Zahlt es sich aus? Neues zu Journalismus und "Staatsknete"
Rund 200 Journalist:innen haben Geld aus Bundestöpfen erhalten. Das sagt kein Telegramm-Kanal, sondern die Regierung. Können solche Medienschaffenden noch unabhängig berichten? Und was hat das mit Guido Westerwelle zu tun?
Es geht um Zahlungen von Regierungsgeldern an Journalist:innen sowohl öffentlich-rechtlicher als auch privatrechtlicher Medien. Die Bundestagsdrucksache 20/5822, online veröffentlicht am 1.3.2023, hat es daher in sich, zumal viele der darin erwähnten Medienschaffenden vor allem für öffentlich-rechtliche Medien arbeiten.
Irritierende Fakten
Der nicht zuletzt als IOC- und FIFA-Kritiker bekannte Investigativjournalist Jens Weinreich schreibt, er finde diese Antwort der Bundesregierung spannend. Genau 200 verschiedene Journalistinnen und Journalisten sind in dem 30-seitigen Dokument anonymisiert aufgeführt, die Honorare pro Engagement liegen oft im mittleren vierstelligen Euro-Bereich (4.000 bis 5.000 Euro).
Zur Faktenlage gehört: Der Text ist die Antwort auf eine "Kleine Anfrage" von einzelnen AfD-Abgeordneten sowie von deren Bundestagsfraktion. Auch Jens Weinreich findet das fragwürdig: "Die Anfrage ist leider von der AfD. Da kann man nichts machen."
Die Fakten seien allerdings so, wie sie nun mal seien: "irritierend, besorgniserregend - sowohl die Höhe der Honorare als auch die Zahl der Journalisten, die sich für diese Nebenjobs sehr gut bezahlen lassen".
Nicht zuletzt mag der Fakt irritieren, dass die Mehrzahl der hier ohne Namen erwähnten, durch Regierungsstellen Engagierten im sonstigen Leben journalistisch bei öffentlich-rechtlichen Medien arbeitet.
"Kooperationen" von Medienschaffenden mit Auslandsgeheimdienst
Die Bundesregierung schreibt, die Anonymisierung sei nötig, aus Gründen des Datenschutzes. Und sie führt aus, die Auftragsvergabe durch Bundesministerien oder Bundesbehörden an Journalistinnen und Journalisten stehe "nicht in Konflikt mit der Bedeutung journalistischer Arbeit als Kontrollinstanz staatlichen Handelns oder mit dem Prinzip der Staatsferne des Rundfunks".
Begründet wird diese Aussage keineswegs – man mag sie also glauben oder eben nicht.
Besonders spannend ist der Blick auf etwaige "Kooperationen" von Medienschaffenden mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst. Hier geht es explizit nicht um das "Gemeinwohl" der Gesellschaft, dem Journalismus ja laut vieler Journalistik-Modelle verpflichtet sein soll.
Nein, hier geht es ausdrücklich um das "Staatswohl". Dazu schreibt die Bundesregierung:
Für den Bundesnachrichtendienst (BND) ist darauf hinzuweisen, dass die Beantwortung der Fragen aus Staatswohlgründen nicht erfolgen kann, weil Kooperationen des BND besonders schützenswert sind. Die einzelnen Kooperationspartner arbeiten mit dem BND nur unter der Voraussetzung zusammen, dass die konkrete Kooperation mit ihnen – auch nicht mittelbar – preisgegeben, sondern absolut vertraulich behandelt wird.
Antwort der Bundesregierung
Zumindest macht diese Formulierung deutlich: Es scheint auch bezahlte "professionelle" Kooperationen von Journalist:innen mit dem BND zu geben. Sonst hätte die Frage ja gefahrlos verneint werden können für diese besondere Bundesbehörde.
Die Zahlungen
Zu einigen empirischen Befunden aus dem Text: Die Zahlungen betreffen Engagements in den fünf Jahren 2018 bis 2022. Die Liste wirkt kaum systematisch aufgebaut, ein klares Ordnungsprinzip ist nicht zu erkennen. Weder zeitlich noch bezüglich der konkreten Regierungsstelle als Auftraggeber, weder inhaltlich noch mit Blick auf die Durchnummerierung der genau 200 Medienschaffenden.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum Beispiel vergab von 2019 bis 2022 laut Liste genau 110.760,00 Euro für Moderationen. Erhalten haben diese Summe 16 Medienschaffende für 26 Einsätze. Macht pro Moderation im Schnitt 4.260 Euro.
Fast alle dieser Moderations-Fachkräfte kommen von öffentlich-rechtlichen Sendern, eine Person ("Journalist 11") im Jahr 2021 sogar vom "SFB", also vermeintlich vom früheren "Sender Freies Berlin", den es bereits seit 2003 nicht mehr gibt. Scheint aber bei der Bundesregierung niemand zu merken. Oder es ist auch schon egal ….
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehrs wiederum schenkte zwischen 2019 und 2022 laut Tabelle ebenfalls für Moderationen genau 81.506 Euro aus, für acht Medienschaffende, diesmal sämtlich von öffentlich-rechtlichen Medien, und deren genau 16 Moderationen. Bedeutet hier pro Auftritt durchschnittlich 5.094,12 Euro.
Aber nicht nur Moderieren im Regierungsauftrag scheint lukrativ, sondern auch beispielsweise das "Erstellen von Videomaterial": Engagiert vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, hat eine einzige journalistische Fachkraft, die sonst offenbar für das ZDF arbeitet, zwischen April 2018 und Februar 2021 laut Tabelle 32.357,50 Euro erhalten, für 15 Einsätze.
Im Schnitt also pro Auftrag 2.157,83 Euro. Dabei ist dieser Mensch an einem einzigen Tag, dem 4.9.2018, gleich mit drei Einsätzen am Start gewesen, vermutlich im Dreischicht-System. An diesem Tag ließ die Regierung also für "Journalist 102" genau 6.473,50 Euro springen.
Kein schlechtes Tageshonorar, aber auch nicht unüblich im Bereich Auftragskommunikation. Im und mit Journalismus sind solche Summen normalerweise kaum zu erreichen.
Das Strukturproblem im Brennglas
Womit wir hier beim mittlerweile mindestens dreifachen Strukturproblem wären. Moralisieren im Sinne von "Das macht man doch nicht!" erscheint da wenig hilfreich. Denn Journalismus ist, empirisch gesehen, eben kein eigenständiges oder gar autonomes Subsystem in der Gesellschaft.
Sondern als umkämpftes soziales Feld in vieler Hinsicht nicht nur strukturell gekoppelt, sondern abhängig von organisierten und herrschenden Interessen vor allem aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Auftragskommunikation (PR, Werbung, Marketing). Was nicht heißt, dass mächtige Medien nicht ihrerseits auch und gerade "die Politik" beeinflussen würden.
Mit Blick auf diese Beziehungsgeflechte ist es kein Wunder, dass die Entwicklungen um die prominente Medienperson Linda Zervakis (früher ARD-Tagesschau, heute ProSieben) diese Strukturprobleme wie in einem Brennglas zu bündeln scheinen.
Der Journalist Jens Weinreich weist darauf hin, dass es zu ihrem Agieren im Auftrag vor allem des Kanzleramtes bereits öffentliche Diskussionen gab und gibt, "insofern lässt sie sich in den Listen leicht identifizieren". Wobei da anscheinend "doch viel mehr Honorar" zusammenkomme als bisher angenommen.
An "Journalist 97", sonst tätig für ProSieben, überwies die Regierung für zwei Moderationen im Jahr 2022 laut Tabelle exakt 12.044,31 Euro. Pro Moderation also im Schnitt mehr als 6.000 Euro. Die eine Moderation war laut Tabelle am 9.6.2022.
Linda Zervakis moderierte genau an jenem 9.6.2022 auf der Digitalkonferenz "Republica" in Berlin ein Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz.
Die taz hatte bereits am 27.1.2023 unter Berufung auf ihre Recherchen laut Informationsfreiheitsgesetz berichtet, dass die vermeintlich unabhängige Interviewerin Zervakis direkt vom Kanzleramt engagiert worden sei und nicht vom Veranstalter. O-Ton taz:
Kommuniziert wurde das nicht. Es sollte aussehen wie ein Gespräch mit einer unabhängigen Moderatorin.
Auch beim Thema "Finanzierung" herrschte laut taz alles andere als Transparenz: Es sei unklar geblieben, inwiefern und "welche Gelder vom Kanzleramt an Zervakis flossen". Schlimmer noch: Laut der Zeitung ließ Linda Zervakis zunächst gegen jenen Text juristisch vorgehen.
Mit Datum vom 21.2.2023 ergänzt die Redaktion dann:
"Linda Zervakis geht nun nicht mehr presserechtlich gegen diesen Text vor. Ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat sie am 17.02.2023 zurückgenommen. Zuvor hatte die zuständige Pressekammer des Landgerichts Hamburg ihrem Anwalt mitgeteilt, dass bei vorläufiger Würdigung der Antrag keinen Erfolg haben dürfte."
Die Angaben des taz-Artikels stimmen überein mit denen, die sich aus der nunmehr offiziell veröffentlichten Tabelle der Bundesregierung mit höchster Wahrscheinlichkeit rekonstruieren lassen. Bis hin zum Datum der zweiten Moderation laut Text, dem 28.11.2022.
Was ließe sich aus den Zahlen und Zitaten lernen?
"Toxisch": Kein Unterschied zwischen Journalismus und Auftragskommunikation?
Mit dieser neuen Quantität und Qualität hybrider Medienkommunikation, hier konkret des weiteren Verschwimmens und Unterlaufens der Unterschiede zwischen Journalismus und Auftragskommunikation, wird die "Glaubwürdigkeit" von Medien wieder und weiter infrage gestellt.
An sich nichts Schlechtes für aufklärende gesellschaftliche Kommunikation – wenn Missfallen nicht oft direkt ins Regressive und Reaktionäre umschlüge, gerade angesichts der gegenwärtigen sozialen Spannungen und Spaltungen.
Vertrauensbildende Maßnahmen mit Blick auf das Publikum journalistischer Medien sähen sicher anders aus als solche höchst fragwürdigen, ja toxischen "Kooperationen".
Eine einfache Antwort auf das Dilemma ist und bleibt: Die Gesellschaft sollte den Journalismus hinreichend mit Ressourcen ausstatten, insofern er tatsächlich unabhängig von den Interessen reicher oder einflussreicher Dritter agieren soll. Als "fourth estate", also als Stimme der Unterprivilegierten.
Zugleich kann gefragt werden, warum die Beteiligten in Politik, Auftragskommunikation und Journalismus 1.) so eng zusammenwirken und 2.) davon ausgehen, dass Derartiges nicht früher oder später öffentlich bekannt und diskutiert würde?
In Anlehnung an einen Spruch Guido Westerwelles (aus einem ganz anderen Zusammenhang) ließe sich hier vielleicht am ehesten sagen: "Spätrömische Dekadenz".