Wissenschaftsjournalist aus Leidenschaft

Der Tod von Klaus Simmering ist ein großer Verlust für den Wissenschaftsjournalismus und das Fernsehen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass Sie Klaus Simmering kennen. Denn wer seine Filme gesehen hat, kennt auch den Wissenschaftsjournalisten dahinter ein wenig und über seine Filme zu stolpern, war zeitweise ein Leichtes. "Schneller als das Licht" und "Auf dem Weg zum UFO-Antrieb" liefen 1999 und 2000 wöchentlich im Nachtprogramm der Space Night auf Bayern Alpha.

Schneller als das Licht? Mindestens so ein Quatsch wie UFOs, mögen Sie denken. Simmering ist das Risiko, ins Fettnäpfchen zu treten, immer eingegangen und dieses machte ihn als Menschen und Journalisten zu einer solch außergewöhnlichen Figur. Leider ist er auch eine äußerst tragische Figur. Am 21. April starb er 45-jährig an einem plötzlich aufgetretenen, aggressiven Hirntumor. Er hinterlässt seine Frau Sylvia Itzigehl und die Kinder Paul und Veronika.

Klaus Simmering wurde am 21. August 1958 in Bochum geboren. Schon sehr früh wollte er zum Fernsehen. Nach dem Gymnasium und dem Publizistik-Studium in Bochum arbeitete er als freier Autor für den Westdeutschen Rundfunk und das Zweite Deutsche Fernsehen. Simmering war grundsätzlich wissenschaftlich interessiert. 1995 machte er mit dem eingangs erwähnten Film "Schneller als das Licht" eine "Reise an die Grenzen der Physik." Erstmals wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt, dass mehrere Labore Signale mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen hatten.

Seinen Film "300 Jahre erstunken und erlogen?", 2000 ebenfalls wöchentlich in der Space Night zu sehen, leitet er ein mit den Worten: "Mich beschäftigt eine abenteuerliche These," dem Leitmotto seiner Arbeit. Es geht in dem Film um die Hypothese des Systemanalytikers Dr. Heribert Illig, die Zeit von 614 bis 911 nach Christus habe es nie gegeben, es fehlten etwa architektonische und historische Beweise dieser Epoche. Eine These fürs Fettnäpfchen, ein Fall für Simmering. Wo andere abwinken, wurde der Bochumer erst aufmerksam. Getrieben von dem Willen, Wissen zu schaffen, zog es ihn an die Universitäten und Labore dieser Erde, begleitet von einer Aura, die ihm trotz seiner Sujets bei den interviewten Forschern Respekt verschaffte.

Karl der Große schlicht "erstunken und erlogen?" Simmering fährt ins Hauptstaatsarchiv nach München, lässt sich eine Original-Urkunde zeigen. Karls Siegel ist intakt, doch das Dokument ist nach Herrscherjahren datiert, nicht nach dem christlichen Kalender. "Als echt" lernt der Journalist "gelten Urkunden, die genauso aussehen wie andere echte Urkunden." Simmering kommt ins Grübeln. Seine Person ist in fast jedem Film zu sehen, ein Stilmittel, um komplizierte Sachverhalte darzustellen. Auch die Frage nach der Datierung archäologischer Funde dieser Epoche kommt ihm vor wie ein "Griff in Watte." Zumal es auch in der Naturwissenschaft vereinzelt Stimmen gibt, diese habe sich einer von der Geisteswissenschaft vorgegebenen Chronologie untergeordnet. Der Journalist verhehlt nicht, dass er selber nicht schlecht staunt, und nimmt den Zuschauer dadurch mit auf eine Achterbahnfahrt der Erkenntnis.

Simmering vermochte es, mit sanfter Stimme und nachvollziehbarer Logik aus stinknormalen Archiven und Laboren Orte voller Geheimnisse zu machen, ohne sie zu mystifizieren. Martina Wagner, die verantwortliche Redakteurin beim Mitteldeutschen Rundfunk, erinnert sich: "Er konnte einen begeistern und für schwierige, komplizierte, ungewöhnliche Themen gewinnen, bei denen die Wahrheit nicht sofort auf der Hand lag." Simmering sei ein "sehr neugieriger, sensibler, gründlicher, integerer Journalist" gewesen. Für seine Filme war er stets so gut vorbereitet, dass er mit den interviewten Forschern vor der Kamera diskutieren und sogar philosophieren konnte. Trotz der zentralen Präsenz seiner Person in den Filmen habe stets die Sache im Mittelpunkt gestanden, würdigt Nano-Redakteur Helmut Riedl dessen Lebenswerk. Eine solche eigene Handschrift sei eine Kostbarkeit, die anderen Autoren nur selten gelänge. Auch Riedl ist sehr beeindruckt von dem Menschen und Journalisten Klaus Simmering. "Er schaffte es fast immer, einen in spannende Gespräche zu verwickeln. Und das, obwohl doch eigentlich gar keine Zeit dafür da war. Wenn er dann den Raum verlassen hatte, dann hing man diesem Gedankenaustausch oft noch nach."

Mit seiner Reihe "science in fiction," die Simmering mit seinem Kollegen Achim Kampmann für das 3Sat-Wissenschaftsmagazin Nano produzierte, sei ihm "ein ganz eigener Wurf" gelungen. In szenischen Filmpassagen lässt er den Zuschauer den Handlungskern eines Romans mit wissenschaftlichem Hintergrund erleben. Bei der Dramaturgie und den benötigten Spezialeffekten hat ihm seine künstlerisch begabte Frau regelmäßig unter die Arme gegriffen. Für die gespielten Szenen ist üblicherweise Bekanntschaft und Familie eingespannt worden. Die so dargestellte Fiktion hat Simmering mit einem kompetenten Fachmann auf Stimmigkeit abgeklopft. Dabei ist es ihm auf besondere Weise gelungen, seine Gesprächspartner für die Kamera zu öffnen. Der Zuschauer hat dadurch nicht nur erfahren, dass Menschen in einigen Jahrzehnten wohl die meiste Zeit in einer virtuellen Realität wie der Matrix verbringen und mit Maschinen fusionieren werden, um mit der technischen Entwicklung Schritt halten zu können, sondern etwa auch, dass Miniroboter schon in ein paar Jahren durch unsere Körper reisen werden. Simmerings Wissenschaft war nie verstaubt und festgefahren, sie war immer innovativ und visionär. Die Nano-Redaktion hätte ihm daher auch jeden Beitrag abgekauft, den er angeboten hätte.

Beim späten Klaus Simmering stand der Mensch im Zentrum des Interesses. Insbesondere die Frage, wie Körper, Seele und Geist wechselwirken und voneinander abhängen. Für einen Arte-Themenabend zur "Entschlüsselung der Gefühle" begab er sich auf eine "Exkursion in die Natur des Unbewussten." Für seinen Film "Ich bin schizophren, aber nicht verrückt" erhielt er 2002 den Journalistenpreis "Schizophrenie und Stigma 2002." Honoriert wurde damit auch eine journalistische Tugend, an die heutzutage mühselig erinnert werden muss: Sich nicht mit dem Oberflächlichen zufrieden zu geben, sondern das Tatsächliche zu suchen – die Substanz hinter dem Schein.

Klaus Simmering war sich seiner Schere im Kopf stets bewusst und hat andere auf die ihre hingewiesen. Mit seiner Reihe "science in fiction" hat er gezeigt, dass nicht nur die Science-Fiction-Welt spannend, außergewöhnlich und bisweilen phantastisch ist, sondern auch die Realität. Seinem leidenschaftlichen Blick auf das Tabu und seiner Suche nach Antworten auf Fragen "die zu stellen wir überhaupt noch gar nicht in der Lage sind" verdanken wir außergewöhnliche Filmbeiträge auch über Grenzbereiche unserer Wissenschaft. Achim Kampmann glaubt, dass sein Freund und langjähriger Geschäftspartner "seiner Zeit immer ein bisschen voraus" war. Sein Tod ist für den Wissenschaftsjournalismus ein großer Verlust.