Werden die jetzt mit Erfolg getesteten Covid-19-Impfstoffe wirksam sein?
Nein, so das Fachmagazin BMJ, denn die Tests sind nicht so angelegt, dass sie prüfen, ob die Impfstoffe das Infektionsrisiko senken oder Erkrankungen abschwächen, vor allem nicht bei der Risikogruppe der alten Menschen
Die große Hoffnung ist, dass die Verfügbarkeit von Impfstoffen dem Corona-Spuk schnell ein Ende setzen wird. Russland hat das Rennen gewonnen und schnell eine umstrittene Notfallzulassung für Sputnik-V erteilt, in China finden bereits Massentests mit Impfstoffen statt, US-Präsident Donald Trump wird es wohl nicht schaffen, dass vor der Präsidentschaftswahl ein Impfstoff in den USA ausgeliefert werden kann. Allerdings wollen das amerikanische Pharma-Unternehmen Moderna und auch Pfizer noch im November eine Notfallzulassung in den USA beantragen. In der EU befinden sich die Impfstoffe von Pfizer, BioNTech und AstraZeneca im Zulassungsprozess. Insgesamt gibt es mindestens 210 Impfstoffprojekte.
Die große Frage bei allen Impfstoffen bleibt jedoch nicht nur, wie sicher sie sind, sondern auch, ob und wie gut sie vor einer Infektion schützen. Zwar werden bereits um die 40 Impfstoffe an Menschen getestet, einige befinden sich in Phase 3, bei der mehrere zehntausend Menschen geimpft werden, was gerne bei Menschen in ärmeren Ländern gemacht wird. Auch wenn Phase 3 abgeschlossen ist und die Zulassung geprüft wird, ist nicht klar, wie hoch die Wirksamkeit ist.
Getestet werden die Impfstoffe vorwiegend an jungen und gesunden Versuchspersonen, wie ältere Menschen darauf ansprechen, ist bislang unbekannt. Es werden zwar auch über 65-Jährige einbezogen, aber die Wirksamkeit müsste vor allem in dieser Altersgruppe bestimmt werden, was nicht geschieht. Wie Marc Lipsitch und Natalie E. Dean in ihrem Beitrag Understanding COVID-19 vaccine efficacy schreiben, der gerade in Science erschienen ist, sind die Covid-19-Tests der Phase 3 nicht darauf angelegt, die Wirksamkeit bei bestimmten Gruppen zu prüfen, was aber bei Covid-19 ganz wichtig für eine Strategie mit begrenzten Impfmitteln wäre, da die Alten die mit Abstand am stärksten gefährdete Risikogruppe darstellen. Auch wenn sich bei Versuchspersonen Antikörper als Immunantwort bilden, ist weiterhin unklar, ob tatsächlich eine Schutzwirkung eintritt und wie lange diese hält.
Peter Doshi hat nun in einem Beitrag für BMJ die offenen Fragen herausgearbeitet und gleich schon einmal im Titel auf die Frage, ob die jetzt entwickelten Impfstoffe Leben retten werden, geantwortet, dass die laufenden Versuche nicht so entworfen wurden, um das zu beantworten. Zwar heiße es, dass nur sichere und wirksame Impfmittel zugelassen würden. Sie sollten entweder so wirken, dass das Risiko einer Infektion vermindert oder die Folgen einer Infektion abgeschwächt werden, so dass eine ernsthafte Erkrankung und eine Behandlung im Krankenhaus vermieden wird. Aber Doshi macht klar:
Keiner der laufenden Versuche wird so durchgeführt, dass damit eine Reduktion von schweren Folgen wie Krankenhauseinlieferung, Intensivbehandlung oder Todesfällen entdeckt wird. Noch werden sie so durchgeführt, dass man sehen kann, ob sie die Übertragung des Virus unterbrechen können.
Festgestellt wird lediglich, ob beim Geimpften eine symptomatische Erkrankung verhindert wird. Und dabei kann es sich auch nur um eine leichte Erkrankung bei einem positiv Getesteten handeln. Bei den Tests von Pfizer und Moderna mit einer Placebo-Kontrollgruppe reichen schon ein Husten oder Atemschwierigkeiten und ein positiver PCR-Test, um die Wirksamkeit zu belegen. Für den Wirksamkeitsnachweis würden dann schon 150 Versuchsteilnehmer reichen, die leichte Symptome zeigen - der Impfstoff soll aber Hunderten von Millionen Menschen verabreicht werden. Dazu ist die Basis sehr klein.
Vieles wird erst einmal offen bleiben bei dem globalen Experiment mit Impftstoffen
Wie es bei schweren Erkrankungen steht, bleibt hingegen nach Doshi offen. Er wirft den Pharma-Unternehmen keine Trickserei vor, sondern schreibt, dies könne auch daran liegen, dass es bei solchen Tests kaum häufiger vorkomme, dass Versuchspersonen schwer an Covid-19 erkranken und ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Nur wenige Prozent der positiv auf Covid-19 Getesteten seien in den USA im April mit Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Wenn man nur 30.000 Versuchspersonen testet, werden schwere Erkrankungen entsprechend gering sein - und wenn dann noch eine Gruppe von 150 Versuchspersonen zur Bewertung reicht, lässt sich vermutlich kaum sagen, ob der Impfstoff eine schwere Erkrankung oder gar den Tod verhindert. Das aber würde nach den US National Institutes of Health der Test von Moderna zeigen. Tal Zaks, der Chefmediziner von Moderna bestätigte hingegen gegenüber BMJ, dass es dafür an statistischer Aussagekraft fehle. Für einen solchen Nachweis fehle die Zeit.
Die Tests könnten überdies nicht zeigen, ob die Impfstoffe vor einer Übertragung schützen. Dazu müsste man die Versuchspersonen mindestens zweimal pro Woche über eine längere Zeit testen, das sei aber realistisch nicht ausführbar, sagt Zak. Moderna will wie Pfizer aus dem klinischen Test der Phase 3 erkennen, ob der Impfstoff bei Covid-19-Infizierten eine Risikoreduzierung um 30 Prozent bewirkt. Wenn der Impfstoff dies bei symptomatischen Infizierten leistet, so Zak, würde er dies auch bei schwer Erkrankten. Grippe-Impfstoffe würden, so Zak, zudem besser vor schweren als vor leichten Erkrankungen schützen.
Doshi führt dagegen an, dass es randomisierte Versuche zwar gezeigt hätten, dass Impfstoffe eine Reduzierung des Risikos für eine symptomatische Influenza bewirken, aber es habe keine Versuche bei älteren Menschen gegeben. Überhaupt habe es nur zwei Versuche mit einer Placebo-Kontrollgruppe für dieses Alter gegeben, aber die seien nicht so ausgelegt gewesen, um Krankheitseinweisungen und Todesfälle zu entdecken. Vielmehr habe sich gezeigt, dass auch eine große Zunahme an Grippe-Impfungen nicht zu einem Rückgang der Mortalität geführt habe. Und, so Lipsitch und Dean, Grippe-Impfungen führen bei älteren Menschen zu einer schwächeren und kurzlebigeren Immunantwort.
Die Menschen würden von zugelassenen Impfstoffen nach der Wirksamkeitsprüfung durch die Tests der Phase 3 erwarten, dass sie das Risiko senken, angesteckt zu werden (oder anzustecken), und/oder gewährleisten, dass Erkrankungen milder verlaufen. Nichts davon wird nach Doshi wirklich der Fall sein, wenn die Impfstoffe zugelassen werden, einmal abgesehen davon, dass Langzeitfolgen auch nicht bekannt sein werden.
Man darf bezweifeln, wenn Doshi sagt, dass jetzt noch Zeit wäre, die Tests so zu verändern, dass sie prüfen, ob die Impfstoffe speziell den älteren Menschen einen Schutz bieten, dass stärker auf Sicherheit geachtet und der Frage nachgegangen wird, wie das Immunsystem auf Covid-19 reagiert: "Die Covid-19-Tests wurden nicht mit unserem Input designt, aber es ist nicht zu spät, unsere Forderungen zur Geltung zu bringen und ihre Richtung abzuändern." Weil so viel auf dem Spiel steht für die Regierungen und die Unternehmen wird es wohl in erster Linie um Schnelligkeit gehen, weniger um Wirksamkeit und Sicherheit.