Wie die Fracking-Industrie entstand
Seite 2: Die Fracking-Strategie
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In der Folge des Irak-Kriegs sank nicht nur die dortige Ölförderung. Alle Prognosen gingen davon aus, dass die konventionelle Förderung in den USA dramatisch zurückgehen wird. Gegenüber dem Vorjahr erhöhten sich die internationalen Preise für Rohöl im Jahr 2004 erstmalig um 10 Dollar auf etwa 43 Dollar - eine Steigerung, die in den kommenden 10 Jahren anhalten sollte. Im März veröffentlichte der Deputy Assistant Secretary for Petroleum Reserves eine erste umfangreiche Studie zu America’s Oil Shale Resource.
Mit Blick auf den Nachbarn Kanada, wo die Ausbeutung von Teersanden bereits ein Niveau von etwa 1 Million Barrel Rohöl pro Tag erreicht hatte, empfahlen die Autoren, die kommerzielle Nutzung der US-Schieferölvorkommen vorzubereiten. Zu diesem Zeitpunkt wurden die bekannten Reserven mit über 2 Billionen Barrel angegeben, die sich im Wesentlichen in der Naval Petroleum and Oil Shale Reserves befanden. Zusammen mit den kanadischen Ölsanden liegen die unkonventionellen Ölvorkommen in Nordamerika demnach zu 40 Prozent über den für die gesamte Welt prognostizierten konventionellen Vorkommen.
Mit einer zwischen Industrie und Regierung koordinierten Kampagne ist es möglich, dass bis zum Jahr 2011 eine Ölschieferindustrie entsteht, die als aggressives Ziel eine Tagesproduktion von 2 Millionen Barrel hat und letztlich, im Jahr 2020, fähig sein könnte, 10 Millionen Barrel am Tag zu fördern. Damit würde sie eine vergleichbare Kapazität aufweisen, wie die langfristigen Prognosen für die Alberta-Teersande vorhersagen.
Das Ziel einer solchen Initiative sahen die Autoren nicht vordergründig darin, den nordamerikanischen Energiebedarf zu decken. Stattdessen gingen sie davon aus, dass ein zusätzliches Rohölangebot im skizzierten Umfang den weltweiten Preis für Rohöl drücken könnte.
Zudem würden reduzierte Importe und ein sinkender Preis für Rohöl einen starken positiven Effekt auf das amerikanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie die Handelsbilanz haben. Außerdem könnte eine Schieferöl-Industrie auch dazu beitragen, dass die Förderung von Erdgas wieder steigt.
Und die Autoren dachten von Anfang daran, mit dieser Initiative auch einen entsprechenden Technologievorsprung für die US-Wirtschaft zu erreichen:
Rund 26 andere Länder weisen kommerziell nutzbare Mengen von Ölschiefer auf. Die in den USA entwickelte Technologie könnte dort angewandt werden. Die neue Technologie kann die Grundlage für neue Geschäfts-möglichkeiten sein.
Die inzwischen berüchtigten technischen Methoden, Horizontal Drilling und Hydraulic Fracturing, könnten zusammen mit neuen geologische Analyseverfahren, dem In-Situ Processing, das von der Firma Shell entwickelt wurde, beim aktuellen Preisniveau eine rentable Förderung erreichen. Die Studie verortet das größte Hindernis für die zu entwickelnde neue Industrie im Bereich der Finanzierung. Um der Energieindustrie den Anfang zu erleichtern, empfehlen die Autoren Steuernachlässe, Hilfen bei der Landvergabe und beim Aufbau der nötigen Infrastrukturen sowie dem Zugang zu Wasser.
Kurz darauf stellte das Department of Energy eine konkrete Roadmap vor, mit deren Hilfe innerhalb von 12 Monaten ein konkreter Einstieg in die Fracking-Industrie erreicht werden sollte.
Die Bundesregierung in Washington wollte so schnell wie möglich etwaige rechtliche und administrative Hürden für potentielle Investoren abbauen. Alle Institutionen wurden angehalten, Genehmigungen und Umweltbewertungen zügig zu erstellen. Mit öffentlichen Mitteln sollte die Forschung und Entwicklung der neuen Fördertechniken unterstützt werden.
Das Anlagerisiko reduzieren
Außerdem sollten wirtschaftliche und steuerliche Anreize gesetzt und die Unternehmen mit der notwendigen Infrastruktur unterstützt werden. Das Department of Energy (DOE) ging davon aus, dass fast 80 Prozent der gesamten Ölschiefer-Ressourcen von Bundes- und Landesbehörden verwaltet werden. Der 1920 Mineral Leasing Act begrenzte die Anzahl und den Umfang der an private Firmen zu vergebenen Lizenzen und sollte entsprechend überarbeitet werden. Außerdem wurden die Bundesstaaten aufgefordert, Lösungen für den extrem hohen Wasserbedarf der Fracking-Industrie zu finden.
Da die Ölschieferproduktion außerordentlich hohe Front-End-Investitions- und Betriebskosten aufweist, sowie lange Vorlaufzeiten zwischen Investitionen und operativen Erträgen bestehen, sollten politische Maßnahmen entwickelt werden, um das "Anlagerisiko zu reduzieren". Dafür müsse eine enge Kommunikation zwischen Politik, Industrie und Investment Community entwickelt werden. Um all das mit hunderten beteiligten Behörden und Verwaltungsgliederungen zu erreichen, setzte das DOE eine Federal Oil Shale Task Force ein, für die das Papier gleich einen 12-monatigen Projektplan bereit stellte, der das gesamte Jahr 2005 umfasste.
Im August 2005 unterzeichnete Präsident George W. Bush den Energy Policy Act of 2005, der sich laut Titel mit "unkonventionellen" Ölreserven wie Schieferöl und Teersänden befasste. Tatsächlich handelte es sich um ein Ermächtigungsgesetz, dass der gesamten Energieindustrie, also auch den Betreibern von Atomkraftwerken und der Kohleindustrie, bestehende Auflagen aus dem Weg räumte. Die Öl- und Gasindustrie wurde von Wasserschutzgesetzen, Schadstoff-Richtlinien für Ölquellen und Genehmigungsverfahren für Infrastrukturen auf öffentlichem Grund und Boden befreit.
Außerdem sollten Energieunternehmen mit einem Gesetz für wirtschaftliche Krisenzeiten gegen wirtschaftliche Ausfälle abgesichert werden. Sämtliche Bereiche von Big Energy wurden zudem mit erheblichen Steuererleichterungen bedacht - insgesamt 15,5 Milliarden Dollar pro Jahr. Umweltauflagen wurden gesenkt und bisher umstrittene Bereiche wie Bohrungen in tiefen Meeresgewässern erlaubt.
Selbst die Washington Post sprach von einer "breit angelegten Sammlung von Subventionen für die amerikanischen Energieunternehmen". Laut ihren Berechnungen summierten sich darin gewährte Subventionen und Steuerentlastungen auf insgesamt 85 Milliarden Dollar.
Teil 2: Wirtschaftsplanung "on the run": Wie das Fracking-Wunder loslegte
Der Text basiert auf einer Recherche im Rahmen der Studie "Globale Umordnung. Geopolitische und geoökonomische Veränderungen im Umfeld der EU", die in der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen ist.