"Wir sind das Volk"
Die Party der rassistischen Parallelgesellschaft, auf der auch das Fehlen von KZs bedauert wird
Man muss wohl ein Jahr Pegida ertragen haben, um zu verstehen, wie gering die Hoffnungen vieler Dresdner Aktivisten, Bürger und Politiker vor diesem Montagabend waren. "Hoffentlich gewaltfrei" war ein Satz, den man häufig hörte im Vorfeld des einjährigen Pegida-Jübiläums. Doch nicht einmal die erfüllten sich.
Die flüchtlings- und islamfeindlichen "Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes" riefen am Montagabend zur Kundgebung. Und Zehntausende kamen: Die einen wie jede Woche mit rassistischen Parolen und "internationalen Gästen", wie Pegida-Frontmann Lutz Bachmann angekündigt hatte. Die anderen, das ist ein Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Aktivisten, das zumindest gestern die Dresdner Innenstadt nicht den Rassisten überlassen wollen. "Herz statt Hetze" heißt der Slogan der einen. "Aus Liebe zu deinem Land" der Euphemismus der anderen. Die einen schafften es mal wieder, rund 20.000 Menschen gegen Flüchtlinge auf die Straße zu bringen. Die anderen schafften es mit einer ähnlichen Zahl an Teilnehmern, den Rassisten einen hörbaren Protest entgegenzusetzen.
Von "harten Rechtsextremisten" und "Rattenfängern" sprach sogar Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der in den letzten Wochen meist noch um "Verständnis für die Sorgen und Ängste" warb (Zum Jahrestag heftige Kritik an Pegida). Von "großer Sorge, dass das heute mit Gewalt endet", spricht hingegen Jürgen Kasek. Schon am frühen Abend sollte sich die Angst des Sprechers der sächsischen Grünen bestätigen. Am Rande des Dresdner Theaterplatzes flogen Böller auf Gegendemonstranten. Gruppen organisierter Neonazis verabredeten sich zur späteren Jagd auf "Zecken". "Emotionsgeladen" nennt das die Dresdner Polizei auf Twitter am Abend. Als die Kundgebung auf dem Dresdner Theaterplatz zu Ende geht, eskaliert die Lage völlig.
Am Altmarkt werfen Hooligans Pflastersteine auf Polizisten. Pegida-Anhänger schlagen einen Kameramann der russischen Nachrichtenagentur Ruptly zusammen. Offenbar zählen nun manche auch die russischen Medien zur "Lügenpresse". Ein Pegida-Anhänger wird laut Berichten der Dresdner Polizei wiederum schwer verletzt, als vermutlich Gegendemonstranten auf ihn einschlagen. Neonazis schlagen einen Marokkaner mit Flaschen nieder. Ein Reporter der Sächsischen Zeitung berichtet, er habe nur knapp rechten Schlägern entkommen können. Auch ein Reporter der Deutschen Welle soll angegriffen worden sein.
Nur wenige Stunden zuvor feiern sich Zehntausende für das, was am 19. Oktober 2014 in Dresden mit einem Facebook-Aufruf und 350 Menschen begann. Beim friedlichen Protest, den Initiator Lutz Bachmann auch am Montag beschwor, blieb es aber nicht. Über 500 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hat das Bundesinnenministerium seit Jahresbeginn gezählt. Angriffe auf Flüchtlinge haben sich gegenüber dem Vorjahr verdreifacht. Mindestens 40 Menschen wurden dabei im letzten Jahr teils schwer verletzt. Zuletzt rammte am Samstag in Köln ein Flüchtlingsgegner der Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker ein Messer in den Hals.
Auch auf dem Dresdner Theaterplatz ist die Radikalisierung zu spüren. "Das wird heute unsere größte Party seit dem Reichsparteitag von 33", sagt ein älter Mann mit Pudelmütze und erntet das erhoffte Gelächter. Lutz Bachmann und die Dresdner Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling wettern gegen "Sozialschmarotzer" und "Volksverräter". Der islamfeindliche Autor Akif Pirinçci spricht von Muslimen, die "Ungläubige mit ihrem Moslemsaft vollpumpen", und bedauert, dass es keine KZs mehr gibt. Die Menge antwortet mit "Wir sind das Volk" und "Merkel muss weg".
"Bisher war Pegida immer die absolute Übermacht. Heute sind sie umzingelt. Von allen Seiten werden sie lauten Widerspruch hören", sagte Jürgen Kaser. Der Sprecher der sächsischen Grünen ist einer der Organisationen des Gegenprotests. Nicht nur am Montag in Dresden. Auch in Heidenau, Freital, Meißen hat Kasek in den letzten Wochen Proteste angemeldet. Eigentlich so ziemlich in allen sächsischen Orten, deren Name vor einem Jahr noch kaum einer kannte und die nun zum Sinnbild neuer deutscher Fremdenfeindlichkeit geworden sind. Von vier Seiten marschierten die Gegendemos am Montag auf die Pegida-Kundgebung zu und sorgten dafür, dass auf dem Theaterplatz die "Refugees Welcome" die "Wir sind das Volk"-Slogans übertönten. Dafür, dass es zumindest während der Kundgebungen nicht zu größeren Ausschreitungen kommt, sorgen mehrere Hundertschaften der Polizei.
"Da ist eine Parallelgesellschaft entstanden, die meint, sie habe das Recht dazu, hier jede Woche ein braunes Volksfest zu feiern", sagt der Anmelder der Gegendemo, Jürgen Kasek. Die braune Party geht weiter. Nicht nur in dieser Nacht.