Wie der Staat Ökoterrorismus befördern könnte

Seite 3: Gewünschte Radikalisierung?

Und: Wenn tatsächlich der Versuch, die Letzte Generation als kriminelle oder sogar terroristische Organisation einzustufen und deren Mitglieder und Unterstützer in schwerster Form zu kriminalisieren, sich durchsetzen würde, würde nicht möglicherweise ein Teil der Mitglieder – in dieser Weise kriminalisiert – in den Untergrund gehen und beginnen tatsächlich umweltterroristische Handlungen zu begehen?

In diesem Fall hätte der Staat durch ein strafrechtliches Überreagieren sich seine eigene ökoterroristische Organisation geschaffen. In diesem Sinne formuliert Quent:

Soziale Bewegungen radikalisieren sich häufig, wenn sie sich isoliert und in den Untergrund gedrängt fühlen. Razzien dieser Art können dazu führen, dass künftig klandestine Aktionen durchgeführt werden. Es ist gut möglich, dass die Kriminalisierung innerhalb der Klimabewegung zu Radikalisierung führen kann und dass diese auch im Interesse ihrer politischen Gegner ist.

Hier könnte somit von interessierten Kreisen versucht werden, ein Exempel zu statuieren, das dann auch für Klima-Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion einschüchternd wirken soll.

Hierbei sollte man bedenken, dass eine derartige Wirkung durchaus bereits eintreten kann, wenn man bedenkt, dass beispielsweise in Bayern eine Teilnahme an Klebeaktionen bereits zu 30 Tagen Präventivgewahrsam im Gefängnis führen kann, bevor eine ordentliche Anklageerhebung oder gar ein ordentlicher Prozess stattfindet.

Auch der Rechtswissenschaftler Robin Mayer hält die staatlichen Maßnahmen und den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung für völlig überzogen und sie würden vor allem verfassungsrechtlichen Urteilen widersprechen:

Das Bundesverfassungsgericht hat Blockadeaktionen als zulässige Demonstrationsform und von der Versammlungsfreiheit geschütztes Verhalten bestätigt. Und zwar selbst dann, wenn die Blockade beabsichtigt und nicht nur Nebenfolge ist. Es steht dem Staat nicht zu, von diesem geschützten Verhalten durch Repressionen abzuschrecken, indem er sie als Zweck zur Begehung von Straftaten wertet.

Die Wahrnehmung eines Grundrechts kann nicht gleichzeitig einen Straftatbestand verwirklichen. Nach wie vor zeigt sich, dass das Strafrecht als Antwort auf zivilen Ungehorsam völlig ungeeignet ist.

Hier gerät der Staat in den begründeten Verdacht sich selbst zu delegitimieren, wenn er rechtsstaatlich widersprüchlich und unangemessen hart reagiert und der Letzten Generation die Bildung einer kriminellen Organisation vorwirft sowie Mitglieder nachts mit vorgehaltenen Waffen aus ihren Betten holt. Dieses überharte Reagieren ist vielleicht politisch opportun und bringt Wählerstimmen. Aber die politischen Schäden sind groß, ohne dass dies im Kontext einer politischen Ordnung mit einem demokratischen Anspruch notwendig wäre.

Wäre es daher nicht so viel richtiger – anstatt zivilgesellschaftlichen Klimaprotest zu kriminalisieren –, in vernünftiger Reaktion auf die Proteste und das Anliegen der Letzten Generation zu reagieren und mit ihren Mitgliedern und Sprechern wiederholt und auch auf Augenhöhe zu sprechen und gemeinsame Wege aus der eintretenden Klimakatastrophe zu suchen?

Die jungen Menschen, die sich dort zivilgesellschaftlich organisieren und engagieren, sind gesprächsbereit und haben konkrete ökologische Forderungen. Sie fordern z.B. im direktdemokratischen Sinne in einem offenen Brief an den deutschen Bundeskanzler einen – zufällig gelosten – Gesellschaftsrat, der über geeignete Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe und die Umweltzerstörung berät.

Dann würden sie ihren Protest beenden. Auch fordern sie entschiedenere Maßnahmen zur Reduktion von Klimagasen und zur Verkehrswende, wie z.B. ein Tempolimit oder ein 9-Euro-Ticket für die Bahn. Ein paar Milliarden weniger für die Anschaffung von Waffen könnten dies sicherlich finanzieren.

Auf ihrer inzwischen wieder freigeschalteten Homepage schreibt die Letzte Generation selbst:

Die Regierung hat sich in den Koalitionsvertrag geschrieben: "Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren." Wir nehmen sie beim Wort, denn Vorbilder aus Frankreich, Irland, Belgien zeigen, dass das Format Menschen in ihrer Anstrengung vereint und konstruktive Ansätze hervorbringt.

Wir fordern die Bundesregierung auf, einen Gesellschaftsrat einzusetzen und seine Beschlüsse umzusetzen. Wir fordern, dass wir, die 99 Prozent, endlich mitentscheiden dürfen über den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.

Denn es hat sich gezeigt: immer da, wo Bürger:innen informiert über ihr Schicksal mitentscheiden dürfen, wartet eine bessere, sicherere, gerechtere Welt auf uns.

Vielleicht hört man daher ihnen einmal zu und korrigiert ggf. dann auch staatliches, ökonomisches und auch individuelles Verhalten, das die Biosphäre dieses Planeten und die Lebensbedingungen der nächsten Generationen zerstört.

Immerhin waren in einer 2022 durchgeführten repräsentativen Umfrage von Infratest dimap 82 Prozent der deutschen Bevölkerung der Auffassung, dass es einen großen oder sogar sehr großen Handlungsbedarf hinsichtlich des Klimaschutzes gäbe. Nur 4 Prozent waren der Auffassung, dass die bisherigen Klimaschutzaktivitäten verändert werden müssten.

Bedenkenswert ist auch die Forderung nach dem Schutz von Klimaaktivisten im Anschluss an die Razzien bei der Letzten Generation von Seiten der UN. Antonio Gutèrres ließ seinen Sprecher ausrichten, Klimaschützer müssten sich einerseits an staatliche Gesetze halten, andererseits seien sie aber auch zu schützen – so der Sprecher des UN-Generalsekretärs:

Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiterverfolgt. Sie müssen geschützt werden und wir brauchen sie jetzt mehr denn je.

Die Soziologie-Professorin Gesa Lindemann ordnet die Aktivitäten der Letzten Generation oder von Ende Gelände als den legitimen Versuch junger Menschen ein, für ihre Zukunft gegen ökologische Gewalt, die strukturell verankert sei, zu kämpfen. Es handele sich bei den massiven Verfolgungen der Letzten Generation um eine völlig überzogene staatliche Reaktion, die gegen das die ökologische Arbeitsverweigerung der Bundesregierung anprangerte BVerG-Urteil stehe und somit eine Täter-Opfer-Verkehrung darstelle2:

Die Aktionen von Letzte Generation oder Ende Gelände tun nichts anderes, als die deutsche Politik daran zu erinnern, dass das BVerfG sie dazu verpflichtet, der ökologischen Gewalt nach innen und in der internationalen Politik entgegenzutreten. Diese Aktivist:innen kämpfen nicht nur für den Schutz des Klimas, sondern faktisch auch für den Schutz der Verfassung. Nur, wenn die ökologische Gewalt wirksam bekämpft wird, lässt sich die moderne verfassungsbasierte Ordnung des Vertrauens in Gewaltlosigkeit erhalten.

Sie fordert dementsprechend den zivilgesellschaftlichen Widerstand innerhalb des Nationalstaats gegen derartige Täter-Opfer-Verkehrungen und illegitime staatliche Übergriffe und den damit verbundenen Versuch, diesen auch international gegen alle Formen ökologischer Gewalt zu mobilisieren, ein.

Prof. Dr. habil. Klaus Moegling i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe.
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