Wie CDU-Kreise sich einen Verfassungsrichter aufbauten

Das Vertrauen in das höchste deutsche Gericht ist erstaunlich angesichts dessen, wer nach Karlsruhe geschickt wird. Der Fall Stephan Harbarth

Das Bundesverfassungsgericht genießt bei den Bundesbürgern hohes Ansehen. Die vom Bundestag gewählten Richter gelten als kompetent und neutral. Die meisten Bundesbürger akzeptieren dessen Urteile und Entscheidungen.

Wenn gar nichts mehr hilft, drohen vor allem Politiker der jeweiligen Opposition "mit dem Gang nach Karlsruhe". Das Bundesverfassungsgericht soll es richten. Dieses Vertrauen ist eigentlich erstaunlich, schaut man sich an, wer da so nach Karlsruhe an das höchste deutsche Gericht geschickt wird.

Immer wieder sind das hochrangige Politiker. So wurde etwa der frühere saarländische Ministerpräsident von der CDU nach Karlsruhe geschickt. Bei Peter Müller gab es Diskussionen über dessen juristische Qualifikation. Dass ein führender Politiker ins Bundesverfassungsgericht wechselte, war bei ihm weniger das Thema.

Präsident des Bundesverfassungsgerichts ein Auto-Lobbyist?

An der juristischen Qualifikation des vor ein paar Monaten zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählten vorherigen CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth gab es auch bei Oppositionspolitikern keinerlei Zweifel. Bei Harbarth war und ist es weiterhin die Frage, warum er in seiner Zeit als Abgeordneter so viel Geld von seiner Anwaltskanzlei erhielt.

Bei ihm überwog mit jährlich gut einer Million Euro die Tätigkeit für die Kanzlei SZA Schilling Zutt & Anschütz, wie Kritiker monieren. Normalerweise spricht man bei Abgeordneten von "Nebeneinkünften", die sie aus ihrer Tätigkeit neben dem Mandat erhalten. Angesichts der Abgeordneten-Diäten in Höhe von monatlich 10.012,89 Euro erscheint diese Formulierung in diesem Fall unpassend.

Die Kanzlei zählte VW und Daimler zu ihren Klienten und war auch mit den juristischen Folgen des Diesel-Betrugs befasst. Ein Thema, welches sicherlich mehrfach das Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. Grund genug sich mit der Frage zu befassen, wofür der heutige Präsident des BVerfG so viel Geld erhielt. Wohl gemerkt als junger Anwalt, allerdings als einer, der über ein Bundestagsmandat der Regierungspartei CDU verfügte. Also ein Anwalt mit direktem Kontakt zur Bundesregierung.

Das war Anlass für den zwischenzeitlich verstorbenen Kölner Anwalt und Insolvenzverwalter Klaus Siemon, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen, die abgelehnt wurde. Darüber hinaus stellte er eigene Berechnungen an, um das Ergebnis dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble schriftlich mitzuteilen. Denn Siemon sah in den jährlichen Zahlungen an Harbarth einen klaren Verstoß gegen das Abgeordnetengesetz. Dort heißt es im § 44 a Abs 1 unmissverständlich:

"Die Ausübung des Mandats steht im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages."

Damit nicht genug, Siemon zufolge wurde Harbarth keineswegs für seine geleistete Arbeit als Anwalt bezahlt, dafür habe die ihm neben dem Mandat zur Verfügung stehende Zeit einfach nicht gereicht. Siemon - und nicht nur er - stellte sich die Frage, wofür der aufstrebende Politiker die jährliche Million erhielt?

In dem Schreiben, das Siemon an den Bundestagspräsidenten Schäuble sandte und das Telepolis vorliegt, heißt es: "Herr Harbarth war rein rechtlich mithin gar nicht in der Lage, eine hauptberufliche Tätigkeit bei der SZA-AG zu erfüllen. Dennoch erhielt der nicht nur die durchschnittliche, normale, sondern sogar eine weit überdurchschnittliche Vergütung als Vorstand…"

Gemeint ist die Tätigkeit Harbarths in der Anwaltsfirma SZA-AG. Für Siemon kann es "als ausgeschlosssen gelten, dass eine Kanzlei mit dieser Tradition einem 37-jährigen Junganwalt ein aufsteigendes Einkommen bis hin zu 1Mio €/jährlich allein für die reine Anwaltstätigkeit zahlt, die faktisch aufgrund der Arbeitsbelastung als MdB absehbar gar nicht erbracht werden kann".

Siemon sah somit Anlass zur Vermutung "eines unzulässigen Interesseneinflusses, der mit einem freien Mandat als MdB unvereinbar ist". Denn, so Rechtsanwalt Siemon: "Die Jahresabschlüsse der SZA-AG von 2008 bis 2017 legen dar, dass Herr Harbarth hauptberuflich für die SZA-AG gearbeitet hat. Dies verstößt gegen §44 a Abs. 1 Abgeordnetengesetz."

Juristen-Seilschaft

Für Wolfgang Schäuble stellte die "Nebentätigkeit" Harbarths kein Problem dar. Verständlich, der Mann hat in früheren Jahren mitgeholfen, die damaligen schwarzen Kassen der CDU zu verwalten und keineswegs zur Aufklärung beigetragen. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - machte seine Partei ihn zum Bundestagspräsidenten und damit zum Oberaufseher der Parteienfinanzierung.

Die Diskussion über Harbarth fand 2018 statt - aber die Frage, wofür der höchste Richter unseres Landes so viel Geld erhielt, bleibt interessant. Harbarth selbst hat keinen Beitrag zur Aufklärung geleistet und auch Telepolis-Anfragen an die Pressestelle des Gerichts blieben unbeantwortet.

Weiterhin aktuell bleibt auch die Art und Weise, wie Harbarth aufgebaut wurde.

Das geschah in mehreren Etappen, bei der jede ihre ganz eigene Geschichte hat. So erhielt der Abgeordnete eine Honorarprofessur in Heidelberg. Solch ein Titel verbessert natürlich das Renommée erheblich und ist eine gute Voraussetzung für die Kandidatur fürs Bundesverfassungsgericht.

Harbarth hatte in Heidelberg promoviert. Einer der Gutachter der Honorarprofessur Harbarths, Mathias Habersack (heute Universität München), war zu dieser Zeit ebenfalls in Heidelberg als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als wissenschaftlicher Assistent von Peter Ulmer tätig. Ulmer war früherer Rektor der Universität Heidelberg und in dieser Funktion Vorgänger von Peter Hommelhoff, dem Doktorvater von Harbarth. Ulmer ist heute Berater (of councel) bei der Anwaltsfirma SZA, bei der Harbarth so außerordentlich gut verdient hat. Mit Thomas Liebscher verfügt ein weiterer Anwalt aus der Kanzlei SZA über eine Honorarprofessur.

Der zweite Gutachter, Prof. Walter Bayer, arbeitet in Jena am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Privatversicherungsrecht und Internationales Privatrecht. Dieses Institut soll in nennenswerten Umfang von einem Mitinhaber der Anwaltsfirma SZG finanziell gefördert werden, wird vorgebracht. Professor Bayer ließ entsprechende Fragen von Telepolis bisher unbeantwortet.

Der Professor muss weg

Neben der Honorarprofessur erhielt Harbarth im Vorfeld noch weitere Segnungen. Er wurde im Jahr 2018 auch in den Kreis der Herausgeber der "Zeitschrift für Gesellschaftsrecht" aufgenommen. Diese Zeitschrift genießt in der juristischen Fachwelt ein sehr hohes Ansehen. Ihre Autoren haben einen großen Einfluss auf die Expertendiskussion. Zu den Herausgebern zu gehören, stellt also eine sehr große Wertschätzung dar.

Zuvor hatte sich der Herausgeberkreis von einem anderen führenden Juristen getrennt: von Heribert Hirte, wie Harbarth CDU-Bundestagsabgeordneter, aber einer mit einer ordentlichen Jura-Professorenstelle in Hamburg.

Hirte hatte auf steuerliche Probleme in einer der Verlagsgesellschaften hingewiesen und wurde dafür "bestraft", wie es von Kritikern heißt. Ein Rechtsstreit ist in dieser Sache noch anhängig.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte Hirte zum Sachverhalt:

Im Zusammenhang mit einem sogenannten Übernahmeangebot für die von mir selbst aufgebauten European Company in Financial Law Review, der Englischsprachigen, ich sage einmal Tochterzeitschrift, dieser "Zeitschrift für Gesellschaftsrecht", durch die englische Cambridge University Press kam es zu einer Prüfung der Bücher. Dabei stellte sich heraus, dass von Professor Hommelhoff, der die Kasse führte, Umsatzsteuer vereinnahmt, aber nicht an das Finanzamt abgeführt worden war. Zudem wusste der Verlag, der die Zeitschriften herausgibt, verlegt, nichts von sogenannten Treuhandkonten, auf die das Honorar geflossen sein sollte und die eigentlich zugunsten dieses Verlages de Gruyter bestehen sollten.

Heribert Hirte, Deutschlandfunk

Im Handelsblatt warfen die Autoren Jan Keuchel und Volker Votsmeier die Frage auf, ob Hirte gehen musste, "weil man Platz machen wollte für den künftigen Verfassungsrichter Harbarth?"

Dafür spricht einiges. Denn Hirtes Name wurde zuvor im politischen Berlin als möglicher Kandidat für das Bundesverfassungsgericht gehandelt. Feststeht, gegen Hirte gab es gleich mehrere Intrigen, die nicht vollständig aufgeklärt sind.

Gegen den Ausschluss aus dem Herausgeberkreis der juristischen Zeitschrift klagt Hirte. Im Zuge des laufenden Rechtsstreits hat sich der Vorsitzende des II. Zivilsenats am Bundesgerichtshofs, Ingo Drescher, selbst für befangen erklärt. So etwas passiere nicht oft, heißt es bei Beck aktuell.

Auf Betreiben des Kölner CDU-Vorsitzenden Bernd Petelkau, MdL und Mitglied des Wirtschaftsrates, wurde "der Professor", wie man ihn in den Reihen der Kölner "Werteunion" nannte, nicht mehr für den Bundestag nominiert. Statt Hirte soll nun die in einem Schloss residierende Unternehmerin Sandra von Moeller künftig im Bundestag sitzen.

Sie gehört wie ihr Förderer Petelkau ebenfalls dem CDU-Wirtschaftsrat an. Von Moellers Firma BÄRO baut u.a. Belüftungsanlagen - in Corona-Zeiten ein begehrtes Produkt. Ein Bundestagsmandat ist für die Entwicklung des Unternehmens sicher eher förderlich.

Doch zurück zu Stephan Harbarth.

Linke gegen Wahl aktiver Politiker zum Bundesrichter

Die Wahl zum Richter am BVerfG erfolgte mit einer Zwei Drittel Mehrheit des Bundestages. Am 22. Nov. 2018 nahmen 652 der 709 Abgeordneten an der Abstimmung teil. Für Harbarth stimmten 452 Abgeordnete, gegen ihn immerhin 166 Abgeordnete, 34 enthielten sich.

Im Vorfeld gab es Beratungen zwischen CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen. In solchen Runden werden alle möglichen anstehenden Personalfragen beraten. Welche Zusagen SPD und FDP erhielten, ist nicht bekannt geworden. Den Grünen sei zugesichert worden, Renate Künast als künftige Kandidatin zur Bundespräsidentin zu akzeptieren. Aber auch dafür gibt es keine Bestätigung.

Klar kritisiert wurde die Wahl Harbarths von den Linken, die bisher in der "Kungelrunde" nicht vertreten sind. Deren Abgeordneter, Niema Movassat, im 19. Bundestag Mitglied des Richterwahlausschusses, der dem Plenum die Kandidaten vorschlägt, hat grundsätzlich etwas gegen die Wahl aktiver Bundespolitiker zum Bundesrichter. Im Deutschlandfunk-Interview erklärte er dazu:

Meine Grundkritik ist, dass aktive Berufspolitiker nicht an das Bundesverfassungsgericht gehören. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet ja unter anderem über die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen mit der Verfassung, und das sind meistens Gesetze, die Politiker, die im Bundestag sitzen, mit entworfen haben, mit diskutiert haben, vor allem jemand wie Stephan Harbarth, der ja auch im Rechtsausschuss war. Insofern wird er möglicherweise über Gesetze entscheiden als Bundesverfassungsrichter, die er selber mit entschieden hat. Das ist ein Problem, und um solche Interessenkonflikte zu vermeiden, ist es besser, wenn aktive Politiker nicht an das Bundesverfassungsgericht kommen.

Niema Movassat, Deutschlandfunk

Speziell auf Harbarth bezogen thematisierte Movassat auch dessen Tätigkeit in besagter Anwaltskanzlei:

Bei Herrn Harbarth ist es natürlich schon so: Er hatte ja schon mal Interessenkonflikte im Bundestag, als es um die Diesel-Abgasaffäre ging. Als das Thema aufkam, da hat er im Rechtsausschuss damals als Obmann mit dafür gesorgt, dass das nicht auf die Tagesordnung kommt, und der Interessenkonflikt besteht darin, dass er als Anwalt einer der größten deutschen Wirtschaftskanzleien dort Mitarbeiter ist, die auch VW vertritt. Anwalt einer Kanzlei zu sein, die VW vertritt, und im Bundestag dafür sorgen, dass die Diesel-Affäre nicht auf die Tagesordnung kommt, das zeigt auch, dass er mit Interessenkonflikten nicht angemessen umgegangen ist.

Niema Movassat, Deutschlandfunk

Stephan Harbarth ist noch - für das Bundesverfassungsgericht - recht jung und wird somit noch viele Jahre seinen Einfluss geltend machen können. Seine Wahl zum obersten deutschen Richter wird nicht nur von einigen Oppositionsabgeordneten kritisch gesehen, sondern auch innerhalb der Europäischen Union.

Denn wie will die EU politische Beeinflussung der Richterwahl in EU-Mitgliedsländern wie etwa Polen und Ungarn kritisieren, - oder auch in der Türkei kritisieren, wenn in Deutschland die führende Regierungspartei auf diese Art und Weise das Verfassungsgericht personell besetzt?

In Deutschland ist das Wahlverfahren für die höchsten Richter kein Thema, über das öffentlich lebhaft diskutiert würde. Aber vielleicht kommt das ja noch.