Wurde die Ukraine von Biden in die Falle gelockt?

Petra Erler
Biden und Selenskyj in Vilnius, 2023

Biden und Selenskyj in Vilnius, 2023. Bild: Gints Ivuskans/ Shutterstock.com

Time-Magazin zu wirklichen Zielen der Biden-Regierung. Militärischer Sieg Kiews war nie eingeplant. War die Ukraine also nur ein Bauernopfer im großen Spiel?

Bevor man sich über das "große Kino", den offenen Eklat zwischen der Trump-Administration und Selenskyj im Weißen Haus am Freitag echauffiert, rate ich zu zwei Dingen. Man sollte sich erstens ins Gedächtnis rufen, dass sich unser Land in einer militärischen Allianz mit den USA befindet. Zweitens sollte man aufmerksam einen Artikel des Time-Magazins vom 18. Januar 2025 lesen.

Die brutale Ukraine-Politik von Joe Biden

Unter der Überschrift "Warum Bidens Ukraine-Sieg Selenskyis Niederlage ist wird darin die Biden'sche Ukraine-Politik erklärt. Der Artikel stützt sich auf ein Gespräch mit dem für Russland und Ukraine zuständigen Mitarbeiter, Eric Green, im Nationalen Sicherheitsrat der Biden-Harris-Regierung. Zu den Zielen dieser Regierung gehörte niemals ein (militärischer) Sieg der Ukraine, liest man gleich im zweiten Satz.

Deshalb wären auch alle Zusicherungen wie die Floskel "So lange es dauert …" so vage geblieben. Im Weißen Haus habe man gewusst, dass es trotz aller westlichen Hilfe der Ukraine nie gelingen würde, an Russland verlorenes Territorium zurückzuerobern. Das sei "außerhalb der Möglichkeiten der Ukraine" gewesen.

Stattdessen sei es Biden darum gegangen, mittels der Ukraine die Nato zu stärken und Russland zu schwächen.

Aber auch die Biden-Harris-Regierung wollte keine direkte militärische Konfrontation mit Russland. Deshalb zeigte Biden in der Frage einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nur verbale Flexibilität, im Grund blieb es beim eisernen Nein, woran das Time-Magazin ebenfalls erinnert.

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Wohin die Biden-Harris-Strategie führte, lässt sich ebenfalls dort weiterhin nachlesen: "Er achtete (Anm.: am Ende seiner Amtszeit) sorgfältig darauf, keine Versprechungen zu machen, dass die Ukraine weitere Gebiete zurückgewinnen oder gar bis zum Ende des Krieges überleben würde."

Wenn etwas ruchlos ist, dann die Tatsache, dass die Biden-Administration laut Time wusste, was sie tat. Sie schickte die Ukraine in einen militärischen Kampf, den sie nicht gewinnen konnte, und verhinderte – gemeinsam mit Großbritannien unter Boris Johnson – einen frühen Friedensschluss, zu dem sowohl Selenskyj als auch Putin damals bereit waren.

Glaubwürdige Zeugen

Letzteres ist inzwischen durch glaubwürdige Zeugen belegt. Einer davon ist der ehemalige ukrainische Botschafter in den USA, Tschalyj.

Dank Victoria Nulands Äußerungen zu diesen Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine ist völlig klar: Das war nicht das, was die Biden-Regierung erreichen wollte.

Die wollte Russland schwächen, ganz so, wie das die Rand-Corporation im Jahr 2019 entworfen hatte. Wer diese Studie heute erwähnt, so Rand, befördert russische Desinformation.

Das Strategieberatungsunternehmen vergaß allerdings, seiner Zusammenfassung dieser Studie "Russland überdehnen und aus dem Gleichgewicht bringen", einen ähnlichen Disclaimer beizufügen.

Die Studie der Rand-Corporation

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Rand die besagte Studie während der ersten Trump-Präsidentschaft vorlegte. Damals distanzierten sich weder Trump noch das Pentagon von einem Kurs, der auf das Anheizen von Spannungen und Konflikten mit Russland ausgerichtet war. Im Gegenteil, die Abkehr vom INF-Vertrag und die Weigerung, den "Szart"-Vertrag zu unterschreiben, machten die Beziehungen noch konfliktreicher.

Die Biden-Harris-Regierung hat "Start" unterschrieben, sie hat auch die russische Initiative zu einer gemeinsamen Erklärung von fünf Atommächten mitgetragen, dass ein Atomkrieg nicht zu gewinnen ist und daher auch nicht geführt werden sollte.

Kein Schritt gegen den Krieg

Sie haben allerdings – ebenso wenig wie die Nato – nichts getan, um den heraufziehenden Krieg zu verhindern. Ein Verhandlungsangebot Russlands vom Dezember 2021 wurde auf Botschafterebene verhandelt und verbal und schriftlich zurückgewiesen. Darin ging es unter anderem um den Streitpunkt um eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine.

Biden war ein erklärter Verfechter des US-amerikanischen Hegemonialanspruchs. Er glaubte, die besseren Karten zu haben und Russland in die Knie zwingen zu können: mit schweren ökonomischen Sanktionen, mit diplomatischer Isolation. Diesem Kurs schloss sich die EU an.

Propagandistisch wurde auf "Siegfrieden" gesetzt, die militärische Bezwingung Russlands. Nun schreibt Time, man habe immer gewusst, dass das nichts werden würde. Time vergaß zu erwähnen, dass Biden in Helsinki 2023 fernab der Realität verkündete, dass Putin den Krieg gegen die Ukraine bereits verloren habe.

"Alles ist falsch", fasste kürzlich ein ehemaliger spanischer Botschafter in Georgien, José Zorrilla, bei Neutrality Studies die Natur des Narrativs zusammen, das Jahr für Jahr politisch und medial im Westen vorgebetet wurde.

Sie kannten die Wahrheit

Sie, die professionellen Diplomaten, aber auch die Militärs, hätten die Wahrheit gekannt, über die Regime-Change-Politik der USA, den Maidan, über alle späteren Entwicklungen im Konflikt mit Russland, auch über die Verhandlungen in Istanbul.

Aber sie hätten geschwiegen. Denn sie stünden im Dienst der Politik. Den Mund öffne nur, wer keine Karrierechancen mehr vor sich habe. Nicht erklären konnte sich der Botschafter, warum Deutschland, das im Jahr 1990 im Kontext der deutschen Einigung eine integrative europäische Sicherheitsstruktur bevorzugte, nicht daran festhielt.

Georgien war schlauer

Zorrilla sagte auch, dass 2022 der Westen Georgien gedrängt habe, eine zweite Front gegen Russland zu eröffnen. Die georgische Regierung habe das abgelehnt. Sie habe nicht gewollt, dass das Land zwischen Ost und West so zerrieben werde wie die Ukraine.

Zweifellos endete das Treffen zwischen Selenskyj und Präsident Trump im Weißen Haus in einem beispiellosen politischen Eklat. Der war nicht von vornherein angelegt, denn Trump gab sich eingangs des presseöffentlichen Treffens recht versöhnlich.

Er erklärte das Interesse seiner Administration an der Nato in Europa, lobte Polen.

Trump legte Wert darauf, dass es ihm um Frieden ginge, in Europa, für die Ukraine, für Europa und die Welt. Ganz wie Biden will auch Trump den Konflikt mit Russland nicht auf die Spitze treiben. Er will keinen Dritten Weltkrieg. Trump erklärte, er stünde auf der Seite des Friedens.

Aber Trump sprach auch das aus, was bei Time als Hinterlassenschaft der Biden-Administration nachzulesen war: Kämpft Selenskyj militärisch weiter gegen Russland, hat er bald kein Land mehr.

Trump drastisch

An dem Punkt wurde Trump am Ende ganz drastisch. Selenskyj könne den Kampf nicht gewinnen, aber mithilfe der USA könne er aus dem Krieg noch "okay" herauskommen. Wenn er allerdings weiter kämpfen möchte, dann ohne die USA. Trump beschuldigte Selenskyj, mit einem Dritten Weltkrieg zu spielen und das Leben von Millionen zu riskieren.

JD Vance fragte Selenskyj, ob er nicht verstehe, dass die USA mit diplomatischen Mitteln versuchten, die Zerstörung der Ukraine aufzuhalten. Trump war direkter: Die Ukraine habe das schlechtere Blatt in der Hand.

Schimäre "Siegfrieden"

Zuvor hatte auch Selenskyj gesagt, dass er die USA benötigt, aber er hängt nach wie vor der Strategie "Siegfrieden" an. Selenskyj weiß: Was immer die europäischen Verbündeten in der Ukraine tun, ohne die USA ist das alles nichts wert. Das spielte Trump in die Hände, denn der weiß das auch.

Nach dem Pressetreffen eskalierte der Streit weiter. Das vorgesehene Mittagessen wurde von US-amerikanischer Seite gekippt, der geplante Rohstoff-Deal abgesagt. Trump beschied Selenskyj, er könne wiederkommen, wenn er Frieden wolle.

Endlich Transparenz

Damit schuf Trump eine vollkommen transparente Konstellation: Jeder, der den Ukraine-Krieg weiterführen möchte, tut das fortan gegen die USA. Prompt erhoben die US-Demokraten wieder Vorwürfe, dass Trump in den Händen von Putin sei.

Die das tun, und die sogenannte "liberale Presse" ist immer mit an Bord, missverstehen, dass das bei der Mehrheit der Bevölkerung der USA nicht mehr zieht. In der europäischen Öffentlichkeit ist das etwas anders, denn die allermeisten europäischen Medien haben nicht sehr viel dafür getan, dass sich Wahrheit von Lüge scheidet. Tatsächlich geht es um die Wahl zwischen Krieg oder Frieden in Europa.

Die USA sind draußen

Drei Besuche in Washington in einer Woche haben deutlich gemacht: Die USA werden sich nicht in ein Manöver hineinziehen lassen, das in den direkten Krieg mit Russland führen kann. Macron und Starmer wurden freundlich, aber entschieden davon in Kenntnis gesetzt. Bei Selenskyj eskalierte es vor den Augen der Welt zum offenen Eklat.

Trump war in der presseöffentlichen Begegnung nicht so feindlich gegenüber Putin eingestellt wie Selenskyj. Er erinnerte daran, wie ungerecht Putin vom Westen in den vergangenen Jahren behandelt wurde, an das sogenannte "Russiagate", an den Hunter-Biden-Laptop, der 2020 zur russischen Desinformation hochstilisiert wurde.

Das sei seinetwegen passiert. Er erinnerte daran, dass die Abqualifizierung oder Diffamierung eines anderen Staatschefs kein Problem löse, sondern jede Verständigung nur schwieriger mache. Trump verlangte von Selenskyj, seine Haltung zu ändern, auch gegenüber Russland.

Aber wie kann Selenskyj das? Er spricht vom gleichen Skript, das die Biden-Regierung wider besseren Wissens entwarf und dem auch die europäischen Alliierten der USA allesamt bis heute folgen. Er, der einst nicht vom Russenhass beseelt war, seine Präsidentschaft damit gewann, dem Land Frieden mit Russland bringen zu wollen, hat den Hass nun komplett verinnerlicht.

Bei Trump beschwerte sich Selenskyj über Putin. Für den sei die Sprache der Diplomatie nur ein Vorwand. Dass in der Ukraine die Sprache der Diplomatie schon vor Kriegsausbruch als "Kapitulation" gegenüber Russland gebrandmarkt wurde, war ihm entfallen. Dass er selbst mit Putin 2022 verhandelte ebenfalls.

Selenskyj zeigte beim Treffen im Weißen Haus Nerven. Er war weder gelassen noch kühl, aber vor allem ritt er das falsche Ross. Er glaubt (oder will es glauben), dass das Jahr 2025 den entscheidenden Unterschied bringt, die Ukraine wieder in eine "Position der Stärke" gerät.

Denn Selenskyj hat ein Zukunftsproblem: Wie soll er es überleben, wenn er in der Ukraine als der angesehen wird, der entgegen dem eigenen Dekret aus 2022 schließlich mit Putin verhandelt? Extreme Nationalisten bedrohten ihn schon 2019 mit dem Tod, falls er das Minsk-Abkommen 2 implementieren würde.

Macht er aber weiter mit dem Krieg, ist er derjenige, der sein Land völlig ruiniert, ob ihm nun die USA oder die EU weiter zur Seite stehen oder nicht.

Dank der freimütigen Einschätzungen in TIME wird die Frage auch in der Ukraine aufkommen, warum Selenskyj beim bösen Spiel immer weiter mitmachte, und ob es das alles wert war, all die Toten, all die Verwundeten, das verheerte Land?

Wenn sich am Sonntag die Europäer nun schon zum dritten Mal innerhalb weniger Tage zu einem Spitzentreffen zusammenfinden, sollten sie sich auch mit dieser Frage beschäftigen. Denn wie kann es sein, dass ein vergleichbares Spitzentreffen angesichts der bevorstehenden Konfliktexplosion mit Russland Anfang 2022 nicht zustande kam, und man lieber den USA Gefolgschaft leistete, als an den eigenen Kontinent zu denken, zu dem die Ukraine, aber auch Russland gehören?

Wie konnte es sein, dass man die Chance auf einen frühen Friedensschluss in Istanbul vergab und keine EU-Position formulierte?

Wie kann es sein, dass so viele 2025 immer noch nicht begreifen, dass zwischen politischen Zielen und Kommunikationslinien ein Unterschied besteht. Anders ausgedrückt: Es wird gelogen, geschwindelt, vereinfacht, verdreht, um das herrschende Ukraine-Krieg-Narrativ aufrechtzuerhalten, das die Trump-Regierung gerade zertrampelt. Die hat andere Sorgen.

Die schaut nach China und hat schon mal die "Ein-China-Politik" ihrer Vorgänger fast aus dem Internet-Gedächtnis gelöscht.

Wie es ausschaut, haben die Briten aus dem "großen Kino" bereits erste Schlussfolgerungen gezogen. Starmer hat jedenfalls nicht das Ende der transatlantischen Partnerschaft verkündet.

Die Briten wissen zu gut, was die USA ins Bündnis und in den Ukraine-Krieg einbringen, und dass niemand sonst deren Fähigkeiten hat.

Aber auch die Briten wissen nicht, wie sie Trump in ein Boot holen sollen, das in Richtung Krieg gegen Russland segelt, während die USA in der entgegengesetzten Richtung unterwegs sind.

Harald Kujat hat das tieferliegende Problem bei Weltwoche in gewohnter Weise klar und deutlich auf den Punkt gebracht: Es geht nicht um Trump, nicht um Selenskyj, sondern um Krieg oder Frieden mit Russland.

Petra Erler ist Geschäftsführerin der Strategieberatung European Experience Company GmbH. 1990 war sie nach den ersten freien Wahlen in der DDR Staatssekretärin für Europäische Angelegenheiten. Von 2006 bis 2010 war sie die Kabinettschefin von EU-Kommissar Günter Verheugen.