerschauen von Berlusconi-TV-Programmen, Wahlverhalten und eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten wird mit Daten aus Untersuchungen von Wehrpflichtigen unterlegt. Je länger die Jungen im Alter von unter zehn Jahren Entertainment-TV sahen, desto wahrscheinlicher war es, dass sie später bei Intelligenztests der Armee scheiterten.
Die Studie kommt anhand ihrer Daten zu dem Ergebnis, dass die Personen, die schon in früher Kindheit begannen, intensiv Unterhaltungsfernsehen zu schauen, später mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Rhetorik der Populisten ansprechen. Ähnlich auffallende Ausrichtungen fand man auch bei den Älteren.
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