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Wut, Ablehnung von Ausländern und Flüchtlingen, Angst vor Kriminalität

AfD-Wähler haben weder Bindung zur Partei noch zu deren Spitzenkandidaten, Motto: "Löst keine Probleme, nennt die Dinge aber beim Namen"

Die AfD feiert ihren Sieg. Tatsächlich ist sie nun - zumindest vorübergehend - zu einer "gesamtdeutschen Partei" geworden, wie Parteichefin Frauke Petry sagt, die nun schon die Marschlinie vorgibt, nächstes Jahr in den Bundestag einzuziehen. Bis dahin kann sich freilich die zur "Schicksalsfrage" inszenierte Flüchtlingspolitik deutlich verändert haben.

Schon in den 1990er Jahren wurden wegen der damaligen "Flüchtlingswelle" rechte Parteien in die Parlamente gespült. Ob die Bürger noch einen "Politikwechsel" auf einen ungedeckten Scheck in einem Jahr wollen, steht dahin. In einem Gespräch [1] mit dem Deutschlandfunk hat sich allerdings die Interviewerin vor allem auf personelle Fragen und innerparteiliche Kontroversen ausgerichtet, während Petry angeblich gerne über Inhalte gesprochen hätte. Nur nebenbei durfte sie reinspringen und sagen:

Wir haben neben den Themen von Eurokritik, EU-Kritik große Themen angepackt und werden die auf dem Programmparteitag verabschieden wie eine neue Familienpolitik, Vorschläge zur Energiepolitik, Vorschläge zur Steuerreform, und natürlich werden wir uns auch weiterhin mit Themen oder mit Fragen der Migrationspolitik befassen müssen, weil das das drängendste Thema in Deutschland ist und alle Parteien sich damit befassen müssen.

In Berlin sagte Petry: "Wir wollen die Partei des sozialen Friedens sein." Da will man jetzt offenbar über die Flüchtlingsabwehr Schwerpunkte setzen und die Spaltung der Gesellschaft, die "Verarmung" der Mittelschicht und die steigenden Belastungen für Familien thematisieren: "Wir wollen den Sozialstaat bewahren." Ein Vorschlag [2] dazu ist offenbar: "Bürgerarbeit statt Hartz IV", recht viel mehr an Sozialpolitik ist nicht zu finden, aber die Bürgerarbeit wird kombiniert mit der Senkung der "Abgabenlast für Bürger und Unternehmen" und der Abschaffung der Grundsteuer und anderer kommunaler Abgaben.

Nett ist auch die Idee: "Projekte und Lehrstühle an Hochschulen sollen helfen, den Wert von Ehe und Familie darzustellen und nicht - wie im Falle von Gender-Studies - genau das Gegenteil bewirken." Man will das Mütterdasein wie überhaupt die Familie mit Mann und Frau fördern und die "strukturelle Benachteiligung" von Jungen gegenüber Mädchen bekämpfen. "Starke Männer" braucht das AfD-Land, dazu würde dann auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht dienen.

Tatsächlich äußern auch in BW nach Infratest-Umfragen [3] für die ARD 90 Prozent der AfD-Wähler, sie hätten Angst vor dem Islam, mehr noch haben Angst vor wachsender Kriminalität, unter allen Wählern sagen dies 52 bzw. 53 Prozent. Ähnlich ist dies auch in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt, dort sagen aber allgemein 67 Prozent, sie hätten Sorge vor dem Islam und wachsender Kriminalität. Der Angstpegel ist dort also allgemein höher.

Zu vermuten ist, dass die Wähler, die der AfD zugelaufen sind, die Partei weniger wegen des nur in Ansätzen vorhandenen politischen Programms, ein Parteiprogramm gibt es noch nicht, zugelaufen sind. Sie dürften unter dem Zeichen der Flüchtlingsabwehr in der Mehrzahl von den etablierten Parteien und dem kritisierten Parteiensystem zur "Alternative" weggelaufen sein, die sich als ganz anders und systemfern, als Stimme des Volkes, gibt.

AfD vor allem aus Enttäuschung wegen der anderen Parteien gewählt

In Sachsen-Anhalt spielten nach der Umfrage weder der Spitzenkandidat noch die Parteibindung eine Rolle, es ging 75 Prozent der Wähler um "Sachfragen" (in BW sind es sogar 77 Prozent). An erster Stelle liegt mit 99 Prozent die Begrenzung des Zuzugs von Ausländern und Flüchtlingen zusammen mit dem Gefühl wachsender Unsicherheit, dann folgen mit 98 Prozent Probleme mit der Integration von Muslimen und die Bestätigung der Aussage: "Löst zwar keine Probleme, nennt die Dinge aber beim Namen." Letzteres sagen auch 64 Prozent aller Wähler, was noch einmal auch in Sachsen-Anhalt klar macht, dass es den AfD-Wählern zum großen Teil nicht um die Kandidaten und die Partei ging, sondern um den Protest bzw. die Wut auf das Bestehende. Immerhin 50 Prozent der AfD-Wähler in Sachsen-Anhalt sind auch der Meinung, dass sich die Partei "nicht genug von rechtsradikalen Tendenzen distanziert".

Inzwischen hat sich vor allem die CSU als Alternative zur Regierung und zur großen Koalition inszeniert, auch wenn sie als Krawallmacher, der klarte Worte sprechen und auch das Volk vertreten will, deren Teil bleibt. Würde die CSU landesweit antreten, hätte sie wohl einige der Protestwähler angezogen. Immerhin sagen fast Zweidrittel der Wähler in RP und BW, dass es gut wäre, wenn hier die CSU antreten würde, allgemein sind es mit einem Viertel deutlich weniger. In Sachsen-Anhalt scheint auch die CSU etwas weniger unter AfD-Anhängern als Alternative gesehen zu werden. Hier sagen dies 57 Prozent.

Nach der Wähleranalyse von Infratest ist deutlich, dass nur ein kleiner Teil derjenigen, die für die AfD gestimmt haben, sich für die Partei auch entschieden haben. Auch in Sachsen-Anhalt gaben 64 Prozent an, sie hätten die Partei aufgrund der Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt, nur 27 Prozent wollen für sie aus Überzeugung gestimmt haben. In den anderen Bundesländern ist dies ähnlich, es ging vornehmlich darum ging, Protest anzumelden.

Tatsächlich ist die Kritik und die Abkehr von der deutschen Parteiendemokratie schon länger und auch ohne Flüchtlingsproblem gewachsen (auch in anderen Ländern). Die Zahl der Nichtwähler, im deutschen und europäischen Osten immer schon hoch, ist gestiegen, nachdem sich alle Parteien in die Mitte gedrängelt haben und dann die große schwarz-rote Koalition sich auch noch dämmend über das Land legte.

Auch die Medien mit ihrem Rudelverhalten, das kaum Raum für scharfe Auseinandersetzungen um Prinzipielles ließ, spielten eine Rolle für den Prozess, der nun im Erfolg der AfD, angestoßen durch die Euro-Kritik und dann durch die Flüchtlingspolitik, ein Ventil fand. Mehr als 80 Prozent der AfD-Wähler - durchschnittlich 36 Prozent in BW und 38 in RP - sollen mit dem "Funktionieren der Demokratie" unzufrieden sein. Dem müssten sich die Politiker, zumal unter veränderten Bedingungen der Internetöffentlichkeit und -kommunikation, dringend zuwenden (dazu siehe etwa die Serie von Wolfgang Koschnick: Die entwickelten Demokratien der Welt stehen am Abgrund [4]).


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https://www.heise.de/-3378953

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.deutschlandfunk.de/frauke-petry-die-afd-ist-eine-gesamtdeutsche-partei.694.de.html?dram:article_id=348281
[2] http://afd-bw.de/wp-content/uploads/Landtagswahlprogramm_AfD_2016.pdf
[3] http://www.tagesschau.de/inland/wahl-afd-grafiken-101.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Die-entwickelten-Demokratien-der-Welt-stehen-am-Abgrund-3362938.html