Wir wollen doch jetzt nicht über Freising reden
Vor und hinter den Kulissen des zweiten Kanzlerduells, das zur Lehrstunde der Fernsehdemokratie wurde und Versprechen aller Art mit sich brachte
Sabine Christiansen bringt Edmund Stoiber nicht wirklich Glück: Der Auftritt des Kanzlerkandidaten beim zweiten TV-Duell erinnerte in Manchem an einen der ersten großen Fernsehauftritte des bayerischen Ministerpräsidenten in seiner Herausforderrolle im Frühjahr in der Show der Talk-Lady. Trotz mehrmonatiger harter Schule bei seinem Boulevardjournalismus-Mentor geriet Stoiber wieder häufiger ins Stottern und erheiterte das Publikum mit Referenzen auf "George Bus" und das "36-Mark-Gesetz". Obwohl sonst nur die sattsam bekannten Plattitüden zu Krieg, innerer Sicherheit, Wirtschaftsmisere und vor allem Arbeitslosigkeit gewälzt wurden, hatte die "Sternstunde der deutschen TV- und Mediendemokratiegeschichte" so wenigstens deutlich mehr Unterhaltsames als Teil Eins.
Das eigentliche Duell fand keineswegs zwischen Kanzler und Kandidat statt, sondern zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk. Das zeigte sich schon auf dem Weg zum Sendezentrum in Berlin-Adlershof - das ist irgendwo ganz rechts unten auf dem Stadtplan der Spree-Metropole. ARD und ZDF ließen sich nicht lumpen und brachten die reichlich akkreditierte Journaille mit Autos einer Marke aus dem ehemaligen Schröder-Land Niedersachsen an den wieder hermetisch durch unzählige Polizeisperren hermetisch abgeriegelten Ort des Geschehens. Glücklich durfte sich dabei zählen, wer einen Wagen der neuen Luxusklasse mit dem unaussprechlichen, aber dennoch eine interessante Mischung aus Fötus und Feuilleton bietenden Namen abkriegte, da das Berliner Pflaster auch zwölf Jahre nach der Wende holprig ist. Aber die Caravelle-Busse taten ebenfalls ihren Dienst.
Rund 600 Medienvertreter zeigten diesmal Interesse daran, die Diskussion so nah wie möglich an den Duellanten und ihren weiblichen Gegenübern mitzuerleben. Bei der ersten, von Sat.1 und RTL ausgerichteten Sause waren es "nur" fast die Hälfte, also ein erster Quantitätssieg für die Empfänger der Rundfunkgebühren. Da die beiden Hauptfiguren allerdings den Regeln des Wortgefechts entsprechend nur bei ihrer Ankunft Kontakt mit der Presse haben durften und danach im Sendestudio auf Nimmer-Wiedersehn verschwanden, war wohl eher das nach Plan um 19.30 Uhr einsetzende Catering neben den in der Halle herumsitzenden und stehenden Partei-Generalsekretären, roten Kabinettsmitgliedern und angespannten Medienberatern der wirkliche Attraktionspunkt.
Denn erträglich wird so eine Übertragung des Duells auf mehreren Großbildleinwänden natürlich nur bei Modesalaten, feinsten Teigwaren, und Tiramisu-Torte. Streit gab es allerdings unter den "Stammbesuchern" der Fernseh- und Büffetschlachten, ob die auch diesmal reichlich aufgefahrenen Speisen die beim letzten Mal dargebotenen Spezialitäten aus 16 Herren Bundesländern übertrafen. Kritisch angemerkt wurde auch, dass es bei den Privaten doch Cocktails gegeben habe, während nun nur Wein, Bier und die süßen Pago-Säfte in Strömen flossen. Doch dafür gabs Zigarren, denen selbst so mancher Minister nicht widerstehen konnte. Tabakwaren-Affären scheinen damit vorprogrammiert und warten auf investigative Journalisten bedeutender Magazine.
Zwischenzeitlich simulierten vor allem die Vertreter von Nachrichtenagenturen Arbeit im Laptop-gefüllten Schreibtischareal der Halle. Die Powerfrauen des öffentlich-rechtlichen deutschen Fernseh-Talks, Maybritt Illner ("Berlin-Mitte") und Sabine Christiansen, machten nebenan Ernst und arbeiteten an der Umsetzung ihrer Vorsätze, "dieses Mal auch nachzufragen". Aber Gerhard Schröder hatte sich ebenfalls viel vorgenommen: sprach er doch gleich zu Anfang den hehren Wunsch aus, mit seinem Stehpult-Partner "heute ins Gespräch zu kommen". Dabei machte den Reiz des ersten Duells doch gerade die Tatsache aus, dass vor allem Stoiber das Moderatorenteam steifen Blicks mit "Herr Bundeskanzler" anredete.
Dieses Mal kam es dann tatsächlich zu leibhaftigen Blickkontakten zwischen den beiden zur Wahl Stehenden, die dummerweise beide mit fast identischen, roten Krawatten mit dezenten Streifen angetan waren. Aber im Fernsehen entscheidet ja bekanntlich nicht nur die Farbe, sondern auch der Sitz des Binders. Strategisch hatte Stoiber, der vor zwei Wochen mit durchaus geschickt geführten Attacken ganz ohne großes Stottern sowohl die Zuschauer wie auch den Kanzler total überrascht hatte, nicht viel geändert: Sofort bei der ersten Frage lenkte er das Gespräch auf die Arbeitsmarktmisere und damit die große Wunde Schröders. Dabei störte ihn auch nicht, dass Frau Illner ihn mit der Ansage: "Meine erste Frage wurde nicht richtig beantwortet" zu den eigentlich zunächst im Raum stehenden Koalitionsoptionen zurückordern wollte.
Doch dieses Mal konnte Schröder - konfrontiert mit dem nicht gehaltenen Versprechen, die Arbeitslosenquote unter 3,5 Millionen zu drücken - parieren. "Es gibt ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit leider steigt. Und das ist Bayern", sagte er mit ruhiger Stimme und Hand, was in Adlershof, wo in alten DDR-Tagen "Sudel-Ede" den "Schwarzen Kanal" am Laufen hielt, erstmals großes Gelächter im Medienpublikum auslöste. Stoiber versuchte mit einer Zahlenparade zu kontern, der allerdings wohl keiner der Fernsehzuschauer in der Schnelle so richtig folgen konnte, und mit dem Verweis auf das schöne Freising bei München. Von dem wissen wir nun, dass es der Bezirk mit der niedrigsten Arbeitslosenquote in der Republik ist. Doch Schröder hatte schließlich die Lacher wieder auf seiner Seite, als er erklärte, heute doch nicht über Freising reden zu wollen.
Schmierige Länder
Obwohl die Arbeitslosenkarte damit eigentlich inhaltlich schon ausgereizt war, zückte sie Stoiber noch schier ein Dutzend Mal. Aber auch beim Thema innerer Sicherheit glaubte er angesichts alter und neuer Terrorwarnungen punkten zu können. Die zwei unter heftigen Protesten von Bürgerrechtlern erlassenen Sicherheitspakete "reichen nicht aus", verkündete der Bayer mit dem preußischen Charakter. Denn: "Wir haben etwa 4000 gewaltbereite Islamisten in Deutschland". Die müssen raus, erklärte Stoiber, auch auf Verdacht. Und vor allem, wenn sie aus "schmierigen Ländern" wie Afghanistan oder so kommen. Ob der Ministerpräsident dabei ans Öl oder an die Schwierigkeiten der Weltpolitik dachte, konnte angesichts der knappen Zeitkonten der Redenden leider nicht geklärt werden.
Ferner warf Stoiber Schröder mehrfach vor, dass die Biometrie immer noch nicht in die Ausweise eingezogen ist. "Wir brauchen endlich die Fingerabdrücke in den Pässen und den Visen", bestimmte er. Das sei in Frankreich und Großbritannien schon möglich, nur die Sozen brächten das nicht hin, weil die Grünen ja auch noch ihre Finger im Spiel haben. Dabei ist das zweite Sicherheitspaket längst mit dem Einstieg in die Biometrie ausgerüstet - der Bundestag müsste in einem Gesetz nur über die praktischen Ausführungen bestimmen.
Der Ton macht die Musik
Richtig angrifflustig wurde Stoiber dieses Mal eigentlich nur in der Frage einer deutschen Beteiligung am drohenden Irak-Krieg. Hier warf der CSU-Politiker dem SPD-Kanzler vor, mit seinem starren "Nein" das "Ansehen der Nation" sowie die heilige deutsch-amerikanische Freundschaft zu schädigen. "Herr Kanzler, der Ton macht die Musik", redete sich Stoiber in Rage. Und monierte immer wieder, dass Schröder doch zumindest den "George Bus" endlich mal anrufen sollte. Doch der Staatsmann von Welt lässt sich lieber "konsultieren" und mag nicht an der "Drohkulisse" um jeden Preis stricken, deren Aufrechterhaltung Stoiber für unabdingbar hält.
Ein Hauch von Streit kam so durchaus auf zwischen den beiden Optionspolitikern, deren Haltungen dadurch wenigstens nicht vollkommen identisch erschienen. Highlights des Gesprächs waren die versuchten Ballabnahmen, als beide gegenseitig hin und wieder mit einem "Darf ich jetzt auch mal" das Rederecht zu erobern suchten. Christiansen und Illner kamen da manchmal kaum noch zu Wort. Doch dann erstaunten sie wieder mit zwar platt klingenden, allerdings nach einer launigen Parade Stoibers doch überraschenden Weisheiten wie: "Zum Wahlkampf gehören immer Vorwürfe, das wissen wir". Das hätte der Kandidat wohl gerade von der längst zur Berliner Partygesellschaft gehörenden Christiansen nicht erwartet, wo er doch vor wenigen Wochen noch mit ihr über den Tanzboden des berühmt-berüchtigten Möchtegern-Promi-Clubs 90 Grad schlitterte - nachdem er sie von Frau Merkel zu unterscheiden gelernt hatte.
Nach dem Duell war dieses Mal vor der Party und vor allem die Stunde der Sprechblasen-Sabberer in Adlershof. Michael Spreng, der nach Stoibers Stotter-Auftritt bei Christiansen aus Mallorca eingeflogene Boulevard-Meister, beeilte sich den Kamerateams ins Mikrofon zu diktieren, dass sein Schützling beim ersten Duell ja einen "leichten Vorteil - und heute den klaren Punktsieg" davongetragen hätte. Und gerade in der Irak-Frage, da hätte Stoiber ja so besonnen und staatsmännisch geantwortet.
SPD-Strippenzieher "Münte" fand dagegen, dass sein Schröder "sehr solidarisch und seriös" gewirkt und das Gespräch charmant regiert habe. Dem Fernsehen sei dank: Die Wähler können nun in zwei Wochen beruhigt zur Wahl gehen und ihr Kreuzchen da oder dorthin machen. Denn der einzige Verlierer der Duelle war mal wieder nur die Substanz. Medienwissenschaflter und Anhänger der Lehre der Symbolischen Politk wussten es ja schon lange: Der Erfolg von Medienfiguren beruht nun mal darin, das sie keinen wirklichen Standpunkt einnehmen. Falls doch, wird's kurzzeitig gefährlich. Doch langfristig werden alle Versprechungen und Versprechen wieder vergessen.