Wie rechts darf eine Wagenknecht-Partei sein?

Sahra Wagenknecht auf einem Parteitag ihrer Noch-Partei Die Linke. Foto: Ferran Cornellà / CC-BY-SA-4.0

Die Auseinandersetzung hat schon lange vor der möglichen Gründung begonnen. Nicht nur die eigentliche Zielgruppe würde sie begrüßen. Über Interessen, Motive und Risiken.

Manchmal entsteht der Eindruck, die Medien sprechen nur noch über zwei Parteien: die real existierende AfD im Umfragehoch – und eine noch gar nicht existierende Partei. Weil sie noch nicht gegründet wurde, hat sie natürlich auch noch keinen Namen. Daher gibt es die skurrilsten Wortkaskaden. Wird mit dem Behelfsnamen Wagenknecht-Partei zumindest noch die Person benannt, ohne die diese neue Partei kein Thema wäre.

Absurd wird es dann, wenn Arno Orzessek im Deutschlandfunk schon mal gegen die noch nicht existierende Partei austeilt. Gründe für Kritik und Ablehnung gibt es genug. Aber wenn Orzessek fabuliert, Wagenknecht spanne ganz Deutschland auf die Folter und wolle kurz vor Weihnachten die Partei-Neugründung verkünden, dann kann man dem Autor eine blühende Fantasie, aber wenig Hintergrundwissen in der Sache attestieren.

Es geht auch um Geld

Es gibt schon längst fundiertere Analysen, über die Gründe, warum sich der Abnabelungsprozess von der Partei Die Linke in die Länge zieht. Da geht es auch um die Wahlkampfkostenrückerstattung, bei der es einen Unterschied macht, in welchem Jahr die Partei gegründet wird, wie Pascal Beucker in der taz gut herausgearbeitet hat.

Nun haben zwar alle Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen, die mindestens 0,5 Prozent der Stimmen erhalten, einen Anspruch auf staatliche Finanzmittel. Aber nur bis zur Höhe der von ihnen selbst erwirtschafteten Einnahmen, was vor allem Mitglieds- und Mandatsträgerbeiträge sowie Spenden meint. Entscheidend dafür sind die Zahlen aus dem Vorjahr – außer bei Parteien oder Listen, die erst im Wahljahr neu gegründet werden.

Was bürokratisch klingt, kann handfeste Auswirkungen haben: Würde sich eine Wagenknecht-Partei noch im Herbst oder Winter dieses Jahres gründen, dürfte das dazu führen, dass sie einen Großteil der zu erwartenden Wahlkampfkostenrückerstattung nicht wird kassieren können, weil die Zeit für ausreichende Eigeneinnahmen zu kurz wäre. Warnendes Beispiel ist das "Team Todenhöfer", das auf einige Staatsknete verzichten musste, weil es sich nicht erst im Wahljahr 2021, sondern schon im November 2020 gegründet hatte.


Pascal Beucker, taz

Da hätte man sich schon gewünscht, dass ein Kommentar des Deutschlandfunk sich mit solchen Details befasst, bevor er von irgendwelchen Weihnachtsüberraschungen fabuliert.

Volks- oder Linkspartei?

Neben der Frage der Finanzierung gibt es weitere organisatorische und politische Probleme, die sich schon bei der Bewegung "Aufstehen" schnell bemerkbar machten. Gegründet sind solche Organisationen schnell, eine Kontinuität herzustellen ist viel schwerer. Zumal es bei der Etablierung einer Partei auch um den Aufbau in der Fläche in allen Bundesländern geht.

Nun ist es klar, dass vor allem in den östlichen Bundesländern genügend Personal vorhanden wäre, das in die Partei strömen würde. Doch dann stellt sich schnell die Frage, wo die Trennlinie nach rechts gezogen werden soll. Schließlich ist es eine Tatsache, dass in rechten Medien wie Compact und vielen anderen seit Monaten Wagenknecht gehypt wird.

Mag sie auch gelegentlich diesen Avancen von Rechtsaußen leicht widersprechen, so hat Wagenknecht einen klaren Trennungsstrich zu diesem Lager vermieden, weil sie weiß, dass sie dieses Milieu nicht vergraulen will, weil es sonst nichts mit möglichen Wahlerfolgen wird. Mit ihrem ständigen Liebäugeln mit sprichwörtlich deutschen Tugenden wie Fleiß und Arbeitsamkeit zieht Wagenknecht auch immer wieder dieses Milieu an.

Aber natürlich soll zumindest beim Personal und bei möglichen Bewerbern für Mandate nicht der Eindruck entstehen, hier werde eine Art "AfD light" aufgebaut. Schließlich gibt es da ja noch den Gewerkschaftsflügel um Klaus Ernst und Co., die auch nicht verprellt werden dürfen. Diese Gratwanderung wird im Milieu um Wagenknecht unter der Fragestellung diskutiert, ob die neue Partei eine Volks- oder eine Linkspartei werden soll.

In eine Volkspartei könnten dann wohl alle eintreten, die ehrlichen Herzens für den Sozialkonservatismus eintreten, so wie Wagenknecht schon bei der Großdemonstration für den Frieden am 25. Februar 2023 dazu aufrief, dass alle Menschen ehrlichen Herzens teilnehmen sollten.

Keine linke Sammlungsbewegung

Nun kann man darüber streiten, wie man eine solche Partei nennen soll. Eine linke Sammlungsbewegung nach dem Vorbild der französischen Linkspartei La France Insoumise wird sie auf jeden Fall nicht. Daher irrt der taz-Redakteur Jan Feddersen, wenn er schreibt:

Wagenknecht ist quasi, auf Frankreich übertragen, nicht der Front National von Marine Le Pen, sondern La France Insoumise von Jean-Luc Mélanchon – eine linke Populistin, die das bürgerlich-liberale System hasst, weil es immer nur die ohnehin Arrivierten, bis in die woken Mittelschichten, schützt und den Proletinnen* kaum Luft zum Atmen lässt.


Jan Feddersen, taz

Diese Fehleinschätzung rührt wohl auch daher, dass der der taz sehr verbundene Alt-Grüne Daniel Cohn-Bendit seit Jahren La France Insoumise als antieuropäische und populistische Bewegung schmäht. Da wird unterschlagen, dass die kritisierte Partei am konsequentesten für den Ausstieg aus der Atomkraft eintritt und sich damit in Frankreich auch in Teilen der Linken, vor allem bei der Kommunistischen Partei, keine Freunde machte.

Die Kommunistische Partei Frankreichs hat auch La France Insoumise heftig angegriffen, weil deren Führungsfiguren die französische Polizei mehrmals des Rassismus geziehen hatten. Die Kommunisten hingegen stellen sich als "Kollegen" im gewerkschaftlichen Sinne vor die Polizei – und wären dann wohl gute Bündnispartner für Wagenknechts Sozialkonservative.

La France Insoumise setzt sich immer wieder für die Rechte von Geflüchteten ein, aber auch für Menschen mit Migrationshintergrund, die schon seit Jahren in Frankreich leben und trotzdem keine gleichen Rechte haben. Wenn Feddersen mit diesem Vergleich auch irrt, so ist die Begründung bemerkenswert, mit der er für eine schnelle Gründung der Wagenknecht-Partei eintritt. Er sieht in der Partei die einzige Möglichkeit, den Erfolgskurs der AfD zu stoppen.

Der verfassungspatriotische Clou an diesem Projekt der Abspaltung von der Linkspartei wäre, dass er unbedingt zu begrüßen ist, weil er der AfD wesentlich im Osten der Republik das Wasser abgraben kann.


Jan Feddersen, taz

Feddersen ist da nicht der einzige Linksliberale, der plötzlich für die noch nicht gegründete Partei Sympathien zeigt, in der Hoffnung, damit die AfD zu bremsen. Es gibt aber auch Warnungen anderer Linker, die darauf hinweisen, dass eine neue sozialkonservative Partei eher ein Ausdruck des Rechtsrucks wäre.

Schließlich gäbe es dann noch eine weitere Partei, die den Anspruch vertritt, Politik vor allem für die "deutsche Normalbevölkerung" zu machen, also möglichst die Migration begrenzen und auch für die Lohnabhängigen höchstens das Versprechen übrig hat, dass sie weiter Rente bekommen, wenn sie nur fleißig arbeiten.

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