Wilders beschwört Deutschlands "Neue Wende"
Ein niederländischer Politiker und Islamfeind als Zugpferd für Pegida? Funktioniert hat der Trick nur bedingt
PR- und Mobilisierungscoup gelungen? Einereits: Ja. Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) und deren Mastermind Lutz Bachmann erreichten in den letzten Tagen medial wieder immense Reichweite - auch wenn Bachmann am Montag sagte, ihn interessiere solcher "Blödsinn" einen "lauen Furz". Andererseits: Nein. Zwar verbuchte man dank des Besuches von Geert Wilders wieder Zulauf, aber die erwarteten 30.000 Teilnehmer waren es dann doch nicht, die dem dynamisch wirkenden Popstar der oftmals doch so plump und hasserfüllt wirkenden islamfeindlichen Szene zujubelten.
Wilders, Gründer und Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit (PVV), wurde zu seinem Auftritt eigens eingeflogen. Der niederländische Politiker, der in seiner Heimat zuletzt mehr und mehr isoliert dastand, führt seit Jahren einen Kampf gegen den Islam. Den Koran verglich er einst mit Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf". In seinem Propaganda-Video "Fitna" ("Prüfung") stellte er den Islam als Quelle des Terrorismus dar. Seit dem Mord an dem islamkritischen Filmregisseur Theo van Gogh 2004 lebt Wilders unter ständigem Polizeischutz und kann sich nicht frei bewegen.
Am Montag in Dresden wirkte Wilders demgegenüber in seiner in Deutsch mit niederländischem Akzent gehaltenen Rede fast schon soft. Dessen ungeachtet dürfte er mit seinem Appell, dass es die "Pflicht" eines jeden sei, im Kampf gegen den Islam auch die "Verteidigung […] der jüdisch-christlichen Werte" zu leisten, so manchen Teilnehmer ideologisch eher überfordert haben. Gut 26 Minuten dauerte die Rede vor den rund 10.000 "Pegida"-Anhängern, unterbrochen von "Wir sind das Volk!"-, "Merkel muss weg!"- und "Volksverräter!"-Rufen. Wilders lobte dabei das Ende der DDR und die Wende 1989, indes benötige man im Kampf gegen die Islamisierung und den "totalitären Islam" eine "Neue Wende". "Nichts und niemand wird uns aufhalten", sagte Wilders.
Überdies hege man keinen Hass auf Muslime - auch eine Aussage, die einen Teil des Publikums überfordert haben dürfte. Neben Politikerschelte und Passagen gegen Asylbewerber und Zuwanderer befand der Niederländer, dass man "unser Zuhause […] verteidigen" müsse. Muslime forderte er dazu auf: "Verlasst den Islam, wählt die Freiheit!" Israel sei ein "Leuchtfeuer der Freiheit, umgeben von islamischer Dunkelheit". Als hätte es in Europa nie Judenhass und in Deutschland keinen Holocaust gegeben, forderte Wilders sein Publikum auf, weiter "stolz auf Deutschland" zu sein und das "Erbe" sowie die "Leitkultur" zu bewahren, denn Deutschland sei "das Rückgrat Europas". Für die FAZ war es eine "Rede an einen politischen Kadaver".
Nachdem Bachmann zuerst noch dementiert hatte, dass Wilders in Dresden auftreten werde, gab "Pegida" Mitte März dann doch bekannt, dass der niederländische Islamfeind an die Elbe kommen soll (Wilders predigt bei Pegida). Beobachter werteten dies als einen weiteren Rechtsruck der islam- und asylfeindlichen Bewegung - immerhin war Wilders bald darauf auch Gast bei einer Veranstaltung der rechtspopulistischen FPÖ in der Wiener Hofburg und hatte schon Mitte 2014 versucht, mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien eine Fraktion im EU-Parlament zu schmieden.
Pegida rutscht weiter nach rechts
Wilders Einladung nach Dresden in die Flutrinne - einem zuweilen auch für Großkonzerte bekannter Musiker und Bands genutztes Gelände, auf dem "Pegida" am Montag laut Polizei das Hausrecht ausübte - wurde zudem als Versuch gewertet, nach einem Rückgang beziehungsweise der Stagnation von Demonstrationsteilnehmern die "Pegida"-Bewegung vor einem Fall in die Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Ob bei einem solchen Ansinnen auch Aufrufe zur Unterstützung von "Pegida" wie jener von der verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck hilfreich waren, dürfte sehr fraglich sein.
Als weiterer PR-Coup galt an Ostermontag die Bekanntgabe der ehemaligen Hamburger AfD-Politikerin und Verfechterin der "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa), Tatjana Festerling, als Bürgermeisterkandidatin. Doch was in Dresden als Zückerchen für die Medien gedacht war, entpuppte sich in Nordrhein-Westfalen als Dämpfer. Nachdem es in dem Bundesland in der Vergangenheit nach Flügelkämpfen schon unterschiedlich radikale "Pegida"-Ableger gab, trat Marco Carta-Probach, der bis dahin als Chef des offiziellen "Pegida-NRW"-Ablegers fungierte, am Dienstag nach Ostern zurück.
Carta-Probach, der Wochen zuvor in Wuppertal Probleme mit Neonazis und HoGeSa-Aktivisten hatte (Treffen der Selbstüberschätzer), begründete seinen Rückzug mit dem Radikalismus von Festerling und den aktuellen oder geplanten Kooperationen von "Pegida" mit Politikern und Vertretern vom extrem rechten Rand. Der offizielle NRW-Arm von "Pegida" war somit anderthalb Wochen über ohne Führungsfigur, der selbst in Dresden als zu radikal geltende rheinische "Dügida"-Ableger mutiert derweil zu einer Realsatire der manchmal extrem peinlich auftretenden Selbstdarstellerin Melanie Dittmer. Die "Wir sind das Volk!"-Rufer sind sich also mal wieder uneinig, bisweilen spinnefeind oder manchmal auch nur mediengeil und selbstverliebt.
In Dresden wurde zugleich bekannt, dass mutmaßlich "Pegida"-Anhänger ausgerechnet an Ostermontag das christliche Abendland zu verteidigen versuchten, indem sie offenbar wegen des Glockengeläuts der Kreuzkirche Christen dieser Gemeinde massiv bedroht haben sollen. Die ehemalige "Pegida"-Frontfrau und Bachmann-Mitstreiterin Kathrin Oertel kritisierte denn auch, dass "Pegida" immer weiter nach Rechts gerückt sei und Extremisten eine Plattform geboten habe.
Tatsächlich ist die von Lutz Bachmann, einem wegen Drogen- und Eigentumsdelikten vorbestraften Werbeunternehmer gegründete Bewegung in den vergangenen Wochen deutlich weiter nach rechts gerückt. Immer wieder wurden bei Kundgebungen von Rednern islam- oder ausländerfeindliche Thesen vertreten oder Politiker als "Volksverräter" bezeichnet. Zugleich kamen durch die "Pegida"-Aufmärsche und die Gegenproteste seit Oktober 80.000 Polizei-Einsatzstunden und Millionenkosten zusammen. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich warnte derweil einen Tag vor der großen Bachmann-Wilders-Show vor ausländerfeindlichen Entgleisungen. "Fremdenfeindliche oder rassistische Ausfälle durch Redner werden wir nicht dulden und konsequent gegen die Veranstalter vorgehen", sagte der CDU-Politiker.
Schon Stunden vor Beginn des Wilders-Events demonstrierten am Montag Gruppierungen und Parteien dagegen mit verschiedenen Aktionen, Protestzügen, einem Sternlauf, einem Friedensgebet in der Kreuzkirche und Blockaden. Insgesamt sollen laut Polizei im Verlauf des Tages rund 3.000 Menschen gegen den 23. Aufmarsch von "Pegida" und den Wilders-Besuch in Dresden demonstriert haben. Dabei kam es zwar vereinzelt zu Rangeleien, von der durch Bachmann von der Bühne herab verkündeten Straßenschlacht zwischen 1.000 Gegendemonstranten und der Polizei wusste jedoch weder letztgenannte, noch die "Lügenpresse" etwas.
OB-Kandidatin Festerling durfte immerhin am Montag vor den rund 10.000 Menschen wieder eine ihrer eher mau wirkenden Wahlkampfreden halten - unterbrochen von "Volksverräter!"-Rufen keilte sie zuweilen schnippisch gegen die Kandidaten anderer Parteien und dem "Gemauschel" im Rathaus von Dresden.
Erneut durfte auch der Publizist und Protagonist der Neuen Rechten Götz Kubitschek zum Volke sprechen. Kritiker nennen ihn einen "Salonfaschisten" oder "Deutschlands erfolgreichsten Rechtsintellektuellen". Er selbst witterte am Montag die "politische Morgenröte" und eine Zeit für eine "fruchtbare Unruhe". Die "Pegida"-Anhänger nannte Kubitschek den "mutigen Kern dieses Volkes", darüber hinaus gehe es um nicht weniger als "um unser Vaterland".