Wie Krieg, Sanktionen und Klimawandel den Hunger in der Welt schüren

Traktor auf dem Feld im Westen der Ukraine. Bild: Vian, CC BY-SA 4.0

Im Westen werden immer neue Strafmaßnahmen gegen Russland gefordert. Dabei sind die Gefahren absehbar, eine differenzierte Debatte steht aus

Russland hat nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass 25 Millionen Tonnen Getreideexporte für August bis Dezember 2022 angekündigt. Das ist einiges mehr als im vergangenen Jahr mit 23 Millionen Tonnen, aber weniger als in den Jahren davor, so der US-Finanzdienstleister S&P Global.

Zwischen Juni und Dezember 2022 sollen außerdem 22 Millionen Tonnen Dünger exportiert werden. Ägypten hat seine Weizenbestellungen in Russland schon aufgestockt, war in der Wochenzeitung Al Ahram zu lesen.

Wenn Russland nun also vom Westen fordert, dass er seine Sanktionen anpasst, die den Export russischer Düngemittel und Getreidelieferungen behindern, ist dies keine politische Forderung im engeren Sinn, wie ein Beitrag auf n-tv es auf Agenturbasis darzustellen versucht.

Vielmehr ist ein Export anderenfalls nicht möglich, weil "internationale Transportunternehmen sich weigern, die Häfen Russlands anzulaufen". Dafür haben sie gute Gründe.

Es braucht also ein klares Signal, dass Nahrungs- und Düngemittel aus russischer Produktion im völker- und handelsrechtlichen Verständnis westlicher Staaten rechtskonform sind, also keine extraterritorialen Strafaktionen nach sich ziehen und – rein technisch gesehen – auch bezahlt werden können.

Entsprechende Forderungen werden schon länger auch aus der Wissenschaft erhoben.

Währenddessen exportiert die Ukraine nach wie vor Getreide; wegen der von Kiew verminten ukrainischen Häfen jetzt vorwiegend über rumänische Schwarzmeerhäfen.

Verschiedene Quellen lassen auf insgesamt etwa 4,5 Mio. Tonnen im März, April und Mai schließen – ein durchaus bedeutender Anteil an den im Land noch vorhandenen mindestens 20 Millionen Tonnen Getreide (und Ölsaaten).

In diesem Zusammenhang ist es fragwürdig, ob es sinnvoll ist, so viel Nahrungsmittel aus der Ukraine herauszuholen. Denn wegen des Krieges steht zu befürchten, dass die Ernten in dort dieses Jahr schlechter ausfallen als in normalen Jahren.

Unklar ist zudem, was mit dem Getreide passiert, das die EU erreicht: Wird es tatsächlich an bedürftige Staaten weiterverkauft – und wenn ja, zu welchen Konditionen? Schließlich hat Europa der Ukraine jede Menge gutes Geld geliehen, das man wahrscheinlich nie zurückerhält. Außerdem wären Politik und Wirtschaft in Europa sicher froh, wenn sie etwas Druck aus dem Kessel nehmen könnten und die – auch weiterhin zu erwartenden – Preissteigerungen wenigstens bei Lebensmitteln etwas weniger bedrohlich ausfielen.

Zu allem Überfluss bestehen weitere westliche Sanktionen, die Hunger schaffen: So hat etwa die Sanktionierung der belarussischen Kali-Industrie seit Juni 2021 – schon lange vor Beginn des Ukraine-Krieges– die Preise für Kalidünger um etwa 50 Prozent steigen lassen.

Ob derartige Sanktionen noch völkerrechtskonform sind, ist durchaus umstritten. Als die EU selber von Sanktionen gegen den Iran betroffen war, hieß es:"Einige dieser Maßnahmen haben extraterritoriale Wirkung und beeinträchtigen die Interessen der Union" und der hier tätigen Wirtschaftssubjekte. Diese extraterritoriale Anwendung verstoße gegen das Völkerrecht.

Zudem ist die Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages schreibt dazu:

Die Verhältnismäßigkeit wird in der wissenschaftlichen Literatur verneint, wenn die Gegenmaßnahme den Unrechtsgehalt des sanktionierten Delikts weit übersteigt, zeitlich unbeschränkt ist und irreversible Folgen hat, so dass selbst bei Beendigung des sanktionsauslösenden Verhaltens eine Aufhebung der Sanktion die negativen Folgen der Sanktionieren nicht mehr beseitigen würde.

In dieser Analyse wird auch darauf hingewiesen, dass der UN-Menschenrechtsrat betont, dass:

… einseitige Zwangsmaßnahmen gegen das Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht, die VN-Charta und die Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen Staaten verstoßen und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Staates sowie die Durchsetzung der Menschenrechte beeinträchtigen. Alle Staaten werden aufgefordert, keine einseitigen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen und bereits bestehende Sanktionen rückgängig zu machen.

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte fordert indes:

Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte müssen bei der Ausarbeitung einer angemessenen Sanktionsregelung umfassend berücksichtigt werden.

Die Einlassungen der beiden letztgenannten Gremien sind allerdings nicht völkerrechtssetzend. Zudem muss betont werden, dass zumindest im deutschsprachigen Google-Machtbereich keine Publikation gefunden werden konnte, in der die Rechtmäßigkeit von Sanktionen überprüft wurden, die Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung Dritter verletzen.

Das Fazit muss also heißen: Düngemittel aus Russland und Weißrussland müssen weiter auf den Weltmarkt gelangen können. Russisches Getreide ist schlichtweg unverzichtbar, wenn die Sanktionen nicht zu schwersten Menschenrechtsverletzungen führen sollen, sprich zu Millionen Menschen, die hungern und verhungern.

Denn letztlich sehen die Erntemengen in anderen wichtigen Weizenexportländern aufgrund von Trockenheit nicht eben gut aus:

.. was aber schlechte Ernten wie in Pakistan, Iran oder Krisen wie in Syrien nicht ausgleichen kann.

In der Ukraine schließlich wird in diesem Jahr eine um 35 Prozent geringere Weizenernte erwartet – und ja, daran ist dann wirklich der Krieg schuld.

Dieser Beitrag erschien zuerst in ähnlicher Form im Blog epo-Mediawatch