Wo Mutter und Tochter denselben Partner teilen
Polygam sind sie, die See-Elefanten-Damen, und attraktiv. Gäbe es sonst einen Grund, den Herrn 5000 und mehr Kilometer anreisen zu lassen?
Herr Mirounga leonina, so der Fachausdruck für den See-Elefanten, wird bis zu 6 Meter lang und bringt dann 4 Tonnen auf die Waage. Sein Revier ist der Südpol, und sein Harem kann aus Hunderten von Weibchen bestehen. Die größten Kolonien werden wie aufgereiht nahe dem 60. Breitengrad gefunden. Dort hilft dem Mann seine Schnauze, die sich zum mächtigen Resonanzboden aufblasen lässt, unliebsame Konkurrenten zu vertreiben. Die überraschende Erkenntnis, von der Arbeitsgruppe um A.R.Hoelzel (School of Biological and Biomedical Sciences in Durham) in Science berichtet, bietet allerdings das Erbmaterial. Die Vergleiche von mitochondrialer DNA und DNA-Markern aus dem Zellkern beweisen, dass die genetische Verbreitung bei den See-Elefanten von den Männern dominiert wird.
Die neuen Erkenntnisse festigen den Wandel, der in den letzten Jahren das Wissen um diese mächtigen Tiere verändert hat. Frühere Beobachtungen waren von der Schwimmleistung beeindruckt: See-Elephanten sollen rechnerisch 20.000 und mehr Kilometer jährlich zurücklegen. Davon ausgenommen schien die Zeit, in der das Junge gesäugt wird, und die Mutter nicht auf Nahrungsfang geht, sondern die Kalorien durch den Abbau des eigenen Körperfetts gewinnt. Dass die Tiere gute und ausdauernde Schwimmer sind, steht weiterhin außer Frage. Allerdings ist die Mobilität keineswegs nomadenhaft. Tierfreunde und Wissenschaftler haben feste Kolonien ausgemacht, die sich vor den Südküsten Amerikas, Afrikas und Australiens regelmäßig und ziemlich stationär nachweisen lassen. Frauengesellschaften leben dort, weil die heranwachsenden See-Elefantinnen offenbar wenig Tendenz besitzen, die mütterliche Nähe zu verlassen.
Das zu-Hause-Bleiben, Philopatrie genannt, schafft das den Tieren eigentümliche soziale Gefüge. Männliche Tiere brauchen mehrere Jahre bis sie geschlechtsreif werden. Wann sie die Kolonie verlassen und wie sie ihr weiteres Leben gestalten, ist noch recht unbekannt. Als vor zwei Jahren M.A.Hindell und Kollegen erstmals herausfanden, dass ein männliches Tier nahezu 5200 Kilometer zurücklegte, um bei den Damen einer Kolonie für Fruchtbarkeit zu sorgen, bestand noch Unglauben. Der jetzige genetische Fingerprint beweist, daß das Herumschwadronieren der männlichen See-Elefanten keine Ausnahme, sondern die Regel ist.
"Die Philopatrie der Weibchen und das Ausgrenzen (dispersal) der Männchen ist für Säugetiere keineswegs ungewöhnlich," erklärt Anna Fabiani, "obwohl der Zweck dieses biologischen Vorganges ohne weitere Einsichten in das soziale Gefüge nicht immer offensichtlich wird und vielfach der beschränkten Sicht des Beobachters entgeht." Beispielsweise hat es lange gedauert, um herauszufinden, warum Löwinnen zusammen bleiben. Inzwischen ist der Grund sehr einsichtig: sie helfen der Mutter bei der Aufzucht des Jungen und schützen zugleich vor der Aggressivität des Rudelführers bis die männlichen Jungtiere entwöhnt sind und ihr eigenes Rudel bilden. Ein weiteres Beispiel für die weibliche Philopatrie sind die Flachland-Gorillas. Deren Verhalten kontrastiert allerdings zu den Gebirgs-Gorillas: hier verlassen die Weibchen das Rudel. Folglich ist das Sozialverhalten nicht unbedingt artspezifisch.
Zur Funktion der Frauenkolonien bei den See-Elefanten darf noch spekuliert werden. Möglicherweise ist die Ansammlung geeignet genug, Angreifer abzuwehren, und möglicherweise stecken die Damen der in ihrer Mitte ruhenden Schwangeren auch hier und da mal etwas zu, damit sie nicht zuviel Fett verliert. Unter diesen Bedingungen ist der dauerhafte Pascha, der erst von einem stärkeren als Rudelführer abgelöst werden muss, unnötig, weil er im Grunde nur zur Vermehrung gebraucht wird. Aus menschlicher Sicht drängt sich die Frage auf: Kommen die Troubadoure aus freien Stücken, oder müssen sie umworben werden?