Wie Noam Chomsky Opfer eines Fake-News-Angriffs wurde

Seite 2: Es sind Fake News, aber es sind unsere Fake News

Auf diesen Widerspruch hatte ich bereits kurz nach Erscheinen des Berichts im New Statesman hingewiesen:

Die kontroverseste Einschätzung, die der New Statesman dann auch in die Überschrift hob, traf Chomsky auf eine Frage des Journalisten Ido Vock hin, von dem auch die Wortwahl stammt.

Zu diesem Schluss kommt auch der französisch-libanesische Politologe und Soziologe Gilbert Achcar. Der Interviewer habe Chomsky die umstrittenen Äußerungen "buchstäblich in den Mund gelegt", kritisierte er: "Chomskys Absicht war eindeutig, die Grausamkeit der US-Bombardierung des Irak hervorzuheben und nicht die Brutalität der russischen Bombardierung der Ukraine zu verharmlosen."

Dass die Phrase vom "humaneren" Krieg auch noch in den Titel gehoben wurde, als handle es sich um ein Zitat Chomskys, "ist schlicht unredlich", so Achcar.

Der Fall des New Statesman zeigt vor allem, wie sehr eine sensationslüsterne und ideologische Berichterstattung journalistische Standards untergräbt. Auch bei uns im Westen. Auch in der sogenannten Qualitätspresse. Und wie die politische Polarisierung Fake News begünstigt, wenn sie der vermeintlich richtigen Sache dienen.

Denn außer Achcar und einigen Bloggern hat kaum jemand den Fake-Bericht des New Statesman in Frage gestellt. In der englischsprachigen Wikipedia tauchen die beiden gefälschten Zitate allerdings als Chomskys "Ansichten über Russland" auf. Sie dürften sich also weiter verbreiten. Und schon ist die Parallelwirklichkeit perfekt.

Dass der Vorgang nicht kritischer kommentiert wird, ist ein Problem. Wenn Kritiker der Nato-Ukraine-Politik schon damit rechnen müssen, unwidersprochen Opfer prowestlicher Fake-News-Attacken zu werden, dann hat die politisch-mediale Auseinandersetzung einen neuen, gefährlichen Tiefpunkt erreicht.

Dabei hat die Polarisierung schon jetzt Opfer gefordert. Der deutsche Brigadegeneral a.D. Erich Vad etwa möchte sich nach massiven Angriffen auf seine Person nicht mehr befragen lassen. Er habe sich nie den Mund verbieten lassen, sagte er der Neuen Zürcher Zeitung Mitte März: "Doch ich sehe keinen Sinn mehr, mir diesen Hass, diese Häme anzutun. Das ist mein letztes Interview. Es ist vorbei."

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.