Wissenschaft und Religion: Konflikt oder Kooperation?
Jetzt kommen die Naturwissenschaftler selbst zu Wort
Im dritten Teil der Serie über Wissenschaft und Religion schrieb ich gerade, dass sich zwei Bezugssysteme prinzipiell nur dort widersprechen können, wo sie denselben Gegenstandsbereich haben. Das hört sich komplizierter an, als es ist. Für unsere Diskussion ist es aber ein entscheidender Punkt.
Nehmen wir einmal an, Susanne sagt: "Die Banane ist gelb!" Darauf erwidert Ernst: "Nein, die Birne ist grün!" Und Wilma wiederum wirft ein: "Ach was, die Orange ist - orange!" Daneben steht Logiker Ludwig und untersucht, ob sich die Aussagen widersprechen. Wahrscheinlich käme er zum Ergebnis, dass es sich hier um absurdes Theater handeln muss.
Die Aussagen stehen zusammenhanglos nebeneinander. Man könnte allenfalls schlussfolgern, dass es jeweils um eine Obstsorte geht. Doch warum sollten verschiedene Obstsorten nicht verschiedene Farben haben können?
Weltanschauungen an Universitäten
Vor vielen Jahren begann ein Austausch mit einem Bekannten, der von der Ausbildung her Theologe und Psychologe war. Ersterer stand er zunehmend kritisch gegenüber. Bis er dann schließlich zum Ergebnis kam, religiöse Ansichten seien mit den modernen Erkenntnissen der Wissenschaft und insbesondere der Hirnforschung nicht mehr vereinbar.
Wie war das noch mit den Bananen, Birnen und Orangen? Welche religiösen Aussagen ließen sich prinzipiell damit widerlegen, dass Bewusstseinsprozesse von Gehirnprozessen abhängen? Und ist diese Erkenntnis wirklich so neu?
Schon vor Jahrhunderten, ja vielleicht sogar Jahrtausenden machten Menschen die Beobachtung, dass Kopfverletzungen (beispielsweise nach Schlachten oder Gladiatorenkämpfen) zu bestimmten psychischen Beeinträchtigungen führen können. Und seit es uns Menschen gibt, experimentieren wir wohl schon mit psychotropen Substanzen, neudeutsch: Drogen (Die Droge als Instrument).
Der Bekannte behauptete dann, wenigstens der Substanzdualismus sei heute klipp und klar widerlegt (ganz ähnlich wieder der deutsche Chef-Neurophilosoph Gerhard Roth in seinem gerade erschienenen Buch "Über den Menschen", um das es ein anderes Mal ausführlicher gehen soll). Nach kurzer Recherche kam ich auf eine damals rund zehn Jahre alte Untersuchung des inzwischen emeritierten Psychologieprofessors Jochen Fahrenberg, der knapp 800 Studierende zum Leib-Seele-Problem befragte.
Selbst unter den angehenden Naturwissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern waren 38 Prozent Leib-Seele-Dualisten. Ein Großteil der Studierenden aller Fakultäten waren der Ansicht, dass Körper und Geist eher komplementär beziehungsweise zwei Seiten einer Medaille seien (mehr Details und den Link zur Studie gibt es in meinem Blog).
Im größeren Maßstab
Kommen wir von diesen speziellen, typisch-philosophischen Standpunkten zur Beziehung von Wissenschaft zu Religion zurück. Schätzungen zufolge sind gerade einmal zwei Prozent der Weltbevölkerung Atheisten, Tendenz fallend. Agnostiker sind demnach immerhin rund zehn Prozent. Natürlich sagen diese Mehrheitsverhältnisse nichts über deren Wahrheit aus, wohl aber doch, wie ein Großteil der Menschheit im 21. Jahrhundert dazu steht.
Anders, als es so mancher Naturalist darstellt (Was ist Naturalismus?), ist die Angelegenheit also noch lange nicht entschieden - jedenfalls nicht in seinem Sinne. Wenn ich mir anschaue, wie dogmatisch und uninformiert manche Naturalisten in der Blogosphäre auftreten, dann wundern mich diese Zahlen auch nicht. Wer möchte sich schon so einer Gruppe zuordnen?
Dank wissenschaftlicher Forschung - hier: der Sozialwissenschaften - brauchen wir aber nicht nur zu spekulieren, sondern können wir uns konkrete Daten anschauen. Ein Forscherteam um die Soziologieprofessorin Elaine Howard Ecklund von der Rice University in Houston, Texas, hat nämlich rund 22.500 Biologinnen und Biologen, Physikerinnen und Physiker verschiedener Karrierestufen aus acht verschiedenen Ländern zu einer Befragung eingeladen.
Die genauen Details können, wie sich das für gute Wissenschaft gehört, nachgeschaut werden (Ecklund et al., 2016). Was sagen nun Naturwissenschaftler selbst über die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion?
Die Ergebnisse sind äußerst bitter für die Neuen Atheisten wie Dawkins, Dennett und Harris sowie ihre Jünger, die gebetsmühlenartig wiederholen, die Naturwissenschaften ließen übernatürliche Entitäten wie einen Gott prinzipiell nicht zu. Denn die Reaktionen von rund 9.500 Biologen und Physikern ergaben, dass sich zwischen 30 Prozent (Frankreich) und 94 Prozent (Indien) von ihnen einer Religion zuordnen.
Nicht nur institutionell, sondern höchstpersönlich fanden sich 16 Prozent (Frankreich) bis 59 Prozent (Indien) zumindest etwas religiös. In vier der acht Länder - Indien, Italien, Taiwan und Türkei - galt das gar für mehr als die Hälfte der Naturwissenschaftler! Fünf Prozent (Frankreich) bis 61 Prozent (Türkei) gaben sogar an, sie wüssten zweifellos, dass es Gott gibt.
Die Forscher befragten die Naturwissenschaftler aber auch dazu, ob sie zwischen Religion und Wissenschaft einen Konflikt sehen - oder sie diese Gebiete für miteinander vereinbar halten. Aus den Behauptungen führender Naturalisten und Neuer Atheisten lässt sich die Hypothese ableiten, Naturwissenschaftler müssten hier einen Konflikt sehen. Diese Hypothese habe ich bereits theoretisch widerlegt.
Die Daten von Ecklund und Kollegen widersprechen ihr nun auch empirisch: Selbst im doch so säkularen Frankreich hält mehr als die Hälfte der Naturwissenschaftler die Gebiete für unabhängig voneinander (denken Sie noch einmal an die Bananen, Birnen und Orangen). Wenn man die Antwortmöglichkeiten "unabhängig" und "Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Religion" zusammenfasst - diese Widersprechen schließlich beide der naturalistischen Hypothese -, dann ergibt sich folgendes Bild:
Deutliches Ergebnis
Klarer könnte das Bild kaum sein: In allen Ländern sieht die große Mehrheit der Naturwissenschaftler keinen Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft. Sieben Prozent (Frankreich) bis 33 Prozent (Türkei) halten sogar eine Zusammenarbeit zwischen den Gebieten für möglich.
Im Endergebnis sehen wir, dass nicht nur die große Mehrheit der Weltbevölkerung religiös ist, Tendenz steigend. Sondern auch unter Naturwissenschaftlern sind religiöse Tendenzen bis hin zum Wissen, es gebe einen Gott, verbreitet.
Was verrät uns das über die führenden Naturalisten und Neuen Atheisten, die seit vielen Jahren ein anderes Bild zeichnen? Einmal mehr stellt sich heraus, dass diejenigen, die groß "Wissenschaft" auf ihre Fahnen schreiben, selbst nicht hinreichend den Stand der Forschung zur Kenntnis nehmen.
Dawkins, Dennett, Harris und ihre Jünger haben schlicht ihre spekulative Philosophie verbreitet und ihre Annahmen nicht kritisch genug überprüft. Wer so vorgeht, läuft Gefahr, nie über seine Vorurteile hinauszukommen. Der so herbeigeschriebene Konflikt teilt die Menschen in unterschiedliche Lager und polarisiert sie. Im wirklichen Leben ist das Konfliktpotenzial viel kleiner.
Zum Glück haben wir wissenschaftliche Forschungsmethoden, um Hypothesen zu formulieren, diese zu testen - und, wo nötig, unsere Ansichten zu korrigieren. In diesem Sinne: Bleiben Sie skeptisch! Im fünften Teil der Serie werde ich ein Zwischenfazit ziehen.