Wirksamkeit von Corona-Maßnahmen auf wackligem Prüfstand

Ein Expertengremium soll bis Jahresende die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung epidemiologisch bewerten. Doch kein Epidemiologe ist dabei

Die Bundesregierung will überprüfen lassen, wie erfolgreich ihre Maßnahmen in der Corona-Pandemie waren. Ein Expertengremium soll beurteilen, was Maskenpflicht, Schulschließungen, Quarantäne, Schnelltests und andere Maßnahmen gebracht haben. Nach aktuellem Stand soll der Bericht bis Ende Dezember fertig sein, mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes könnte das Gremium auch bis Ende Juni Zeit bekommen: In dem Gesetzentwurf von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen ist eine Fristverlängerung bis zum 30. Juni 2022 vorgesehen.

"Die Evaluation soll interdisziplinär erfolgen", heißt es beim Bundesgesundheitsministerium, "und insbesondere auf Basis epidemiologischer und medizinischer Erkenntnisse die Wirksamkeit der auf Grundlage der genannten Vorschriften getroffenen Maßnahmen untersuchen". Doch das Problem: In dem Gremium sitzen zwar 18 Juristen, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, Mediziner und Vertreter des Öffentlichen Gesundheitsdienstes - aber kein Epidemiologe.

Erklären kann oder will es keiner

Das hatte zuletzt auch der Medizinstatistiker Gerd Antes kritisiert. Antes war langjähriger Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums am Universitätsklinikum Freiburg. Und er gilt als Experte im Bereich evidenzbasierte Medizin. Er bemängelte, dass in dem Gremium nicht alle notwendigen Disziplinen vertreten sind. Es fehle unter anderem an Public-Health-Experten oder an Epidemiologen, erklärte er. Wer aber wissen will, weshalb das so ist, stößt schnell an Grenzen.

Der Vorsitzende der Expertenkommission, Stefan Huster, verwies auf Nachfrage darauf, dass die Mitglieder zu gleichen Teilen von Bundestag und Bundesregierung benannt werden. Dort solle man nachfragen, erklärte der Professor für Gesundheitsrecht an der Ruhr-Universität Bochum. Beim Bundesgesundheitsministerium gibt man sich ahnungslos.

"Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bundesregierung 'nur' die Hälfte berufen hat", erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Weshalb keine Epidemiologen mit an Bord sind - dazu äußerte er sich nicht. Man gehe aber davon aus, dass "ausreichend epidemiologischen Expertenwissen im Rahmen der Ausschussarbeit einfließt".

Die Expertenkommission werde "durch einen Projektträger unterstützt, welcher auch epidemiologische Expertise zur Verfügung stellt", erklärte der Ministeriumssprecher weiter. Doch dazu gibt es eine anderslautende Antwort von Seiten der Kommission. Huster erklärte auf Nachfrage: "Es wird keine epidemiologische Expertise durch einen Projektträger zur Verfügung gestellt. Bei Bedarf wird die Kommission allein in der Beschaffung und Aufbereitung von Daten (u.a. epidemiologischen und medizinischen) unterstützt".

An Studien mangelt es

Aber nicht nur die Besetzung des Gremiums stieß zuletzt auf Kritik. Es wurde auch grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Beratungsverfahren geäußert. Denn die Frage nach der Wirksamkeit einzelner Maßnahmen könne nur durch sorgfältige Studien beantwortet werden. Doch daran mangelt es in Deutschland. Offenbar hat es die Bundesregierung versäumt, parallel zu den von ihr verordneten Maßnahmen deren Wirksamkeit untersuchen zu lassen. Eine entsprechende Anfrage ließ das Bundesgesundheitsministerium unbeantwortet, ebenso das Robert-Koch-Institut.

Andere Länder waren neugieriger, was die Frage der Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen anging. Norwegen überprüfte zum Beispiel die Wirksamkeit von Schulschließungen, indem in einigen Regionen die Schulen geschlossen und in anderen offengelassen wurden. Ebenso habe man dort den Effekt der Schließung von Fitnessstudios untersucht. In Großbritannien verglich man die Effekte unterschiedlicher Teststrategien und untersuchte, wie sich das Virus in Schulen verbreitete. Die Rolle der Schulen in der Pandemie war in Deutschland bislang wenig untersucht.

Nun haben Wissenschaftler des "Institute of Labor Economics" (IZA) eine Studie für die Bundesrepublik vorgelegt. Darin betonen sie, dass es trotz zahlreicher internationaler Studien keinen Konsens gibt. Viele Studien würden sich mit Vorher-Nachher-Vergleichen begnügen, aus denen sich keine kausale Wirkung von geschlossenen bzw. offenen Schulen ableiten lasse.

Andere Studien würden auf "veralteten" Daten beruhen: Sie seien vor dem Auftreten der Delta-Variante erstellt worden, bevor flächendeckend geimpft wurde und bevor das verpflichtende Testen in Schulen eingeführt wurde. Ihre Ergebnisse auf die aktuelle Situation zu übertragen, sei deshalb schwierig.

Bei regelmäßigen Tests sind geöffnete Schulen hilfreich

Die IZA-Forscher untersuchten nun den kausalen Effekt von Schulöffnungen nach den Sommerferien. Sie nutzten dabei den Umstand, dass die Ferien in manchen Bundesländern eher endeten, in manchen später. "Dieser Ansatz vergleicht Veränderungen in Fallzahlen über das Ende der Schulöffnungen hinaus und nutzt Bundesländer, deren Schulen noch geschlossen sind, als Kontrollgruppe", heißt es in der Studie.

Das Ergebnis: Wenn in den Schulen regelmäßig getestet wird, können offene Schulen sogar dabei helfen, die Pandemie einzudämmen. Diese Studie ist nur eine - und zu vielen anderen staatlich verordneten Maßnahmen fehlen sie. Dass eine ehrenamtliche Expertenkommission die Leerstellen bis Ende Dezember oder bis Ende Juni nächsten Jahres schließen kann, daran können Zweifel entstehen.

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