Wie Henry Kissinger den Putsch in Chile vorbereitet hat
US-Dokumente belegen, dass Sicherheitsberater auf Gewalt setzte. Außenministerium scheiterte mit Gegenvorschlag – die Folgen waren verheerend
Einige Tage nach Salvador Allendes Amtsantritt in Chile am 3. November 1970 rief US-Präsident Richard Nixon seinen Nationalen Sicherheitsrat zu einer Sitzung zusammen. Bei der Unterredung sollte es darum gehen, welche Politik die USA gegenüber der neuen chilenischen Regierung und der "Volkseinheit" Allendes verfolgen würde. Nur wenige der Teilnehmer im Kabinettssaal des Weißen Hauses wussten zu diesem Zeitpunkt, dass die CIA auf Nixons Anweisung zuvor bereits versucht hatte, in Chile einen Militärputsch anzuzetteln, um die Amtseinführung von Allende zu verhindern. Der Versuch war gescheitert. Nun ging es um Plan B.
Ehemalige Geheimdokumente der US-Regierung, die vom National Security Archive an der George-Washington-Universität veröffentlicht wurden, belegen, wie die damalige US-Regierung Allendes demokratische Wahl und sein Programm für substantielle Veränderungen als Bedrohung sah.
Allerdings herrschten zunächst noch unterschiedliche Ansichten über die Reaktion. "Wir können seinen Sturz herbeiführen, ohne dass das einen kontraproduktiven Effekt hat", schlug Außenminister William Rogers vor. Der damalige US-Chefdiplomat sprach sich zugleich gegen offene Angriffe auf die Regierung in Chile aus. Davon abgesehen herrschte Einigkeit: man müsse alles mögliche unternehmen, um Allende zu schaden und ihn zu Fall zu bringen, so Verteidigungsminister Melvin Laird.
"Unsere Hauptsorge in Chile liegt in der Aussicht, dass (Allende) seine Macht konsolidieren kann, und das international als politischer Erfolg wahrgenommen wird", so auch Präsident Nixon. Er wies seine Spitzenbeamten an, ein verdecktes Programm zur Destabilisierung der Regierung in Chile zu planen und durchzuführen. Man müsse "kühl und korrekt" vorgehen, "aber alles tun, um eine echte Botschaft an Allende und andere auszusenden."
Folgenschwerer Bericht der New York Times
Anlässlich des 50. Jahrestags von Salvador Allendes Amtsantritt hat das Nationale Sicherheitsarchiv, eine Einrichtung zur Erforschung der politischen Geschichte der USA, unlängst eine Sammlung von Dokumenten veröffentlicht, die detailliert aufzeigen, wie Nixon und sein Nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger eine Destabilisierungspolitik gegenüber Chile verfolgten.
Die damaligen Operationen sollten die "die bestmöglichen Bedingungen", wie Kissinger es später ausdrückte, für den Militärputsch vom 11. September 1973 schaffen, der General Augusto Pinochet an die Macht brachte. Die freigegebenen US-Regierungsdokumente enthaltenen nicht nur detaillierten Schilderungen der Beratungen und Entscheidungen im Weißen Haus. Sie vermitteln auch ein genaues Bild darüber, wie führende US-Politiker, allen voran Kissinger, die Haltung der Nixon-Regierung gegenüber Allende später bewusst falsch darstellten.
Ein halbes Jahrhundert nach der Amtseinführung Allendes, so der leitende Analytiker des Archivs für Chile, Peter Kornbluh, "dokumentieren diese Dokumente die bewusste Absicht von US-Beamten, Salvador Allendes Regierungsfähigkeit zu untergraben und ihn 'zu Fall zu bringen'". Vorrangiges Ziel der damaligen US-Regierung sei gewesen, Allende daran zu hindern, ein erfolgreiches und nachahmenswertes Modell für strukturelle gesellschaftliche Veränderungen zu verwirklichen, dem andere Länder hätten nacheifern können.
Als die verdeckten Operationen der CIA zur Untergrabung Allendes im September 1974 vom US-amerikanischen Investigativjournalisten Seymour Hersh auf die Titelseite der New York Times gebracht wurden, provozierten diese Enthüllungen einen Skandal, der sich auf die US-Politik ebenso auswirkte wie auf die internationalen Beziehungen Washingtons.
Senatsbericht dokumentierte erstmals CIA-Operation im Ausland
Die Kritik an der geheimen Rolle der USA in Chile führte erstmals zu ernsteren Kongressuntersuchungen der CIA-Operationen, zu öffentlichen Anhörungen und zur Fallstudie "Covert Action in Chile, 1963-1973", die von einem Sonderausschuss des Senats unter dem Vorsitz von Senator Frank Church verfasst wurde. "Die Art und das Ausmaß der US-amerikanischen Rolle beim Sturz einer demokratisch gewählten chilenischen Regierung sind Angelegenheiten, die in der Öffentlichkeit tiefe und anhaltende Besorgnis hervorrufen", so Churchs Kommentar dazu.
Der im gleichen Jahr angetretene US-Präsident Gerald Ford reagierte mit einer ungewöhnlich offenen Bestätigung der CIA-Operationen - auch wenn er über zentrale Geschehnisse schlichtweg log. "Die in diesem Fall unternommenen Anstrengungen bestanden darin, die oppositionellen Zeitungen und Medien ebenso zu unterstützen wie die oppositionellen Parteien", sagte er der Presse. Die Intervention der USA zur Erhaltung der demokratischen Institutionen Chiles sei "im eigenen Interesse des chilenischen Volkes und sicherlich auch in unserem Interesse" gewesen, so Ford, während das Pinochet-Regime gerade den ersten Jahrestag der Militärdiktatur feierte, die noch 16 weitere Jahre dauern sollte.
In seiner Aussage vor dem Senatsausschuss für Auswärtige Beziehungen vertrat auch Henry Kissinger die These, es sei den USA nur um die Bewahrung der Demokratie gegangen: "Die Absicht der Vereinigten Staaten bestand nicht darin, (Allendes Macht) zu destabilisieren oder zu untergraben. Unsere Sorge galt den Wahlen von 1976 und keineswegs einem Putsch 1973, von dem wir nichts wussten und mit dem wir nichts zu tun hatten.
"Kissinger wiederholte diese Darstellung auch in seinen Memoiren "The White House Years".
Die These, es sei den USA nur um die Erhaltung der Demokratie in Chile gegangen, hört sich zwar gut an, wird er wird durch die inzwischen zugänglichen internen Dokumente des Weißen Hauses ausnahmslos widerlegt. Aus diesen Aufzeichnungen geht hervor, dass das US-Außenministerium einen internationalen Skandal befürchtete, sollten die US-Bemühungen zum Sturz Allendes aufgedeckt werden.
Während die Diplomaten für eine umsichtige Politik plädierten und auf eine Einflussnahme auf die Wahlen von 1976 orientierten, lehnte Kissinger diese Option nachdrücklich ab. Er drängte Präsident Nixon mehrfach und ausdrücklich zu einer Destabilisierung von Allendes Regierung.
Kissinger stand hinter Strategie zu Destabilisierung
Mehr noch: Aus den einst geheimen Regierungsdokumenten erfährt man heute, dass Kissinger die treibende Kraft hinter einer aggressiven Chile-Politik Washingtons war. Als ihm klar wurde, dass die Putschpläne der CIA vor dem 3. November scheitern würden, präsentierte Kissinger Nixon seine ersten Argumente für ein langfristiges, verdecktes und aggressives Vorgehen.
"Es hat sich gezeigt, dass unsere Fähigkeit, Allendes Sturz schnell herbeizuführen, stark eingeschränkt ist", schrieb er am 18. Oktober 1970 in einem internen Briefing:
"Es stellt sich daher die Frage, ob wir Maßnahmen ergreifen können - Druck ausüben, Schwächen ausnutzen, Hindernisse vergrößern -, die zumindest sein sicheres Scheitern erreichen oder ihn zwingen, seine Politik zu ändern, und die im besten Fall zu einer Situation führen können, durch die der Zusammenbruch seiner Regierung oder sein Sturz später eher möglich werden."
Es war Kissinger so wichtig, eine aggressive Linie durchsetzen, dass er Anfang November 1970 ein Treffen des Nationalen Sicherheitsrates um einen Tag verschieben ließ, damit er Nixon zuvor unter vier Augen im Oval Office von seiner Position überzeugen konnte.
"Henry Kissinger kam heute Morgen herein, um zu versuchen, ob wir die Sitzung des NSR auf Freitag verschieben könnten. Er hält dies für sehr wichtig, weil Chile auf der Agenda steht. Henry sagte, es sei unbedingt notwendig, dass sich der Präsident mit dem Thema vor dem Treffen befasst", heißt es in einem Memo von Nixons Terminchef an Stabschef H.R. Haldeman. Darin wird auch eine zentrale Motivation Kissingers deutlich: "Laut Henry könnte Chile 1972 die schlimmste Niederlage in unserer Regierung - 'unser Kuba' - werden.
"Für sein privates Treffen mit Nixon verfasste Kissinger ein umfassendes Memo, in dem er "die ernsthaften Bedrohungen unserer Interessen und unserer Position in der westlichen Welt" darlegte. Er trat darin ausdrücklich dem Ansatz der friedlichen Koexistenz entgegen, den das Außenministerium vertrat.
"Die Wahl von Allende zum Präsidenten Chiles stellt für uns eine der größten Herausforderungen dar, mit denen wir im Westen je konfrontiert waren", schrieb Kissinger gleich zu Beginn des Memos: "Ihre Entscheidung darüber, was Sie dagegen unternehmen wollen, ist vielleicht die historischste und schwierigste außenpolitische Entscheidung, die Sie in diesem Jahr zu treffen haben, denn was in den nächsten sechs bis zwölf Monaten in Chile geschieht, wird Auswirkungen haben, die weit über die Beziehungen zwischen den USA und Chile hinausgehen".
Am Ende setzte sich Nixon durch. Am 11. September 1973 putschte General Augusto Pinochet gegen Allende. Seine blutige Diktatur dauerte 17 Jahre an. er chilenische Staat hat 3.065 Tote anerkannt, andere Quellen sprechen von bis zu 40.000 Toten.