Die Droge als Instrument
- Die Droge als Instrument
- Verhaltenskomplexe, die Menschen mit psychoaktiven Drogen zu verbessern suchen
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Psychologische und neurobiologische Mechanismen der Drogeninstrumentalisierung
Im Fokus der Psychologie und Psychiatrie steht der Mensch, genauer gesagt, stehen menschliches Verhalten und das subjektive Empfinden. Wir wissen, dass beides durch Substanzen, die wir aufnehmen, maßgeblich verändert werden kann. Die Substanzen, die wir aufnehmen, kann man unterscheiden in solche, die wir zum Überleben unbedingt brauchen, und solche, die eben nicht überlebensnotwendig sind, die aber trotzdem von sehr vielen Menschen regelmäßig konsumiert werden. Zu diesen nicht überlebenswichtigen Substanzen gehören die sogenannten psychoaktiven Substanzen. Psychoaktive Substanzen sind heute definiert als Substanzen mit einer bekannten chemischen Struktur, die mit der Funktion des Gehirns interagieren und subjektives Empfinden oder Verhalten maßgeblich verändern können. Das Problem mit diesen Substanzen ist, dass sie zu Drogensucht führen können, einer weithin bekannten psychiatrischen Erkrankung.
Wenn man sich nun die Verbreitung des Konsums solcher psychoaktiven Substanzen einmal etwas genauer ansieht, zum Beispiel in den USA, ist aus großen Befragungsstudien bekannt, dass mehr als fünfzig Prozent der Amerikaner, die zwölf Jahre oder älter sind, regelmäßig Alkohol konsumieren. Von dieser großen Zahl der Erwachsenen werden jedoch im diagnostisch definierten Bereich etwa lediglich 15 Prozent als tatsächlich süchtig angesehen. Schaut man sich illegale Drogen an, gibt es in den USA geschätzte zwanzig Millionen regelmäßige Konsumenten illegaler Drogen, wie Marihuana, Kokain, Heroin oder der Halluzinogene. Von diesen Menschen ist etwa ein Drittel klinisch relevant süchtig.
In der EU sind die Zahlen ganz ähnlich. Hier haben wir über dreihundert Millionen Menschen, die regelmäßig Alkohol konsumieren. Davon sind geschätzt etwa sieben Prozent tatsächlich drogenabhängig. Bei einer illegalen Droge wie Cannabis finden wir in der EU etwa zwölf Millionen Konsumenten und auch hier etwa ein Drittel davon abhängig. Diese Zahlen zeigen aber auch, dass der größte Teil der regelmäßigen Konsumenten psychoaktiver Substanzen nicht abhängig ist. Andere Befragungen belegen, dass diese Konsumenten im Laufe ihres Lebens auch keine Sucht entwickeln werden. Hier darf und muss man die Frage stellen, wenn es nicht die Sucht ist, die den Konsum in der Population antreibt, welche Mechanismen sind es dann, die dazu führen, dass die meisten Menschen regelmäßig psychoaktive Substanzen konsumieren und das auch über die gesamte Lebensspanne gut kontrollieren können?
Eine Antwort auf diese Frage ist, dass eine Droge von den meisten Nutzern wie ein Instrument konsumiert wird. Um das zu verstehen, sollte man sich zunächst einmal vor Augen führen, was denn überhaupt ein Instrument ist. Man könnte ein Instrument wie folgt definieren: Es ist etwas, das hilft, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, welches ohne Zuhilfenahme nicht oder nur mit erheblich mehr Aufwand erreichbar wäre. Bei dem Vorhaben beispielsweise, einen Nagel in ein Holzbrett zu schlagen, wäre das ohne weitere Hilfsmittel relativ schwierig, eventuell schmerzhaft oder schlicht nicht möglich. Nutzen wir aber als Instrument einen Hammer, ist das Einschlagen eines Nagels eine relativ einfach zu bewerkstelligende Tätigkeit.
Um zu verstehen, wie eine Droge als Instrument wirken kann, muss man sich noch eines weiteren Konstruktes bedienen, nämlich des "Mental state", des geistigen Zustandes, der auch gelegentlich als affektiver oder emotionaler Status bezeichnet wird. "Mental states" beschreiben die verschiedenen Arbeitszustände unseres zentralen Nervensystems. Wir kennen alle unsere sich ändernden "Mental states", etwa die Schwankungen unserer "Laune" über den Verlauf eines Tages. "Mental states" determinieren, wie wir Sinneseindrücke verarbeiten, wie wir subjektive Empfindungen generieren, wie wir Gedächtnis bilden und Inhalte aus diesem Gedächtnis wieder abrufen. Ganz entscheidend bestimmt unser aktueller "Mental state", wie wir auf Stimuli reagieren und wie effektiv unser Verhalten dabei ist.
Physiologisch gesehen sind diese "Mental states" charakterisiert durch die summatorische Aktivität unserer modulatorischen Botenstoffe im Gehirn. Wir verfügen über verschiedenste Botenstoffsysteme, also Neurotransmittersysteme, welche die Arbeitsweise unserer schnellen Signalübertragung im Gehirn hoch- oder runterregulieren können. Es gibt eine große Anzahl solcher modulatorischer Systeme, wie beispielsweise das dopaminerge, das serotonerge oder auch das acetylcholinerge System, jeweils benannt nach dem Botenstoff, den diese Systeme produzieren und zur Signalübertragung nutzen. Diese Systeme sind nicht immer gleich aktiv, sondern weisen verschiedene Aktivitätszustände auf, die zudem unterschiedlich miteinander kombiniert werden können.
Wie wirkt nun eine Droge als Instrument? Sie wirkt, in dem sie den "Mental state", in dem wir uns gerade befinden, in einen gewünschten "Mental state" in einem vorhersagbaren Zeitfenster überführt. Warum ist das wichtig und funktional? Wir können davon ausgehen, dass wir den größten Teil unserer wachen Aktivität mit "zielgerichtetem Verhalten" zubringen. Wir führen ein Verhalten aus, um eine angenehme Belohnung zu bekommen oder um einen unangenehmen Zustand abzuwenden oder zu beenden. Dabei kann man davon ausgehen, dass jedes dieser Verhalten einen bestimmten "Mental state" besitzt, in dem es am effektivsten durchgeführt werden kann. Als Beispiel zu nennen wäre hier das Verhalten: "Mit dem Auto von Ort A nach Ort B fahren." Hierbei ist der effektivste "Mental state" einfach der, dass wir ausgeruht, frisch, konzentriert, nicht ängstlich, nicht depressiv und auch nicht gestresst sind. In diesem Zustand fahren wir am besten Auto. Am besten heißt, am sichersten und eventuell auch auf dem schnellsten Weg. Wir können auch Autofahren in anderen "Mental states", zum Beispiel, wenn wir müde sind. Wir können auch fahren, wenn wir gestresst sind oder Angst haben. Aber dann erfordert die Tätigkeit mehr Anstrengung und ist nicht so effizient, das heißt die Sicherheit leidet und das Unfallrisiko steigt.
Das Problem ist nun, dass wir in der Regel nicht im optimalen "Mental state" für das geplante Verhalten oder Vorhaben sind. Unser "Mental state" schwankt über den Tag, ist von Umgebungsstimuli abhängig, etwa vom beruflichen Stress, und dadurch nicht immer optimal. Hier benutzen Menschen psychoaktive Substanzen, um einen gegebenen "Mental state" in einen vorher gelernten anderen "Mental state" zu überführen.
Das Ganze kann man sich als einen Prozess in zwei Schritten vorstellen. Jede Drogenkonsumepisode besteht aus einem A-Prozess, in dem eine Droge gesucht und konsumiert wird, zunächst nur mit dem Ziel, einen gegenwärtigen "Mental state" in einen anderen zu überführen. In einem B-Prozess wird dann ein bisher gelerntes Verhalten effizienter ausgeführt als in einem drogenfreien Zustand. Beide Prozesse sind essenzieller Teil einer Konsumepisode.
Ein solches Verhalten kommt natürlich nicht von ungefähr und ist auch nicht die genuine Erfindung des Menschen. Die Wissenschaft geht inzwischen davon aus, dass es einen evolutionären Ursprung hat, der als eine Art distaler Mechanismus in der Anpassung der Nahrungsaufnahme liegt. Unsere Gehirne, und nicht nur unsere, sondern auch die von anderen Spezies, wie zum Beispiel Schimpansen und Schafen, können Nahrung nach nichtnutriven Parametern auswählen und konsumieren. Nichtnutriv heißt, wir nutzen andere, nicht der Ernährung dienende Eigenschaften der Nahrung aus. Das Wissen um die pharmakologische Wirkung verschiedenster Pflanzeninhaltsstoffe und die Fähigkeit, es zu erwerben, zu speichern und abzurufen, nennt man "Zoopharmakognosie". Wir gehen also davon aus, dass diese Fähigkeit einen evolutionären Ursprung hat und uns erlaubt, Nahrungsstoffe auszuwählen, um neben dem körperlichen Zustand auch unseren "Mental state" in eine vorhersehbare Richtung zu verändern.
Nun ergibt sich die Frage, ob wir jedes zielgerichtete Verhalten, zu dem wir in der Lage sind, durch psychoaktive Drogen verbessern können. Die Antwort auf diese Frage ist sicherlich: Nein, das geht nur für bestimmte Verhalten. Der optimale "Mental state" eines Verhaltens muss durch eine der verfügbaren psychoaktiven Substanzen induzierbar sein. Allerdings gilt dies nicht für alle Verhalten. Nach unserer Kenntnis gibt es zum Beispiel für die Erziehung und für den Umgang mit Kindern keine psychoaktive Substanz, die das entsprechende Verhalten tatsächlich verbessern könnte. Auch zum Fußballspiel gibt es sie nicht. Zumindest was die Kreativität im Spiel angeht, so ist sie bisher durch keine bekannte Droge zu verbessern. Bisher konnten wir insgesamt neun verschiedene Verhaltenskomplexe identifizieren, wo sich nachweislich zeigt, dass Menschen selektiv psychoaktive Drogen konsumieren, um die Verhaltenseffizienz zu verbessern. Diese Verhaltenskomplexe und ihre Drogen sollen nun etwas genauer vorgestellt werden.
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