Wie London vom Putsch in Bolivien profitieren wollte
Nach Sturz von Präsident Evo Morales suchte Johnson-Regierung enge Kontakte zu den Putschisten. Briten sahen Chancen für Entwicklung einer Schlüsselindustrie
Fast eineinhalb Jahre nach einem Staatsstreich in Bolivien und vier Monate nach der Niederlage des Putschregimes bei den ersten wieder frei stattfindenden Wahlen in dem südamerikanischen Land kommen weitere Details über die Rolle europäischer Staaten ans Tageslicht. Das südafrikanische Internetportal Daily Maverick berichtet nun über direkte Kontakte zwischen der britischen Regierung und dem De-facto-Regime unter der rechtsklerikalen Senatorin Jeanine Áñez, die das Land nach ihrer Selbsternennung zur Präsidentin fast ein Jahr lang beherrschte.
Der britischen Regierung von Premier Boris Johnson sei es offenbar darum gegangen, sich den Zugriff auf die massiven Vorkommen des Alkalimetalls Lithium in dem südamerikanischen Land zu sichern, schreibt Daily Maverick unter Bezugnahme auf britische Regierungsdokumente.
Der Journalist Matt Kennard dokumentiert in seinem Bericht eine Projektliste des britischen Außenamtes, nach der die Botschaft in Bolivien während der Herrschaft der Putschisten gezielt versucht hat, sich Zugriff auf die Lithiumvorkommen zu sichern. So zielte ein Vorhaben in den Jahren 2019 und 2020 darauf ab, "Boliviens Lithium-Förderung und -Produktion in den Salzseen Coipasa und Pastso Grandes mit britischer Technologie zu optimieren".
Für Lobbyarbeit der Botschaft seien mehrere tausend Pfund vorgesehen gewesen. Zudem habe die Botschaft in La Paz im März vergangenen Jahres, also Monate nach dem Staatsstreich, mit dem bolivianischen Bergbauministerium eine internationale Tagung mit mehr als 300 Branchenvertretern organisiert.
London habe das versucht, "eine auf Satellitendaten basierende Anwendung zu entwerfen und zu implementieren, um die Ausbeutung der Lithiumquellen in Bolivien zu optimieren", zitiert Kennard bei Daily Maverick aus Regierungsdokumenten. Damit habe man ein in Oxford ansässiges Unternehmen in eine günstige Position bringen wollen, so Kennnard.
Die Bedeutung von Lithium und die europäische Menschenrechtspolitik
Der linksgerichtete Präsident Evo Morales war am 10. November vergangenen Jahres aufgrund eines Konfliktes über den Ausgang der damaligen Präsidentschaftswahl ins Exil gezwungen worden. Die Vorwürfe gegen den indigenen Politiker sind bis heute ebenso umstritten wie die Selbsternennung der rechtsklerikalen Senatorin Áñez zur Präsidentin. Nach heftigen Konflikten wurde das Putschregimes ein Jahr nach dem Umsturz bei freien Wahlen aus dem Amt gedrängt und die Linkspartei Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, Mas) des weggeputschten Präsidenten Morales wieder in die Regierung gewählt.
Die Mas errang in den Wahlkreisen, in denen Morales ein Jahr zuvor angeblich einen Wahlbetrug organisieren ließ, teilweise sogar noch mehr Stimmen. Die Rückkehr der Linkspartei an die Regierung war damit nicht nur eine Blamage für die Putschisten, sondern auch für ihre internationalen Unterstützer, allen voran die USA unter Donald Trump und die US-nahe Organisation Amerikanischer Staaten.
Die Recherchen von Daily Maverick belegen nun, wie europäische Staaten versucht haben, von dem Putsch zu profitieren. Menschenrechte spielten dabei keine Rolle: Die Briten bahnten die Wirtschaftskontakte mit dem Regime in La Paz an, nachdem Militärs im November 2019 in den Orten Sacaba und Senkata Dutzende Putschgegner ermordete und die Führung ihnen Immunität gewährte.
Die hohe Akzeptanz der britischen Regierung, aber auch der deutschen Bundesregierung, die sich mit Kritik auffallend zurückhielt, ist einfach zu erklären: Lithium ist ein wichtiges Element für Akkus, vor allem in Elektroautos. Großbritannien hat die Produktion entsprechender Batterien zu einer Säule seiner industriellen Entwicklungsstrategie erklärt.
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